Leitartikel

„Viele Hände“

Viele Hände

Viele Hände

Nordschleswig/Kopenhagen
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Die Unternehmen ringen in diesen Tagen nach Arbeitskräften, und das wird in den kommenden Jahrzehnten nicht anders werden. Die Konservativen wollen gemeinsam mit der Radikalen Venstre an der Steuerschraube stellen. Doch es gibt noch mehr Möglichkeiten, meint Chefredakteur Gwyn Nissen.

Überall fehlen in der dänischen Wirtschaft derzeit die Mitarbeiter: in den Handwerker-Unternehmen, in der Industrie, in der Gastronomie, in den Hotels und in den Geschäften. Es gibt viel zu tun, und es wird händeringend nach mehr Händen gesucht.

Niemand sollte darauf setzen, dass das Problem von sich aus verschwindet. Die Demografie spricht einfach dagegen: Bereits 2025 wird es in Dänemark 75.000 weitere Personen über 80 Jahre geben und 2030 lautet die Zahl 161.000. Nicht, dass viele von den Älteren auf dem Arbeitsmarkt aktiv sind, aber die Rechnung an den Wohlfahrtsstaat Dänemark steigt, während das Wachstum durch den Arbeitskraftmangel ins Stocken gerät. 

Eine neue Allianz im Folketing hat anscheinend eine Lösung: Die Konservativen und Radikale Venstre wollen über die Steuerschraube für mehr Mitarbeiter sorgen: Der Spitzensteuersatz soll unter anderem gesenkt und der Beschäftigungszuschuss angehoben werden, damit es sich sowohl für Gering- als auch für Besserverdienende lohnt, mehr zu arbeiten. Außerdem solle die Lohngrenze, um ausländische Arbeitskraft holen zu können, auf 360.000 Kronen gesenkt werden. 

Die beiden Parteien rechnen damit, 6.200 neue Arbeitsplätze zu schaffen. Vor allem der dritte Vorschlag hat Potenzial – vielleicht sogar noch mehr, als die Konservative Volkspartei und Radikale Venstre sich erhoffen.

Allerdings müsste dann nicht nur an der Steuerschraube gestellt werden, sondern auch an dem Willen, Ausländer in Dänemark willkommen zu heißen und ihnen Einreise und Einstieg zu erleichtern. Im unbürokratischen, digitalisierten Dänemark ist die Einreise für ausländische Mitarbeiter ein bürokratischer Marathon, der alles andere als eine Willkommenskultur signalisiert.

Bei der 75-Jahr-Feier Schleswig-Holsteins würdigte die politische Spitze des Landes den Einsatz der Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg. Zwar seien auch sie damals nicht alle erwünscht gewesen, aber sie hätten einen maßgeblichen Anteil am Wiederaufbau Schleswig-Holsteins.

Eine späte, aber wichtige Einsicht, die man sich heute noch zu Herzen nehmen sollte. Das sind außerdem ganz andere Töne als in Dänemark, wo die Wirtschaft förmlich nach ausländischer Arbeitskraft ruft, die Politik aber nicht nur das Potenzial links liegen lässt, sondern einer positiven Einwanderung auch noch Hindernisse in den Weg wirft.

Die Möglichkeiten sind so offensichtlich, aber es ist fraglich, ob sich an der dänischen Ausländerpolitik etwas ändern wird – trotz des Arbeitskraftmangels. Dann lieber an den Prinzipien festhalten und zusehen, wie unsere Wirtschaft scheitert. Traurig, aber wahr.     

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