Die Woche am Alsensund

„Vom Karpfen, der in der Kläranlage lebte, bis er davonflog“

Vom Karpfen, der in der Kläranlage lebte, bis er davonflog

Vom Karpfen, der in der Kläranlage lebte, bis er davonflog

Sonderburg/Sønderborg
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Jornalistin Sara Wasmund vor dem Sonderburger Rathaus Foto: Karin Riggelsen

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Anderen Steine in den Weg zu legen, ist nicht immer nur negativ, findet Sara Wasmund. Was fliegende Karpfen aus Blans damit zu tun haben und welch atemberaubende Beobachtungen sie auf der Stadtratssitzung machte, verrät sie in ihrer neuen Kolumne „Die Woche am Alsensund“.

Was passiert, wenn man Fischen Steine in den Weg legt? Sie schwimmen daran vorbei. Und machen es sich anschließend zwischen den Gesteinsbrocken gemütlich. So geschehen in dieser Woche, als bei Kragesand 3.500 Kubikmeter Steine ins Wasser polterten, um fortan ihr Dasein als Steinriff zu fristen. Meine Kollegin Ilse hat mit dem zuständigen Biologen gesprochen und darüber berichtet.

Den Fischen mangelt es an Interieur

Während wir Menschen bevorzugt Häuser beziehen, in denen wir es uns mit Bett, Bücherregal und Badematte gemütlich machen, ist der Fisch als solcher auf jene Lebensbedingungen angewiesen, die er am Grunde des Gewässers vorfindet. Doch gute Gründe sind rund um die Kommune Sonderburg eher rar, weshalb es viele gute Gründe gibt, die für eine fischfreundliche Besteinung des Meeresbodens sprechen.

Denn: Den Fischen mangelt es an Interieur. Zwar sieht sich der Fisch zeit seines Lebens nicht mit der Herausforderung konfrontiert, eine farblich akzeptable und fußfreundliche Badematte auszuwählen, die beim Schritt aus der Dusche nicht dauernd wegrutscht oder am Unterboden klammheimlich wegschimmelt. Doch auch Fische brauchen ein Zuhause. Badematte hin oder her.

Karpfen diem

Glück hatte eine Reihe von Karpfen, die in einem Klärbecken der Schweine-Schlachterei Blans unlängst ein neues Zuhause gefunden haben, wie mein Kollege Paul Sehstedt in dieser Woche für uns recherchierte. Die Karpfen haben offenbar Geschmack an dem geklärten Wurstwasser gefunden und finden die Bedingungen derart saugut, dass sie sich wie die Ferkel in den Mastställen vermehren.

„Die Karpfen führen ein ruhiges Leben am Bassinboden, wo sie ihren ganz eigenen Umwelteinsatz leisten“, so der letzte Satz des Artikels. Das klingt nach Happy End. Nach Karpfen diem. Hier schwimmen Fische, die ihren Platz in der Gesellschaft gefunden, ja eingenommen haben. Karpfen als Klimakämpfer, die der Schlachterei beim Wassersparen helfen.

Seit drei Jahren schon versuche ich mein Glück mit dem Angeln auf dem Alsensund. Doch von Dorschen und Makrelen keine Spur. Meine Vermutung: Der Sund ist so ziemlich tot, denn an meinen Angeleigenschaften möchte ich nicht zweifeln. Foto: Privat

Es röche nach Friede, Freude und Schweinekotelett, wenn da nicht ein Haken an der Sache wäre: Unter Fischreihern der Gegend hat sich das Klärbecken längst als Geheimtipp herumgesprochen. Und so fliegt so mancher Karpfen am Ende seines Lebens durch die Luft, um direkt aus der Klärkette in die Nahrungskette überzugehen. Man könnte einen ganzen Roman darüber schreiben: „Vom Karpfen, der in der Kläranlage lebte, bis er davonflog“.

Aber was weiß denn ich. Ich bin schließlich kein Fisch

Doch zurück zu den Fischen im Sund. Während ich an manch regnerischem Tage dabei zusehe, wie die Gülle von den Feldern in braunen Flüsschen in den Sund hinabrinnt, beschleicht mich der Verdacht, dass es den Schuppenträgern möglicherweise nicht nur wegen fehlender Steine nicht so ganz gut geht.

