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Ländlicher Raum: Sozialdemokraten sehen geografische Klassenunterschiede

Ländlicher Raum: Sozialdemokraten sehen geografische Klassenunterschiede

Sozialdemokraten sehen geografische Klassenunterschiede

Kopenhagen
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Bjørn Brandenborg (l.) und Lars Olsen bei der Präsentation des Buches auf Christiansborg Foto: Walter Turnowsky

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Der Folketingsabgeordnete Bjørn Brandenborg und der Autor Lars Olsen sehen eine Benachteiligung des ländlichen Raums. Sie haben in einem neuen Buch eine Reihe von Forderungen aufgestellt. Doch auch parteiintern stoßen sie nicht nur auf Unterstützung.

Die Oberklasse drängt sich in der Hauptstadt zusammen und die Arbeiterklasse zieht gen Westen.

Das ist die Kernaussage in dem Buch „Det de kalder udkanten kalder vi hjem“. Es stammt aus der Feder des sozialdemokratischen Folketingsabgeordneten Bjørn Brandenborg und des Autors und sozialdemokratischen Denkers Lars Olsen. 

„Es gibt zu große geografische Unterschiede in unserem Land. Die Ungleichheit in unserer Gesellschaft hat im hohem Maße mit Geografie zu tun“, sagt Brandenborg dem „Nordschleswiger“. 

Überdurchschnittlich Anteil Arbeiterklasse in Nordschleswig

Die beiden Autoren haben analysiert, in welchen Kirchengemeinden die Arbeiterklasse überdurchschnittlich vertreten ist. Das gilt bis auf wenige Ausnahmen für sämtliche Kirchengemeinden in Nordschleswig. In der Kommune Apenrade (Aabenraa) sind es alle. Genau umgekehrt sieht es in Kopenhagen aus.

Auf entsprechende Weise haben sie aufgeschlüsselt, in welchen Kirchengemeinden die Oberklasse und die obere Mittelklasse überdurchschnittlich vertreten sind. In Nordschleswig ist das nur in drei Gemeinden der Fall: Düppel (Dybbøl) und Hörup (Hørup) in der Kommune Sonderburg (Sønderborg) sowie Aastrup in der Kommune Hadersleben (Haderslev).

Wohlhabende in Kopenhagen

In Kopenhagen und Nordseeland leben dagegen überdurchschnittlich viele wohlhabende Menschen in der großen Mehrzahl der Kirchengemeinden. Das sah 1987 noch anders aus. Damals war der Anteil der Wohlhabenden sowie der Arbeiterklasse in den meisten Kirchengemeinden in Nordschleswig wie in Kopenhagen noch ausgewogen. 

„Welche Möglichkeiten man hat oder nicht hat, hängt hochgradig davon ab, wo man wohnt. Mit unserem Buch wollen wir sowohl diese Unterschiede dokumentieren, als auch eine Debatte anstoßen, wie wir das ändern können“, so Brandenborg. 

Autoren sehen Wohlfahrt gefährdet

Nach Ansicht der Autoren führt das dazu, dass die Wohlfahrt in der Provinz leidet. Die Steuereinnahmen sind in diesen Kommunen geringer als in den Großstädten und trotz kommunalem Ausgleich, müssten sie sparen.

„Eine Familie in Tondern (Tønder) oder in Norburg (Nordborg) hat das gleiche Recht auf gute Wohlfahrt wie eine Familie im zentralen Kopenhagen“, meint der sozialdemokratische Abgeordnete, der aus fünischen Svendborg kommt. 

Aussiedlung von Arbeitsplätzen hat nicht funktioniert

Ein Versuch, der Zentralisierung entgegenzusteuern, ist die Aussiedlung von staatlichen Arbeitsplätzen. Die damaligen Venstre-geführten Regierungen haben diese 2015 und 2018 beschlossen. Seither hat die sozialdemokratische Regierung unter Mette Frederiksen beschlossen, Ausbildungsplätze von den großen Städten in die Provinz zu verlagern.

Definition der Klassen

So definieren die Autoren die Klassen (Die Prozente beziehen sich auf den Anteil der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter):

Oberklasse (1,8 Prozent)

Selbstständige und Personen in Spitzenpositionen mit einem persönlichen Jahreseinkommen von mehr als 1,2 Millionen Kronen pro Jahr

Obere Mittelklasse (15,8 Prozent)

Selbstständige, Personen in leitenden Positionen mit einem persönlichen Einkommen zwischen 805.000 und 1,2 Millionen Kronen sowie Akademikerinnen und Akademiker.

