Leitartikel

„Wie Støjberg und Co. unsere Minderwertigkeitskomplexe ausnutzen – und schüren“

Wie Støjberg und Co. unsere Minderwertigkeitskomplexe ausnutzen – und schüren

Wie Støjberg und Co. unsere Minderwertigkeitskomplexe nutzen

Apenrade/Aabenraa
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Die Kopenhagenerei – sie ist uns in Nordschleswig schon lange ein Dorn im Auge. Endlich kommt mal eine Partei, die sich des Problems annimmt, fühlen viele. Doch, schreibt Cornelius von Tiedemann, hier wird mit Kalkül mit den Gefühlen der Menschen gespielt, anstatt ihnen reinen Wein einzuschenken.

Das Gute daran, von hier aus auf die sogenannte Kopenhagenerei zu schimpfen, ist, dass dann mal wieder jemand anderer schuld an der eigenen Misere ist.

Manchmal sind wir ja auch im Recht, wenn wir auf die „Großkopferten“, wie der Bayer sagt, in der Hauptstadt schimpfen. Wenn wir ihnen vorwerfen, uns für Hinterwäldler zu halten. Wenn wir meinen, dass sie nicht über den eigenen Tellerrand hinausblicken würden. Und wenn wir beklagen, dass über viele Jahre zentralisiert wurde, ohne an die Folgen zu denken.

Das Schlechte daran ist, dass es in sehr vielen Fällen aber auch einfach nicht stimmt, dass Kopenhagen schuld daran ist, wenn hier etwas nicht läuft. Verallgemeinerungen sind selten zielführend. Anstatt eigenverantwortlich und selbstbewusst zu handeln, begeben wir uns mit unseren Schuldzuweisungen allzu gerne in eine politische Opferrolle.

Und damit tragen wir mindestens so sehr wie die kritisierte Kopenhagenerei dazu bei, dieses Land zu spalten.

Wir wollen Inger Støjberg im Folketing, die es denen da oben zeigt!

Cornelius von Tiedemann

Denn wir differenzieren nicht genug zwischen vereinfachenden oder irreführenden Parolen und gerechtfertigter Kritik am Auseinanderdriften des gesellschaftlichen Zusammenhalts.  

Wir verschließen die Augen vor unserem Anteil am Problem, dass die ländlichen Räume nicht so flexibel auf Veränderungen reagieren wie Städte.

• Wir ärgern uns über das Ladensterben in den Dörfern, fahren aber zum Großeinkauf ins Gewerbegebiet oder nach Süderlügum und Flensburg – und bestellen den Rest im Internet. Was kann Kopenhagen dafür?

• Wir ärgern uns, dass auf Christiansborg die Wirklichkeit im Grenzland nicht gesehen wird – und die Grenzkontrollen unseren Alltag in einer einst vorbildlichen, offenen europäischen Grenzregion unnötig erschweren. 

Gleichzeitig wählen wir in Nordschleswig selbst die Parteien, die scharfe Grenzkontrollen und eine Abkehr von der europäischen Integration auf dem Programm haben.

• Wir lästern über die „Überempfindlichkeit“ oder „Hysterie“ der Kopenhagenerinnen und Kopenhagener, was Gleichstellung und Respekt vor sexueller, kultureller und ethnischer Vielfalt angeht. Gleichzeitig beklagen wir uns, dass unser Nachwuchs, die Jungen und Kreativen, lieber in Kopenhagen und den anderen großen Städten leben wollen. 

• Wir regen uns über die Gesundheitsversorgung auf – und vergessen, dass die Region zu großen Teilen über sie entscheidet. 

• Wir klagen über Leerstand in den Dörfern, sind aber dagegen, dass die Häuser zum Wochenendsitz der vielen Tausenden aus Hamburg und anderswo in Deutschland werden können.

Jedem Kind sagen wir: Du kannst nicht beides haben! Ihnen lassen wir die Opferrolle nicht durchgehen. 

Politisch aber verhalten wir uns selbst wie Kleinkinder, wenn wir mit dem Finger auf die große Schwester Kopenhagen zeigen und weinen, dass sie alles darf – und wir nicht.

Wollen wir uns wirklich vormachen, dass wir damit weiterkommen?

Es gibt Politikerinnen und Politiker, die genau das wollen. Sie haben den politischen Markt sondiert und festgestellt, dass es ohne großen Aufwand möglich ist, viele Stimmen zu sammeln, indem man nicht etwa visionäre politische Programme entwickelt – sondern den Menschen nach dem Mund redet.   
 

Wir bewegen uns hier auf Trump-Niveau. Obwohl selbst fest in elitären Strukturen verankert, machen uns Inger Støjberg und Co. etwas vor. Sie bedienen unser Minderwertigkeitsgefühl.

Cornelius von Tiedemann

Ob sie sich nun, wie die Vorsitzende des AfD-Abklatsches Neue Bürgerliche, auf einem Plakat im Schweinestall räkeln. Oder ob sie, wie Inger Støjberg, schlicht an den Neid appellieren.

Missgunst und Neid, sie sind die Eltern der Genugtuung. Und welch Erfüllung würde Ingers Wahl-Triumph jenen bescheren, die sich in ihrer neidgesteuerten Politik – auch gegen alle geltenden rechtlichen und ethischen Übereinkünfte – wiederfinden?

Wir bewegen uns hier auf Trump-Niveau. Obwohl selbst fest in elitären Strukturen verankert, machen uns Inger Støjberg und Co. etwas vor. Sie bedienen unser Minderwertigkeitsgefühl und machen sich dabei das Prinzip von Angebot und Nachfrage zunutze.

Es ist keine neue Masche – aber eine, die Konjunktur hat. Wieder einmal ist – nach den Menschen anderer Herkunft oder Religion – eine Gruppe gefunden, die irgendwie anders ist als wir. Eine Gruppe, die schuld daran ist, dass es uns schlecht geht oder zumindest nicht so gut wie ihnen.

Die sogenannte Elite, und besonders die Kopenhagener Elite, die Bildungselite, die Kulturelite – „die da oben“ – das ist ein geradezu klassisches Feindbild politischer Propaganda von ganz links und ganz rechts. 

Je öfter Støjberg und Co. behaupten, dass die schuld sind und wir Opfer, je öfter sie es andeuten, je öfter Journalistinnen und Journalisten sie danach fragen, desto fester setzt sich in unseren Köpfen die Annahme, dass es tatsächlich eine geteilte Gesellschaft gibt, dass es Täter und Opfer gibt.

Dann wollen wir, die Opfer, Genugtuung. Wir wollen Inger Støjberg im Folketing, die es denen da oben zeigt!

Wir wollen Schuldige, und wir wollen mit dem Finger auf unsere große Schwester Kopenhagen zeigen und endlich recht bekommen.

Deshalb wählen so viele von uns Inger Støjberg und die anderen, die uns in unserem Minderwertigkeitsgefühl bestätigen und bestärken. Deshalb geben wir ihnen die Macht, nach der sie sich sehnen.

Dass sie dabei viele der Bande zerschlagen, die unsere Gesellschaft zusammenhalten, nehmen wir billigend in Kauf.   

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