Analyse

„Eine Niederlage, über die Venstre sich freut“

Eine Niederlage, über die Venstre sich freut

Eine Niederlage, über die Venstre sich freut

Kopenhagen
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Hat trotz Wahlniederlage Grund zum Lächeln: Jakob Ellemann-Jensen Foto: Keld Navntoft/Ritzau Scanpix

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Die Kommunalwahlen haben gezeigt, dass ein Regierungswechsel nach den kommenden Folketingswahlen nicht mehr aussichtslos erscheint. Daher kann Venstre, trotz Rückgangs, mit dem Ergebnis insgesamt zufrieden sein, meint Walter Turnowsky. Doch ein anderer freut sich noch mehr.

Jakob Ellemann-Jensen hat zwei Gründe, sich zu freuen und einen, sich weniger zu freuen.

Zunächst ist die Niederlage für Venstre mit einem Minus von 1,9 Prozentpunkten deutlich geringer ausgefallen, als Ellemann befürchten musste. Für eine Partei, die sich zwei Jahre lang in einer Dauerkrise befunden hat, ist das Ergebnis durchaus zu verkraften.

Schlecht für Soz. = gut für V

Doch der wichtigere Grund zur Freude, und der Venstre-Boss wird sich davor hüten, dies allzu offen zu zeigen, ist die Niederlage der Sozialdemokraten. Sie bedeutet, dass Ellemann nun nicht mehr nur in der Theorie der Staatsministerkandidat des bürgerlichen Lagers ist: Ein Regierungswechsel ist denkbar geworden.

Doch hier sind wir dann auch bei dem für Ellemann weniger erfreulichen Punkt angekommen: Er ist nicht mehr der einzige Staatsministerkandidat des bürgerlichen Lagers. Sollten die Mehrheitsverhältnisse nach der Folketingswahl, die spätestens im Juni 2023 kommt, wechseln, könnte der Regierungschef auch Søren Pape Poulsen heißen.

Konservativer Wille zur Macht

Denn die Konservativen sind mit einem Zuwachs von 6,4 Prozentpunkten die ganz großen Gewinner der Kommunalwahlen. Den Willen zur Macht haben sie bei den nächtlichen Konstituierungsverhandlungen bewiesen. Obwohl sie zum Beispiel in Apenrade (Aabenraa), Kolding und Vejen kleiner als Venstre wurden, konnten sie dem bürgerlichen Konkurrenten dort den Bürgermeistersessel abjagen.

Hilfe dabei bekamen sie von der Sozialistischen Volkspartei, auf Bornholm sogar von der Einheitsliste. Die Uhren in den Rathäusern ticken zwar deutlich anders als auf Christiansborg, und es gibt jedes Mal ungewöhnliche Koalitionen. Doch dieses Mal sind die Konservativen auffällig häufig solche Absprachen eingegangen.

Sollte sich die Möglichkeiten bieten, wird Pape nach dem Staatsministerposten greifen. Dies wird nicht mithilfe der linken Parteien geschehen, aber es gibt ja noch die Radikalen. Und werden die Konservativen größer als Venstre, wird und muss er den Posten sogar fordern.

Historisch schlechtes Ergebnis für Sozialdemokraten

Doch wie gesagt, muss dazu erst einmal ein Mehrheitswechsel her. Bereits vor der Corona-Krise erschien dieser sehr unwahrscheinlich, und während der Pandemie konnte Mette Frederiksen die Popularität der Sozialdemokraten in lange nicht da gewesene Höhen steigern.

Doch die Zeiten sind nun vorbei. Der Rückgang von 4,0 Prozentpunkten ist empfindlich, das Ergebnis von 28,4 Prozent schlechter als 2013. Damals war Helle Thorning Schmidt Staatsministerin und Parteivorsitzende – und die Sozialdemokraten waren nicht gerade populär.

Die verschwundenen SMS haben sicherlich bei der sozialdemokratischen Niederlage eine gewisse Rolle gespielt. Doch die empfindlichsten Rückschläge erlebte die Partei in den vier großen Städten mit Verlusten von 10 Prozentpunkten und mehr. Hier interessieren die Wählerinnen und Wähler sich eher weniger für die Minks.

Uncool in den Großstädten

Dagegen haben die Frederiksen-Sozialdemokraten mit ihrer straffen Ausländer- und der zögerlichen Klimapolitik für viele Großstädter kein attraktives Politikangebot. Hinzu kommt eine Rhetorik, die sich gegen die großen Städte und gegen die Eliten gerichtet hat.

Das Schaffen von Ausbildungsplätzen in der Provinz, Gesundheitsangebote und Polizei vor Ort sind sicher sinnvolle, ja notwendige Projekte. Doch, und das mögen Frederiksen und ihr Chefideologe Kaare Dybvad abstreiten so viel sie möchten, die Wählerinnen und Wählern in den großen Städten haben die Art, wie vieles präsentiert worden ist, als gegen sie gerichtet empfunden. Die Zahlen sprechen ihre deutliche Sprache.

Einige Vorschläge zugunsten der Großstadtbevölkerung in den Monaten, Wochen und Tagen vor der Wahl konnte das uncoole Image der Sozialdemokraten hier nicht aufbessern. Die Frage ist, ob sie es in den kommenden eineinhalb Jahren schaffen können.

K wie cool?

Vor allem die Einheitsliste konnte von der Schwäche der Sozialdemokraten profitieren, und so blieben viele der Stimmen im linken Lager.

Doch auch die Konservativen konnten in Aalborg, Aarhus, Odense und Kopenhagen überdurchschnittlich zulegen. Venstre ist hier ebenso wenig hip wie die Sozialdemokraten.

Pape kommt offenbar derzeit am besten sowohl in der Provinz als auch in den großen Städten an – verprellt offenbar weder hier noch dort die Wählerinnen und Wähler. Er hat sich zwar noch nicht offiziell zum Staatsministerkandidaten erklärt – de facto ist er es schon längst.

 

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