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Forschung: So wirkt Hate Speech auf Deutsch und auf Dänisch

Forschung: So wirkt Hate Speech auf Deutsch und auf Dänisch

Forschung: So wirkt Hate Speech auf Deutsch und auf Dänisch

SHZ
Sonderburg/Handewitt
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Kenan Demirovic aus Dänemark hört sich Hatespeech an. Foto: Victoria Lippmann/shz.de

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Oliver Niebuhr konfrontiert Deutsche und Dänen mit antimuslimischen Hassbotschaften – und misst die Bio-Signale.

Nach außen wirken sie entspannt, wie sie da in dem Bürostuhl sitzen. Dabei ist das, was Dennis Kudsk und Kenan Demirovic um die Ohren fliegt, alles andere als eine Wohlfühlatmosphäre. Denn Prof. Oliver Niebuhr überzieht die beiden Studenten – jeweils in ihrer Muttersprache Deutsch beziehungsweise Dänisch – mit Hass. Hate Speech aus Twitter und Facebook, sowohl geschrieben als auch eingesprochen.

„Dieses in der Steinzeit zurückgebliebene Muselpack geht mir langsam aber sicher auf die Nerven: immer nur fordern, fordern und nochmals fordern“, heißt es etwa auf Deutsch.

„Hovedparten af muslimer ønsker desværre kun integration i overførselsindkomsterne“, sagt die Stimme auf Dänisch.

Die Stimmlage der Sprecher ist dabei ruhig, fast schon gemütlich. Der Hass wird über die Botschaften transportiert, nicht über Aggressivität. Wie so oft bei Hate Speech, sagt Niebuhr, „in normaler Stammtischsprache“ vom Gegenüber in der Kneipe oder bei Familiengeburtstagen. „Der weiße Mann zwischen 30 und 45 Jahren ist der klassische Hate Speech-Produzent.“ Die am häufigsten Beschimpften: Muslime und Ausländer.

Atmung und Hirnströme verändern sich

Etwa 60 Probanden hat Oliver Niebuhr schon mit schriftlichen und akustischen Hassbotschaften konfrontiert – und dabei die Biosignale gemessen. Und die zeigen, dass Dennis und Kenan weit weniger entspannt sind, als sie nach außen wirken. Denn Atmung und Hirnströme signalisieren: Hate Speech macht etwas mit den Rezipienten.

Die Gedanken von Kenan und Dennis können die Messinstrumente natürlich nicht messen, wohl aber, wie aufgeregt Personen sind. Dann nämlich verändert sich die Atmung. Der Hautleitwiderstand wird geringer, wenn die Hände schwitziger werden – und auch die Hirnströme im präfrontalen Cortex können in ihrer Intensität gemessen werden. Dafür verkabelt der Forscher seine Teilnehmer, bevor sie die Hate Speech hören und lesen.

 

Oliver Niebuhr zu Gast in Apenrade

Die Deutsche Zentralbücherei in Apenrade (Aabenraa) präsentiert einen Vortrag von Oliver Niebuhr zum Thema Hatespeech am 27. April um 19.30 Uhr unter dem Konzept „Bestil en forsker“. Auf Deutsch.

 

Unterschiede bei Deutschen und Dänen

Bei seinen bisherigen Messungen hat Niebuhr bereits entdeckt, dass einige Formulierungen eine geringere Wirkung zu haben scheinen. Wenn beispielsweise eine Hassbotschaft indirekt eingeleitet wird – also „Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber“ – zeigten die Teilnehmer tatsächlich weniger körperliche Reaktionen. „Die Indirektheit ist eine Methode, die Aussage abzuschwächen“, erklärt Niebuhr. Hingegen wirke Hate Speech umso schlimmer, je spezifischer die Zielgruppe ist. Sowohl im Dänischen als auch im Deutschen.

Zwischen den Sprachen hat Niebuhr aber auch Unterschiede herausgefunden: „Im Dänischen darf man mehr sagen als im Deutschen“, erklärt Niebuhr. In Dänemark sei die Balance zwischen Meinungsfreiheit und Menschenwürde mehr auf der Seite der Meinungsfreiheit als im Deutschen. Auch fand er bei Dänen weniger starke Reaktionen bei Hassbotschaften mit KZ- oder Holocaust-Bezug. Dafür reagieren Dänen offenbar mehr auf Beschimpfungen mit dem Wort „Schwein“.

Leitplanken für Entscheidungsträger

Wichtig ist für Niebuhr vor allem der Fokus auf die Empfänger von Hassbotschaften: Mit der Forschung möchte er mehr Verständnis für die Wahrnehmung von Hate Speech erzeugen. Bisher habe sich noch keiner so recht die Empfängerseite angeschaut, sagt er. „Die Idee ist es, gesellschaftlichen und politischen Entscheidungsträgern Leitplanken zu zeigen.“ Mit Kursen und Infomaterialien könnte dann wissenschaftlich gestützt am Problem Hass im Netz gearbeitet werden.

„Wenn man durchs Internet navigiert, stößt man früher oder später immer auf solche Aussagen“, sagt der deutsche Student Dennis nach dem Experiment. „Für mich persönlich macht es aber schon einen größeren Eindruck, wenn es gesprochen wird.“

Den Eindruck kann der Experte bestätigen. „Wenn man es laut ausspricht, dann wird es plötzlich schlimmer. Möglicherweise ist ein Grund, warum Hate Speech in Sozialen Medien so oft vorkommt, weil man es eben nur schreibt“, erklärt Niebuhr. „Man kann es sich leisten, es mit einer Sprechmelodie zu denken, in der es eben nicht ,hateful' daherkommt.“

Ausweitung der Forschung

Auch der dänische Student Kenan kennt antimuslimische Kommentare, ähnlich wie er sie gerade gehört und gelesen hat. „Ich habe sowas schon gesehen, meistens auf sozialen Medien. Es ist also nichts Neues für mich“, sagt der Student aus Aarhus. „Oder für die anderen Moslems in Dänemark. Das ist einfach ein Teil unseres täglichen Lebens.“ Als Moslem ist Kenan jemand, der von solcher Hate Speech besonders getroffen wird. „Und wenn ich solche Kommentare lese, denke ich. Ok, ich gehöre nicht zu dieser Gesellschaft, auf gewisse Weise.“

Für Oliver Niebuhr ist ein nächstes Ziel, eine repräsentative Anzahl der Zielgruppe von einem Großteil des Hasses im Internet, also Ausländer und Muslime, in die Studie mit einzubeziehen. Denn – das legten bereits die ersten Ergebnisse nahe – Leute, die schon selbst Opfer von Hate Speech waren, reagierten sensibler darauf.

Oliver Niebuhr ist überzeugt davon, dass man Hate Speech in Zukunft differenzierter betrachten muss, um sie entsprechend zu identifizieren und zu bestrafen. Eine erste direkte Handlungsempfehlung hat er aber auch für Nutzer von sozialen Medien: „Sprecht euch das mal selber vor“, sagt Niebuhr. „Und wenn ihr es nicht sagen würdet, wenn es auch keinen Tonfall gibt, in dem das sagbar wäre, dann schreibt es auch nicht.“

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