100 Jahre Grenzziehung

2020 in Deutschland: „Es ist noch nicht zu spät!“

2020 in Deutschland: „Es ist noch nicht zu spät!“

2020 in Deutschland: „Es ist noch nicht zu spät!“

Nordschleswig
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Hinrich Jürgensen meint, die Bewerbung des deutsch-dänischen Minderheitenmodells als Weltkulturerbe sei ausführlich genug gewesen. Foto: Lars Salomonsen, Flensborg Avis

Können die Feierlichkeiten 1920-2020 über die Region hinausstrahlen? Der Kommunikationschef der deutschen Minderheit ist zuversichtlich – während Historiker Schlürmann skeptisch bleibt. Er ist überzeugt, dass das Thema südlich der Elbe nicht relevant ist.

Die Feierlichkeiten aus Anlass der Volksabstimmung und Neufestlegung des deutsch-dänischen Grenzverlaufs sind bereits angelaufen. Vor allem auf dänischer Seite ist ein vielfältiges Programm unter der Überschrift „Genforeningen 2020“ geplant. Auch das Land Schleswig-Holstein hat einige Ereignisse in Planung – doch wie sieht es eigentlich im Rest Deutschlands aus? Nimmt man südlich der Elbe überhaupt Notiz von diesem Ereignis?

Keine bundesweite Relevanz

Der Historiker Jan Schlürmann ist skeptisch. Er ist überzeugt, dass das Thema bundesweit keine Relevanz hat. „Bereits die eigene Landesgeschichte ist im Bundesland Schleswig-Holstein nicht so bekannt. Hinzu kommt, dass die schleswig-holsteinische Landesgeschichte keinen hohen Stellenwert in Deutschland einnimmt. Zudem gehören die Ereignisse von 1920 nicht zum Schulpensum in Schleswig-Holstein, zentralen Stellenwert nimmt stattdessen die gesamtdeutsche Geschichte ein.“

Eine weitere Herausforderung liege darin, dass die dänische Seite die Feierlichkeiten 1920-2020 mit dem Wort „Wiedervereinigung“ betitelt, die deutsche Seite dafür aber keinen adäquaten Begriff hat. Vielmehr sei das Wort „Wiedervereinigung“ in der deutschen Öffentlichkeit komplett mit der deutsch-deutschen Wiedervereinigung von 1990 belegt.

Grenzregion gerät aus dem Blickfeld

Außerdem würde ein solches Ereignis auch schnell von anderen Jahreszahlen wie zum Beispiel dem Kriegsende vor 75 Jahren verdrängt. Hinzu komme, dass die gesamte Aufmerksamkeit, auch die der Bundesregierung, nicht auf dem Norden liege. 

Und das sei bedauerlich, schließlich ist die deutsch-dänische Grenze die einzige, die stabil ist. „Die dänische Regierung macht den Fehler, dass sie die schleswig-holsteinische Landesregierung zur Seite schiebt, weil sie ‚nur‘ eine Landesregierung ist, während umgekehrt Dänemark von Berlin nicht hinreichend beachtet wird. Dies hat den Effekt, dass sich der Blick nicht mehr auf die unmittelbare Grenzregion und damit Nordschleswig und Schleswig-Holstein richtet, sondern in beiden Staaten vor allem die landesweite Perspektive im Vordergrund steht“, sagt Schlürmann.

Vielleicht liege es gerade an dem guten Verhältnis zwischen beiden Staaten; „dennoch ist dies eine ungenutzte Chance, da man sich nicht richtig an die Minderheiten auf beiden Seiten der Grenze als die relevanten Hauptakteure zu erinnern scheint“, gibt Schlürmann zu bedenken.

