Stadtentwicklung

Vom Ghetto zum Studentenviertel: Das sagt Ex-Bewohner Bent

Vom Ghetto zum Studentenviertel: Das sagt Ex-Bewohner Bent

Vom Ghetto zum Studentenviertel: Das sagt Ex-Bewohner Bent

Sonderburg/Sønderborg
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Im März 2024 musste Bent ausziehen, da sein Wohnblock abgerissen werden sollte. Jetzt haben sich die Pläne geändert: In Zukunft sollen Studierende vor Ort leben. Foto: Sara Eskildsen

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Eigentlich sollte das gesamte Wohnviertel Nørager abgerissen werden. Doch plötzlich liegt ein neuer Plan vor: 540 Studentenwohnungen sollen entstehen. Was ein Bewohner sagt, dem wegen des Abrisses gekündigt worden ist.

Kehrtwende in Sachen Nørager: Die Wohnblöcke im Norden Sonderburgs sollen nun doch nicht abgerissen, sondern renoviert und als Studentenwohnungen genutzt werden. Mit dieser Entscheidung hinter verschlossenen Türen hat eine Mehrheit des Sonderburger Stadtrats für Überraschung gesorgt. 

Alle Bewohnerinnen und Bewohner mussten ausziehen

Der Abriss der zehn Wohnblöcke wird seit Jahren vorbereitet. Der Auftrag war bereits an das Bauunternehmen SIB vergeben, sämtlichen Bewohnerinnen und Bewohnern ist längst gekündigt worden, die allermeisten sind schon ausgezogen.

Die Gegend zeugt von den vielen Auszügen: eine zurückgelassene Matratze im Innenhof. Foto: Sara Eskildsen
Um diese Wohnblöcke auf Nørager geht es. Nachdem das dänische Ministerium für Wohnen die Gegend als „hartes Ghetto“ klassifiziert hatte, war laut Gesetz ein Abriss nötig. Foto: Sara Eskildsen

Am Dienstagabend fiel bei einer eigens anberaumten und nicht öffentlichen Stadtratstagung die Entscheidung: Die Ratsmitglieder von Sozialdemokratie, Schleswigsche Partei (SP) und Einheitsliste beschlossen, aus Nørager ein Studentenviertel machen zu wollen. 

Venstre, Dänische Volkspartei und Neue Bürgerliche stimmten gegen die Pläne. 

 „Nicht mit aufgehübschten Ghettowohnungen von sich reden machen“

Die Gegenargumente: Man habe in Sonderburg und Norburg (Nordborg) bereits gute Erfahrungen mit Abrissen sozial schwacher Wohnviertel gemacht, und man wolle mit Neubauten eine hohe Qualität sichern. 

Venstre-Stadtratspolitikerin Ellen Trane Nørby sagt: „Venstre setzt sich stark dafür ein, im Hinblick auf Familienhäuser und Studentenwohnungen eine hohe Qualität zu sichern. Wir wollen als Kommune nicht den Ruf haben, mit aufgehübschten Ghettowohnungen von sich reden zu machen, die im Hinblick auf Innenklima, Wohnwohlfühlen, Nachhaltigkeit oder Architektur nicht die notwendige Qualität aufweisen.“

Die meisten der Wohnungen sind bereits unbewohnt, den Anwohnern war gekündigt worden. Einige der leergewordenen Wohneinheiten dienen schon jetzt als Notunterkunft für Studierende, da Wohnungsnot herrscht. Foto: Sara Eskildsen

Die Pläne für Nørager

  • Die zehn Wohnblöcke werden an private Investoren verkauft.
  • Acht Wohnblöcke werden zu Wohnungen für rund 540 Studierende.
  • Abriss von zwei Wohnblöcken
  • 30 private Wohn/Reihenhäuser entstehen.
  • Bevor die neuen Pläne für Nørager umgesetzt werden können, müssen folgende Akteure zustimmen: der Vorstand der Wohngenossenschaft „Sønderborg Andelsboligforening“, das dänische Ministerium für Wohnen, die Stiftung „Landbyggefonden“ sowie der Stadtrat.
  • Grund für die ursprünglichen Abrisspläne: 2020 war Nørager vom dänischen Ministerium für Wohnen als „hartes Ghetto“ deklariert worden. Infolgedessen sah das sogenannte „Ghetto“-Gesetz vor, dass ein Großteil der Wohnsiedlung abgerissen werden musste.

