Diese Woche in Kopenhagen

„Kein schöner Land“

Kein schöner Land

Kein schöner Land

Kopenhagen
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Die Parteien auf Christiansborg eifern darum, wer dem ländlichen Raum am meisten Gutes tun kann. Ob das nun alles den Menschen in Nordschleswig und anderswo hilft, und ob man deshalb unbedingt auf die Menschen in Kopenhagen schimpfen muss, fragt sich Walter Turnowsky.

„Det er så skønt at vær’ på landet (Es ist so schön auf dem Land zu sein)“, sang das Duo Troels Trier und Rebecca Brüel bereits 1976. Mir ist fast so, als würde ich den Song von allen Seiten hören, wenn ich derzeit über die Gänge von Christiansborg spaziere. Währe es der Bundestag, dann würden sie  vielleicht das Volkslied aus der Überschrift trällern.

Inger Støjberg und ihre Dänemarkdemokraten singen bereits seit der Gründung der Partei vom ländlichen Raum. Und sie sehen ihn als Kontrast zu den „Kopenhagener Salons“, wo immer die auch liegen mögen. Ich bin zumindest nie in solche Salons eingeladen worden, aber vielleicht verkehre ich ja auch nur in den falschen Kreisen.

Eigentlich war es ja Ingers vorherige Partei, Venstre, die mehr als ein Jahrhundert das Thema ländlicher Raum zu ihrem Besitz erklärt hatte. Aber die Eigentumsurkunde scheint abhandengekommen zu sein. Schon seit etlichen Jahren besingt nämlich auch die Dänische Volkspartei das Landleben – und vor allem, wie ungerecht die Menschen, die zum Beispiel in Nordschleswig leben, behandelt werden.

Auf dem Weg zur Regierungsmacht haben Mette Frederiksen und ihre Sozialdemokratie auch die Provinz für sich entdeckt: das „Produktionsdänemark“ als Gegensatz zu den Faulpelzen in den Großstädten. Und gerade erst am Mittwoch haben zwei Sozialdemokraten, der Abgeordnete Bjørn Brandenborg und der Autor Lars Olsen, das Buch „Det de kalder udkant kalder vi hjem“ herausgegeben. 

Ich werde zu einem späteren Zeitpunkt noch Näheres über das Buch berichten, aber man bemerke die Gegenüberstellung von „wir“ und „die (anderen)“ im Titel. Und wer hier das „Die“ als Synonym für Kopenhagenerinnen und Kopenhagener versteht, liegt nicht ganz falsch. 

Im August haben die Sozialdemokratie, Venstre und der Venstre-Ableger, die Moderaten, das Maßnahmenpaket für den ländlichen Raum „Zusammenhang und Balance“ vorgelegt. Die SVM-Regierung hat ihm den Untertitel „Freiheit, Zukunft und Möglichkeiten in ganz Dänemark (Frihed, fremtid og muligheder i hele Danmark)“ verpasst. 

Die grüne Umstellung soll neue Produktions- und Jobmöglichkeiten im ländlichen Raum schaffen und auch der Tourismus soll weiter gefördert werden. Der Zugang zu Ausbildungsmöglichkeiten soll erleichtert werden. Allerdings sind diesmal keine neuen Ausbildungen in Tondern (Tønder) geplant, sondern lediglich in Esbjerg und Skive.  

Die Transportmöglichkeiten im ländlichen Raum sollen unter anderem durch Bestellbusse und Freiwilligenbusse verbessert werden. Und es soll größere Freiheit für Initiativen im ländlichen Raum geben.

Die ganzen schönen Vorschläge müssen natürlich beschlossen und umgesetzt werden, bevor man in Hoyer (Højer), Norburg (Nordborg) oder Bau (Bov) etwas davon spürt. Christiansborg wird also in der kommenden Saison den Blick weiterhin Richtung ländlichen Raum richten. Ob dort dann tatsächlich Freiheit, Milch und Honig fließen wird, muss sich noch herausstellen.

Was jedoch für mich ziemlich feststeht, ist, dass bei den Debatten im Folketing einige Abgeordnete erneut das „Wir“ und „Die“ bedienen werden. Bei der Präsentation des Maßnahmenpakets gaben sich die Vertretenden der drei Regierungsparteien allerdings die größte Mühe, hier gegenzusteuern.

Der für den ländlichen Raum zuständige Minister Morten Dahlin von Venstre sagte: „Es ist ein Erkennungsmerkmal und eine Qualität, dass wir quer durch das Land verbunden sind, obwohl unser Alltag und Leben sehr unterschiedlich sein kann. Dennoch müssen wir aufpassen, dass die Gleichgewichte gewahrt und Unterschiede nicht zu groß werden.“

Das ist eine deutlich andere Rhetorik als die von Støjberg und Brandenborg – und auch als die von Staatsministerin Mette Frederiksen in ihrer ersten Amtsperiode. Seither ist sie, was die Betonung des Gegensatzes zwischen Land und (Groß)Stadt anbelangt, auch vorsichtiger geworden. 

Frederiksens Umschwung hat jedoch wenig damit zu tun, dass sie erkannt hat, dass Dänemark für solche geografischen Konflikte zu klein ist. Der eigentliche Grund war, dass die Sozialdemokratie bei den Kommunalwahlen 2021 in den vier großen Städten, Kopenhagen, Aarhus, Odense und Aalborg eingebrochen ist. Dort musste die Partei Verluste von zwischen 9 und 11,8 Prozentpunkten hinnehmen. 

In gut einem Jahr sind wieder Kommunalwahlen, und es wäre ein großer Prestigeverlust für die alte Arbeiterpartei, sollte sie erstmalig, seit sie 1938 geschaffen wurde, den Oberbürgermeisterposten in Kopenhagen verlieren. 2021 haben sie ihn nur mit Ach und Krach halten können, denn die Einheitsliste wurde stärkste Kraft. Die Links-Außenpartei konnte jedoch nicht genug Unterstützung bei den anderen Parteien sammeln. 

Jetzt soll es Pernille Rosenkrantz-Theil als neue OB-Kandidatin richten. Bis vor zwei Wochen war sie Sozialministerin. Selbst hat sie öffentlich Zweifel angemeldet, ob sie es schafft.

Die Sozialdemokratie hat sich die Probleme selbst zuzuschreiben. Denn man kann durchaus den ländlichen Raum stärken, ohne dauernd gegen „Kjöwenhavnerne“ zu wettern. Vielleicht würde das Land ja sogar am besten fahren, wenn man auf die jeweiligen Stärken im ländlichen Raum, in den Provinzstädten und den Großstädten setzt, anstatt Gegensätze aufzubauen – nur so ein Gedanke von mir. 

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