Die Woche am Alsensund

„Vom Lockdown in den Breakdown“

Vom Lockdown in den Breakdown

Vom Lockdown in den Breakdown

Sonderburg/Sønderborg
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Journalistin Sara Eskildsen hat über diese Woche am Alsensund nachgedacht. Foto: Karin Riggelsen

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Raus aus dem Lockdown und hinein in ein überschwappendes Meer an Möglichkeiten – wie man nach der Wiedereröffnung der Gesellschaft nicht ins Ertrinken gerät, darüber denkt Sara Wasmund in ihrer neuen Kolumne nach.

Am Ende dieser Woche am Alsensund muss ich gestehen: Ich beginne, den Lockdown zu vermissen. Ein bisschen zumindest. Heimlich. Nachdem die Corona-Restriktionen gelockert oder ganz aufgehoben worden sind, bricht an allen Ecken und Enden emsige Aktivität aus. Wir leben noch – und das gilt es sich mit Nachdruck zu versichern.

Die deutschen Vereine können endlich ihre Generalversammlungen vom Herbst 2020 nachholen, Künstler wollen all ihre gemalten und gebastelten Werke nicht länger nur alleine angucken und laden zu Vernissagen ein.

Aus dem Rathaus kommt eine Pressemitteilung nach dem anderen über eine weitere politische Initiative, die Theater laden zu Premieren, es gibt Sitzungen, Grillabende mit Kollegen und nicht zu vergessen die Richtfeste, die derzeit so zahlreich sind wie die prallen Würste, die bei diesen Gelegenheiten für Handwerkerinnen und Handwerker und Hausgucker auf dem Grill brutzeln.

Ein Jahr voller Einsamkeit und Nicht-Möglichkeiten

Am Sonnabendnachmittag saß ich Käsekuchen essend und Kaffee trinkend im deutschen Museum, um der Generalversammlung des Sonderburger Sozialdienstes zu folgen. Die Jahresberichte gaben Einblicke in ein außergewöhnliches Jahr.

Voller Einsamkeit, Nicht-Möglichkeiten, Isolation und abgesagter Veranstaltungen. Voller Kinder und Jugendlicher, die plötzlich nicht mehr zur Schule gehen durften und zu Hause alleine klarkommen mussten. Von Alten, die monatelang keinen Besuch erhielten und wochenlang von kleinen, überbrachten Grüßen des Sozialdienstes zehrten.

Die aufgezwungene Ruhe im Lockdown war nicht für alle ein Segen, soviel steht fest. Die Geschäftigkeit, mit der nun alle in einen normalen Alltag zurückstürzen, ist es aber auch nicht.

Sara Wasmund, Journalistin

Die aufgezwungene Ruhe im Lockdown war nicht für alle ein Segen, soviel steht fest. Die Geschäftigkeit, mit der nun alle in einen normalen Alltag zurückstürzen, ist es aber auch nicht.

Ob die Königin das wohl auch so empfindet?

Ob die dänische Königin das wohl auch so empfindet? Am Sonntag besucht sie Nordschleswig und sie wird unter anderem das deutsche Museum in Sonderburg besuchen. Wo Museumsleiter Hauke Grella vor der Herausforderung steht, die Geschichte der Minderheit innerhalb jener 14 Minuten zu erzählen, die im Protokoll festgeschrieben sind. Drei Kriege, Volksabstimmung, Besatzungszeit, diverse Grenzverschiebungen und von der deutsch-dänischen Feindschaft zur Freundschaft – viel Glück beim Zeiteinhalten wünsche ich!

In dieser Woche besuchte ich das Deutsche Museum für Nordschleswig, wo die Ausstellung über die Zeit des Nationalsozialismus neu eingerichtet wurde. Foto: Karin Riggelsen

Apropos Zeitdruck: Das Tagesprotokoll der Königin macht einen schier schwindelig. Der Tag beginnt für Margrethe um 10 Uhr mit einer Kutschfahrt über die alte Grenze bei Christiansfeld und endet am späten Abend mit einem Dinner mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf dem Schiff der Königin im Sonderburger Hafen. Ein sportliches Programm für eine 81-Jährige. Tauschen möchte ich – trotz Kutschfahrt – bestimmt nicht.

