Deutsche Minderheit

Mit 70 Jahren im Bücherbus durch Nordschleswig

Mit 70 Jahren im Bücherbus durch Nordschleswig

Mit 70 Jahren im Bücherbus durch Nordschleswig

Atzbüll/Adsbøl
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Matthias Zwirner ist für Hunderte Menschen in Nordschleswig eine direkte Anlaufstelle zur deutschen Minderheit, wenn er mit dem Bücherbus vorbeifährt. In jüngster Vergangenheit hat er seinen 70. Geburtstag im Kreise seiner Familie gefeiert. Foto: Sara Eskildsen

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Von Berlin über Flensburg in ein Haus in der Nähe von Atzbüll – Matthias Zwirner ist in seinem Leben weit herumgekommen. Warum er auch mit 70 noch nicht in Rente gehen, sondern täglich in den Bücherbus steigen will, verrät er im Gespräch.

Wer über die gewundene schmale Straße fährt, die aus dem Dorf Atzbüll Richtung Kobberholm führt, schlängelt sich über kleine Hügel zum Zuhause von Matthias Zwirner.

Zwischen Feldern und Wäldchen taucht im Grau des Dezembertages ein Häuschen auf. Mit blauer Tür, Sprossenfenstern und einem Bücherbus in der Einfahrt.

Hier wohnt er, der Bücherbus, der die Menschen im ländlichen Süden Nordschleswigs mit deutschsprachigen Medien versorgt. Und hier wohnt dessen Fahrer, Matthias Zwirner, den wir anlässlich seines 70. Geburtstages zum Gespräch treffen.

1995 kam der Umzug nach Dänemark

Seit 1995 wohnt die Familie Zwirner auf dem Land bei Gravenstein (Gråsten). In den ersten zehn Jahren arbeiteten sie in Flensburg (Flensborg) und lebten in Dänemark. Bis das weiße Haus an der geschlängelten kleinen Straße auftauchte – und in den Besitz der Zwirners wechselte.

 

Matthias Zwirner ist wissenshungrig und neugierig. Derzeit beschäftigt er sich intensiv mit schwedischer Geschichte und Kultur. Foto: Sara Eskildsen

Sein Abitur machte er in Lüneburg. Nach dem Musikstudium in Karlsruhe und einer Stelle als Geschäftsführer eines Kammerorchesters zogen die Zwirners 1991 nach Flensburg. Dort betrieben sie ein Musikgeschäft in der Roten Straße. Anfang des neuen Jahrtausends gaben sie das Geschäft auf – und bildeten sich weiter.

Als 2006 eine Stelle beim Verband Deutscher Büchereien für Nordschleswig frei wurde, bewarb sich Matthias Zwirner für den Bücherbus. Mit Erfolg. Seitdem ist er im Süden Nordschleswigs der „Bücherbusmann“.

Mehr als nur ein Bringdienst

Seine Arbeit ist weit mehr als nur das Vorbeibringen von Büchern und anderen Medien. Matthias Zwirner ist seit 17 Jahren für viele Kundinnen und Kunden ein sozialer Anlaufpunkt. Ein Zuhörer. Jemand, mit dem man sich austauschen kann.

„Alle Leute, die auf dem Lande wohnen, können den Bücherbus bestellen. Im Bücherbus selbst gibt es ein großes Angebot mit 3.500 Medien, außerdem kann man bestellen, was man haben möchte. Entweder per E-Mail oder über unser Bestellsystem oder über einen Anruf bei mir“, erklärt Matthias Zwirner das Prinzip.

Matthias Zwirner fährt den Bücherbus der Deutschen Zentralbücherei seit 2006. Zum 70. Geburtstag hat er einen Wunsch: einen neuen Bücherbus. Foto: Sara Eskildsen

„In der Regel habe ich dann auch noch andere Medien dabei, von denen ich denke, dass es interessiert. Es ist nicht nur ein Lieferdienst, sondern eine sehr umfangreiche Betreuung. Die sozialen Kontakte, die dabei entstehen, sind sehr, sehr intensiv. Man hört, was die Leute auf dem Herzen haben. Es ist der Kitt innerhalb der Minderheit. Ich fahre von Mjels Mark bis nach Hoyer an den Deich hinaus.“

Insgesamt gibt es 26 Touren, die der 70-Jährige bedient.

„Derzeit kommen immer mehr Menschen hinzu, vor allem im Gebiet Pattburg und Krusau. Dort werden wir quasi überrannt.“ Über seine Touren bedient Matthias Zwirner rund 700 Menschen – je nachdem, wie viele zu den rund 300 Anlaufpunkten zum Bücherbus kommen.

