Leitartikel

„Rechte und Pflichten – und eine neue Kultur“

Rechte und Pflichten – und eine neue Kultur

Rechte und Pflichten – und eine neue Kultur

Kopenhagen
Zuletzt aktualisiert um:

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Die sozialdemokratische Regierung will eine neue Kultur auf dem Arbeitsmarkt erzwingen. Nur durch die Herabsetzung der Sozialhilfe geht das nicht, schreibt Chefredakteur Gwyn Nissen.

Dänemark hat sich als Wohlfahrtsstaat in der ganzen Welt einen Namen gemacht. Hier fällt man (in der Regel) nicht durch und landet ganz unten, sondern wird von den sozialen Hilfsmaßnahmen aufgefangen. So ist es zumindest viele Jahre gewesen und ist es noch – idealerweise. Aber das soziale Auffangnetz ist nicht mehr so engmaschig wie früher, und die Maschen sollen nun sogar noch größer gestrickt werden.

Nachdem Corona in den vergangenen eineinhalb Jahren die normale politische Tagesordnung außer Kraft gesetzt hat, will die sozialdemokratische Regierung nun endlich Politik machen. Den Anfang machte diese Woche eine Arbeitsmarktreform – die erste von vielen Reformen, die bis zur nächsten Folketingswahl (spätestens im Sommer 2023) den Weg für einen weiteren sozialdemokratischen Wahlsieg ebnen sollen.

Zum Auftakt gab es einen Klassiker nach den sozialdemokratischen Grundprinzipien „Rechte und Pflichten“. Zum Recht gehört, dass man Hilfe bekommen kann, wenn man sie braucht. Zur Pflicht, dass man arbeiten sollte, wenn man kann. Das gilt für Akademiker oder Ausgebildete, die in ihrer Branche keine Arbeit finden, ebenso wie für Einwanderer-Frauen, die außerhalb des Arbeitsmarktes stehen.

Der Grundgedanke ist fair, denn zum dänischen Wohlfahrtsstaat gehört eben auch, dass alle solidarisch dazu beitragen, indem man nicht nur nimmt, sondern auch gibt.

Das Arbeitslosengeld beträgt in Dänemark 19.322 Kronen im Monat, und dazu kommen manchmal noch weitere soziale Hilfspakete. Damit lässt sich leben, und genau das ist ein Problem. Für einige Menschen stellt sich die Frage, warum für 23.000 Kronen im Monat arbeiten, wenn die finanzielle Lage dadurch schlechter wird?

So denken gewiss nicht alle, die Arbeitslosengeld beziehen, aber die Sozialdemokraten wollen eine neue Kultur erzwingen: Arbeit adelt.

Neu Ausgebildete sollen in Zukunft nicht 13.815 Kronen bekommen, wenn sie nach ihrer Ausbildung keine Arbeit finden, sondern nur 9.500 Kronen. Das Signal ist deutlich: Findet eine Arbeit, auch wenn es nicht euer Wunschberuf ist – es ist eure Pflicht.

Wer Kinder hat, behält übrigens den bisherigen Betrag, und wer unverschuldet arbeitslos wird, darf sich sogar darüber freuen, dass es in Zukunft in den ersten drei Monaten der Arbeitslosigkeit nicht 19.322 Kronen gibt, sondern gar 5.000 Kronen obendrauf.

Wer in Not gerät, soll also weiterhin die nötige Hilfe bekommen. So viel zum Recht.

Danach folgt allerdings die Pflicht, so die Sozialdemokraten – die in der Opposition dafür zum Teil Anerkennung finden, im eigenen roten Lager aber auch auf Kritik stoßen. Im Großen und Ganzen ist dies aber keine neue Haltung oder Politik in der dänischen Gesellschaft. Aber es gibt eben noch kleinere Randgruppen, die nicht die geltende Arbeitskultur und -Moral angenommen haben.

Ob es gelingt, indem man politisch Löcher ins soziale Auffangnetz reißt, ist eher fraglich. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Regierung versucht, den Geldhahn zuzudrehen. Mit der anderen Hand muss man Hilfestellung leisten, denn eine solche Umstellung und ein solches Kulturverständnis kommen nicht von allein – auch nicht unter Druck.

Wenn das nicht gelingt, lässt man die Leute geschwächt unter dem Auffangnetz liegen, und dann verlieren sowohl die betroffenen Menschen und ihre Familien als auch der Staat selbst.       

 

Mehr lesen