Anderthalb Stunden Warten auf die Königin

Vor ihrem Dinner mit Frank-Walter besucht die Königin die Düppeler Schanzen – und am Nachmittag ein Festprogramm im Alsion. Für den Termin an der Königsschanze müssen Pressevertreter anderthalb Stunden vorher zum Sicherheitscheck antanzen. Ich darf dann quasi in einem Mini-Lockdown meine Pressezone für anderthalb Stunden nicht verlassen und muss dem Gras auf den Düppeler Schanzen beim Wachsen zusehen, bevor die Königin anrollt und die auf den Rasen liegenden Medienschar in Wallung bringt.

Hut ab vor dem königlichen Basilikum, der schießt in die Höhe, das kenne ich von meinem Beet Zuhause nur vom Unkraut. Oder, wie man heute politisch korrekt sagt, von der „spontanen Begleitvegetation“.

Sara Wasmund, Journalistin

Ich könnte die Zeit nutzen und über die Bepflanzung meines nicht vorhandenen Küchengartens nachdenken. Die Königin hat an ihrem Schloss in Gravenstein ja einen. Und jedes Mal, wenn ich dort bin, werde ich ganz grün vor Neid. Hut ab vor dem königlichen Basilikum, der schießt in die Höhe, das kenne ich von meinem Beet Zuhause nur vom Unkraut. Oder, wie man heute politisch korrekt sagt, von der „spontanen Begleitvegetation“, man will den Pflanzen ja nicht auf die Wurzeln treten.

Ich würde von der Königin zu gerne eine Nachhilfestunde in Sachen Küchengarten und Grünzeug erhalten.

 

Im Juli 2020 weihte die Königin den Königlichen Küchergarten ein. Foto: Sara Wasmund

In Sachen Flora bin ich leider so blank wie eine polierte Aubergine. Manchmal stehe ich in unserem kleinen Supermarkt vor dem Regal mit den Körnern und frage mich beim Griff zur „Hørfrø“-Tüte, wie Leinsamen eigentlich angebaut werden. Ist das ein Busch, oder gibt es gar den Leinsamenbaum? Ich lache immer über Stadtkinder, die denken die Milch kommt aus der Flasche. Aber selbst nicht wissen, wo die Leinsaat wächst.

Auf der Pferdekoppel vor meinem Fenster, so viel steht fest, jedenfalls nicht. Während ich diese Zeilen schreibe, gräbt sich ein Bagger durch das Erdreich. Eine „Grabkuh“, wie der Däne sagt, frisst sich durch die Wiese. Unser Hof kriegt eine Erdwärmeanlage und in einer enormen Schleife werden die Kabelrohre verlegt. Es sieht aus, als wäre ein Monster-Maulwurf durch die Koppel gerobbt.

Mit Stress ist der wiedergewonnene Alltag nur halb so schön

Wer um alles in der Welt kam eigentlich auf die Idee, einen Stab in die Erde zu stecken und die Temperatur zu messen, um die Wärme aus der Tiefe anzuzapfen? Ich nicht, das sei versichert. In einer kleinen Pause erzählt der Bauarbeiter über den Rhabarberkuchen hinweg von den vollen Auftragsbüchern, mit den seine Baumaschinen aus dem Lockdown donnern. Der Mann hat jede Menge zu tun und ist krebsrot im Gesicht. Auf meine Nachfrage, ob er genug Wasser trinkt, hebt er die Kaffeetasse. Na denn.

Ob Königin, Journalisten, oder Handwerker – wir alle müssen gut auf uns aufpassen, dass wir aus dem Lockdown nicht in den Breakdown schlittern. Denn wer Stress hat, kann den wunderschönen Alltag in Nordschleswig post Corona nur bedingt genießen. Und das wäre doch wirklich jammerschade.

 

 

 

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