Mit 70 noch nicht in Rente

Denkt er manchmal daran, in Rente zu gehen? „Ich habe es so kommuniziert, dass ich noch zwei Jahre lang arbeiten will. Wenn man täglich einen positiven und runden Abschluss eines Arbeitstages findet, dann gibt das sehr viel. Dann gibt es mehr als das, was man aufbraucht an Energie.“

Das Ehepaar Zwirner in jungen Jahren: die 23-jährige Hilde und der 33-jährige Matthias. Foto: Sara Eskildsen

Mit 70 denkt Matthias Zwirner also noch nicht ans Aufhören. Woher nimmt er die Kraft für seine Vollzeitstelle?

„Die Konstitution ist noch vorhanden. Ich fühle mich noch sehr frisch und munter. Entscheidend ist auch eine positive Herangehensweise. Wenn ich beispielsweise von einer Tour auf Alsen nach Hause komme und reflektiere: Wie war das heute? Dann ist es fast immer so, dass ich denke: Das war aber schön heute. Oder: Das waren aber tolle Kontakte und Gespräche.“

Der Bücherbus kam anfangs zu den Zwirners

Der Kontakt zur deutschen Minderheit entstand für die Zwirners über die deutschen Institutionen, die Tochter Berit besuchte. Zunächst war das der Deutsche Kindergarten Rinkenis, dann die Förde-Schule und später das Deutsche Gymnasium für Nordschleswig. Außerdem nutzte die Familie selbst auch den Bücherbus und die deutschen Büchereien.

Tochter Berit ist längst erwachsen und lebt mittlerweile als Physiotherapeutin und mit der Enkeltochter der Zwirners in Berlin. In jener Stadt, in der Matthias Zwirner 1952 zur Welt kam.

Der Bücherbus wohnt bei seinem Fahrer zu Hause. Von hier aus rückt er zu 300 Anlaufstellen in Süd-Nordschleswig aus. Foto: Sara Eskildsen

Auch nach Feierabend ist Matthias Zwirner gerne von Büchern umgeben. Sein Interesse an Kultur, Literatur und Geschichte ist enorm. Derzeit beschäftigt er sich mit Schweden und der schwedischen Kulturgeschichte. Und der Frage, wo der Konflikt zwischen der Großmacht Schweden und Russland, dem Osten und dem Westen, seinen Ursprung hat.

Konfliktforschung in der Freizeit

„Man kommt sofort zu den Parallelen zu heute, zu Russland und Großmachtansprüchen. Wo kommt dieser Konflikt ursprünglich her? Im Grunde ist es ein Konflikt zwischen Ost und West, der mit dem Zerfall des Römischen Großreiches im Jahr 453 beginnt. Diese Trennung zwischen Rom und Byzanz. Eine Trennung zwischen Ost und West, die bis heute Auswirkungen hat.“

Matthias und Hilde Zwirner leben seit 1995 in ihrem Haus bei Atzbüll. Hilde Zwirner arbeitet als Krankenschwester in Sonderburg. Foto: Sara Eskildsen

Freizeit ist ansonsten ein rares Gut im Leben von Matthias Zwirner. Grund sind die Arbeitszeiten mit dem Bücherbus.

„Ich bin meistens erst um 20 Uhr wieder zu Hause. Die Leute sind tagsüber oft arbeiten. Daher findet ein Großteil der Arbeit nachmittags und abends statt. Wenn ich zur Abendbrotzeit mit dem Bücherbus vorfahre, sind die Leute froh“, erzählt der nun 70-Jährige.

Matthias Zwirner ist ein Bücherliebhaber in vielerlei Hinsicht. In seiner Bibliothek findet sich alte Literatur, unter anderem Werke des Dichters Gottfried Bürger. Foto: Sara Eskildsen

Wenn er mit seinem Bücherbus nach Hause fährt, die Kurven der kleinen Straße entlang, ist es derzeit längst schon dunkel. „Wenn ich durch die schöne Landschaft Nordschleswigs fahre, ist das auch ein Teil meiner Arbeit, den ich sehr schätze. Zu sehen, wie sich die Natur im Laufe des Jahres verändert, das ist etwas sehr Schönes.“

Was wünscht er sich im neuen Lebensjahr? „Einen neuen Bücherbus. Das ist mein großer Wunsch.“

Blick aus dem Haus auf den Bücherbus, der auf seinen nächsten Einsatz wartet Foto: Sara Eskildsen
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