Mittelklasse (26 Prozent)

Selbstständige, Personen in leitenden Positionen sowie Personen mit einer mittellangen oder kurzen weiterführenden Ausbildung mit einem Einkommen von unter 805.000 Kronen.

Arbeiterklasse (38 Prozent)

Facharbeiterinnen und Facharbeiter sowie ungelernte Arbeiterinnen und Arbeiter (keine leitenden Funktionen)

Langfristig außerhalb des Arbeitsmarktes (18,3 Prozent)

Bjørn Brandenborg im Gespräch mit Finanzminister Nicolai Wammen dem sozialdemokratischen Abgeordneten Simon Kollerup (r.) während Erling Bonnesen von Venstre im Buch blättert Foto: Walter Turnowsky

Das Gesamtergebnis bei der Aussiedlung der staatlichen Arbeitsplätze ist jedoch nicht überzeugend. Die Autoren zitieren eine Studie der Organisation „Balance i Danmark“, die zeigt, dass zwar zwischen 2015 und 2023 7.000 staatliche Arbeitsplätze außerhalb der größeren Städte geschaffen worden sind. Gleichzeitig sind jedoch 9.000 im Großraum Kopenhagen und Aarhus entstanden. Das Gleichgewicht hat sich also weiter in Richtung Großstadt verschoben.

„Es kann durchaus sein, dass wir hier versagt haben. Wir sind auf alle Fälle nicht aufmerksam genug darauf gewesen, wie stark die Systeme sind“, so Brandenborg.

Die beiden Autoren schlagen vor, dass die Regierung hier eine härtere Gangart gegenüber dem Beamtenapparat und den staatlichen Behörden einlegt. Diese haben sie als die Schuldigen ausgemacht. Zukünftig soll die Anzahl der staatlichen Arbeitsplätze in den großen Städten nicht wachsen dürfen.

„Wir nennen das Prinzip ‚kündigen oder aussiedeln‘ (fyr eller flyt). Wird ein neuer staatlicher Arbeitsplatz geschaffen, muss entweder ausgesiedelt oder eine Stelle abgebaut werden“, so der sozialdemokratische Abgeordnete. 

Kritik an Entscheidungsträgerinnen und -trägern in Kopenhagen

Als eine zentrale Ursache für die geografische Ungleichheit sehen die Autoren den hohen Anteil an wohlhabenden und akademisch ausgebildeten Menschen in der Hauptstadt, die in ihrer Optik den Rest des Landes nicht verstehen. Sie sprechen vom „apartem“ Kopenhagen, ein Begriff, der auf Dänisch in keiner Weise positiv besetzt ist. 

„Es ist eine Stadt der Beratungsfirmen, Finanzhäuser, einer großen Universität und haufenweise öffentlicher Verwaltung, aber wenig von dem Produktionsdänemark, das das Rückgrat unserer Wirtschaft ausmacht“, heißt es in dem entsprechenden Kapitel des Buches, das von Lars Olsen verfasst ist. 

Daher würden die Meinungsbildung und die Entscheidungen vom Weltbild der Wohlhabenden sowie Akademikerinnen und Akademiker geprägt. Dies sei teils bürgerlich-liberal, teils „progressiv und politisch korrekt – woke, klimaschick, einwanderungsliberal …“, so Olsen.

Parteimitglieder distanzieren sich

Mit diesen Äußerungen stoßen die Autoren jedoch auf Widerstand innerhalb der eigenen Partei. Pernille Rosenkrantz-Theil, die bis vor Kurzem Sozialministerin war, sagt. Laut „DR“, sie sei„vollkommen uneinig“ mit den Aussagen des Buches. Sie ist Kandidatin für das Amt als Oberbürgermeisterin in Kopenhagen. 

Auch die Sprecherin der sozialdemokratischen Fraktion im Kopenhagener Stadtrat, Laure Rosenvinge, kritisiert das Buch. Sie meint, es sei ein Vorurteil, dass Kopenhagenerinnen und Kopenhagener sich als etwas Besseres fühlen würden, als der Rest der Bevölkerung.

„Ich glaube nicht, dass der kulturelle Graben zwischen Stadt und Land so tief ist, wie die beiden Autoren ihn gerne hätten“, sagt sie laut „Altinget“

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