Veranstaltungen in Deutschland und Dänemark

Ein Blick auf die geplanten Feierlichkeiten von Seiten des Landes Schleswig-Holstein lenkt die Aufmerksamkeit vor allem auf die zentrale Veranstaltung am 23. August in Flensburg, bei der ein ökumenischer deutsch-dänischer Gottesdienst in der St. Nikolaikirche und ein Festakt im Deutschen Haus im Mittelpunkt stehen, ergänzt durch ein großes Schleswig-Holstein-Fest zwischen Südermarkt und Hafenspitze. Des Weiteren wird es Besuche von Ministerpräsident Günther während der Kieler Woche sowie im August des Ministerpräsidenten gemeinsam mit dem Landtagspräsidenten Schlie bei den Minderheiten, Wirtschaftsunternehmen und bei Jubiläumsprojekten nördlich und südlich der Grenze geben. Und auch die Schulen sind im Blickfeld der schleswig-holsteinischen Landesregierung, unter anderem durch Projekte wie Schüleraustausche und Sprachförderung. 

Und auch landesweit stehen im Rahmen des deutsch-dänischen Freundschaftsjahres über 100 Veranstaltungen und zwölf Leuchtturmprojekte in beiden Ländern an, unter anderem mit einer Ausstellung über die deutsche Geschichte im Nationalmuseum in Kopenhagen, einer Aufführung von Bertolt Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ vom Königlichen Theater oder einem musikalischen Programm im Rahmen des Beethovenjahres. 

2020 nicht im Lehrplan enthalten

Auch auf deutscher Seite gibt es viele Veranstaltungen. Doch all dies lenkt den Fokus nicht unbedingt auf die Volksabstimmung und Neufestlegung des deutsch-dänischen Grenzverlaufs vor 100 Jahren.

Harro Hallmann, Kommunikationschef des Bundes Deutscher Nordschleswiger (BDN) und Sekretariatsleiter der deutschen Minderheit in Kopenhagen, beklagt wie Historiker Schlürmann, dass die Ereignisse von 1920 nicht Teil des Lehrplans in Schleswig-Holstein sind. „Und dann kann man sich ausrechnen, dass das Wissen dazu im Rest Deutschlands begrenzt ist“, gibt Hallmann zu bedenken.

Leuchtturmprojekte als Chance

Auf die Frage, ob der BDN mehr hätte machen können, um das Thema prominenter zu platzieren und damit auch bundesweit verstärkt Aufmerksamkeit zu erzielen, sagt Hallmann: „Es ist noch nicht zu spät! Die Veranstaltungen laufen das ganze Jahr über, und wir haben drei Leuchtturmprojekte als Chance, größere Aufmerksamkeit zu erlangen.“ 

Dazu zählt er den europäischen Songwettbewerb für Minderheitensprachen „LIET International“ vom 3. bis 4. April; die Tagung des Europäischen Kongresses der Minderheitenparteien der Europäischen Freien Allianz (EFA) vom 23. bis 26. April; und die Veranstaltung „Team Grænsland“, das vom 2. bis 8. Mai auf dem Fahrrad vom Grenzland über Berlin nach Kopenhagen fahren will.

Mediale Aufmerksamkeit immer schwieriger

Doch wird all das ausreichen, um auch eine bundesweite Aufmerksamkeit auf das Jubiläum 1920-2020 zu erzielen? Hallmann ist zuversichtlich: „Ich bin nicht naiv, aber optimistisch. Dies sind alles medienwirksame Projekte. Aber es ist in den vergangenen 15 Jahren bestimmt nicht leichter geworden, Aufmerksamkeit zu erzielen. Der Kampf der Medien um die Aufmerksamkeit der Leser wird härter.“ 

Hinzu komme, dass die Aufgabenverteilungen und Strukturen diesseits und jenseits der Grenze schlecht zusammenpassten. Als ein Beispiel führt Hallmann die unterschiedlichen Größen der Kommunen in Dänemark und Deutschland an. Dies erfordere dann die Notwendigkeit, einen Extraeinsatz zu leisten. Und das sei schließlich immer auch eine Ressourcenfrage.

Für Historiker Schlürmann scheint es so, als wäre die deutsch-dänische Grenze schon immer da gewesen, wo sie heute ist. „Die Tatsache, dass der Landesteil Schleswig nicht als ein Teil einer historischen Landschaft wahrgenommen, sondern eher nur mit der Stadt Schleswig in Verbindung gebracht wird, macht deutlich, dass die historischen Grenzziehungen von der Eider bis zur Königsau in der Öffentlichkeit nicht bekannt sind“, ist der Historiker überzeugt.

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