Ich bin kein Experte. Aber die Vorstellung, Gülle in den Kiemen zu veratmen, um den nicht mehr vorhandenen Sauerstoff rauszufiltern, stelle ich mir persönlich nicht sonderlich angenehm vor. Aber was weiß denn ich. Ich bin schließlich kein Fisch, auch wenn ich nicht immer 100-prozentig schuppenfrei bin.

 

Man könnte fast meinen, im November stünde eine Kommunalwahl an. Da leuchteten die politischen Farben wie eine Regenbogenforelle kurz vor dem Ablaichen.

Sara Wasmund, Journalistin

Auch auf der Sitzung des Stadtrats am Mittwochabend wurden einander Steine in den Weg gelegt. Dabei ging es nicht um Fische, nicht mal um kleine. Streitpunkt war die ganz große Politik und die Frage, wie mit bestehenden „Ghetto“-Wohnvierteln umgegangen werden soll.

Venstre und Dänische Volkspartei schütteten dem gemeinsam ausgearbeiteten Fahrplan quasi ein ganzes Steinriff vor die Füße und verweigerten dem Entwicklungsplan die Zustimmung. Man könnte fast meinen, im November stünde eine Kommunalwahl an. Da leuchteten die politischen Farben wie eine Regenbogenforelle kurz vor dem Ablaichen.

Immerhin gab es Weißwein

Ich hätte mir am liebsten Popcorn bestellt und eine Cola entkronkorkt, so lebhaft war der Schlagabtausch. Der Unterhaltungswert war immens. Immerhin gab es Weißwein. Anlass war eine besondere Zeremonie. Sechs Stadtratsmitglieder erhielten das Ritterkreuz des Dannebrogordens – und alle Anwesenden ein Viertel Glas Weißwein und zwei Kranzkuchen-Konfekt.

Während der Stadtratssitzung am Mittwochabend, nachdem alle ihre Plätze eingemommen hatten und alle Orden verteilt worden waren. Foto: Sara Wasmund

Der Stein des Anstoßes konnte an diesem Mittwochabend nicht beiseite gerollt werden, die zwei Parteien schwammen auch bei der finalen Abstimmung gegen den Strom. Und das, obwohl man „jeden Stein in dieser Angelegenheit gewendet habe“, wie es ein Stadtratspolitiker der Sozialdemokraten ernüchtert feststellte.

 

Dabei hatte die Stadtratssitzung im großen Saal des HR-Hauses im Norden der Insel Alsen so verheißungsvoll begonnen! Geradezu fröhlich. Die Stimmung konnte kurz vor Sitzungsbeginn nicht anders als heiter beschrieben werden. 31 Stadtratspolitiker, diverse Mitarbeiter der Verwaltung, drei Pressevertreter, ein großes Hallo, Bedienungen mit Weißwein auf dem Tablett und von Corona keine Spur. Alle benahmen sich völlig unnormal normal. Ich fühlte mich an früher erinnert, an eine Zeit vor Corona. Damals …

Wagemutige Faust-an-Faust-Begrüßung

Mit „Mundbinde“ wäre man deutlich overdressed gewesen, so viel steht fest. So als würde man im Faltenrock auf einen Techno-Rave gehen und eine Brause ohne Amphetamin bestellen. Da so gut wie keiner eine Mund-Nasen-Bedeckung trug, nahm auch ich meine ab. Der Mensch ist ein Schaf.

Es gab Begrüßungsrituale, die mir den Atem stocken ließen. Zwar bleibt der Flossenschlag weiterhin den Fischen vorbehalten. Aber Faust an Faust zur Begrüßung – das war das Wagemutigste, was ich in den vergangenen Monaten gesehen habe! Der Ellenbogen hat offenbar ausgedient – in den wird jetzt nur noch reingenießt.

Mit diesen Beobachtungen vom Alsensund wünsche ich allen Lesern ein schönes Wochenende. Und wenn ein Karpfen vorbeifliegt ­– der kommt aus Blans.

 

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