Der 72-jährige Bent Petersen hat 22 Jahre lang in Nørager gewohnt. Seine ehemalige Wohnung steht seit seinem Auszug im März 2024 leer. Auf seiner alten Terrasse steht das Unkraut meterhoch. 

„Das sind doch ganz vernünftige Pläne“

Was hält er von der Kehrtwende des Stadtrats? „Ich finde, das sind doch ganz vernünftige Pläne. Sonderburg braucht viele Wohnungen für Studenten und hier stehen hunderte Wohnungen leer. Das ist doch eine gute Lösung.“

Bent Petersen war von den Plänen der Kommune direkt betroffen: Er musste nach über zwei Jahrzehnten aus seiner Wohnung im Erdgeschoss ausziehen. Foto: Sara Eskildsen
Hier im Wohnblock 4C ging Bent Petersen 22 Jahre lang ein und aus. Foto: Sara Eskildsen

Er findet es gut, dass die Gebäude nicht abgerissen werden. „Die Substanz ist in Ordnung. Natürlich muss renoviert werden, aber die Gebäude sind zu gut, um abgerissen zu werden.“

Fühlt er sich von der Kommune getäuscht, da ihm wegen der Abriss-Pläne gekündigt worden ist? „Nein, eigentlich nicht. Ich wohne jetzt in Jørgensgaard und bin sehr zufrieden da. Ich bin sehr zufrieden mit meiner neuen Wohnung und nicht traurig darüber, dass ich umziehen musste. Ich freue mich eigentlich, wenn die Wohnblöcke stehen bleiben. Ist doch toll, wenn hier in Zukunft Studenten leben!“

Ein Hausflur auf Nørager. Der Abriss sollte eigentlich ab dem 1. September beginnen, das Bauunternehmen SIB war damit beauftragt. Foto: Sara Eskildsen
Das alte Namensschild steckt noch in der Haustür von Bent Petersen. Foto: Sara Eskildsen

Bürgermeister Erik Lauritzen (Sozialdemokratie) sagt zu der Entscheidung: „Wir wollen untersuchen, ob es die Möglichkeit gibt, ein neues Szenario für die Weiterentwicklung von Nørager zu erarbeiten, weil wir in der glücklichen Situation sind, dass außergewöhnlich viele jungen Menschen in der Kommune Sonderburg studieren wollen.“ 

Renovierung nachhaltiger und schneller als ein Neubauprojekt

Gründe für die Entscheidung sei auch der Nachhaltigkeitsgedanke: Statt die Gebäude aus den 1970ern abzureißen, werden sie renoviert und weitergenutzt. Zudem geht eine Renovierung schneller als der bis dato geplante Neubau eines Wohnkomplexes für Studierende.

Vize-Bürgermeister Stephan Kleinschmidt (SP) sagt: „Es ist notwendig, dass wir die Wohngegend verändern. Falls möglich, zu Studentenwohnungen, diese Möglichkeit wollen wir gerne näher untersuchen.“

Die innere Bausubstanz der Gebäude scheint solide, die Gebäude entstanden in den 1970er Jahren. Zuletzt lebten auf Nørager 550 Personen in 236 Wohnungen. Foto: Sara Eskildsen
Ein verlassener Basketballkorb auf Nørager. Geht es nach der Mehrheit des Sonderburger Stadtrats, werden die Außenanlagen bald von Studierenden genutzt. Foto: Sara Eskildsen
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