Geschichte

Einblick ins Innenleben der deutschen Besatzer in Dänemark

Einblick ins Innenleben der deutschen Besatzer in Dänemark

Einblick ins Innenleben der deutschen Besatzer in Dänemark

Apenrade/Aabenraa
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2019 hat Henrik Skov Kristensen große Anerkennung für seine Forschung vor allem über die Zeit der deutschen Nordschleswiger in der NS-Zeit bekommen. Sein neues Buch gibt Einblick in seine Erkundung der Geschichte des Frøslevlagers. Foto: Volker Heesch

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Das Werk „Gestapos Fangelejre i Danmark. Horserød 1943-44, Fröslev 1944-45“ von Henrik Skov Kristensen dokumentiert die Geschichte des bürokratischen Terrors. Das sachliche Buch spiegelt das Leiden der Opfer der Besatzungsmacht, aber auch Zeugnisse der Menschlichkeit während der dramatischen Jahre bis zur Befreiung des Landes im Mai 1945 wider.

Der Verfasser des 742 Seiten umfassenden Buches „Gestapos Fangelejre i Danmark. Horserød 1943-44, Fröslev 1944-45“, der langjährige Leiter der Erinnerungs- und Forschungseinrichtung „Frøslevlejrens Museums“ in Fröslee (Frøslev), Henrik Skov Kristensen, hat im Gespräch mit dem „Nordschleswiger“ berichtet, dass er in seinem neuesten Buch die Ergebnisse seiner jahrzehntelangen wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem deutschen Besatzungsregime in Dänemark niedergeschrieben hat.

Henrik Skov Kristensen hat sein in diesem Sommer fertiggestelltes Buch „Gestapos Fangelejre i Danmark. Horserød 1943-44, Fröslev 1944-45“ auf der Basis jahrzehntelager Forschungsarbeiten verfasst. Foto: Volker Heesch

 

Er stellt bereits in der Einleitung zu seinem Werk klar, dass die von ihm erforschten Gefangenenlager der Gestapo, von August 1943 und bis August 1944 in Horserød auf Seeland und von August 1944 bis zur Befreiung im Mai 1945 in Fröslee nahe der deutsch-dänischen Grenze, seit dem Ende der Zusammenarbeitspolitik der dänischen Regierung mit der Besatzungsmacht zum System der Inhaftierung von Gegnern der Nazis und als minderwertig klassifizierten Personen zählte, wie in anderen Nazi-Deutschland besetzten Ländern auch.

Sonderfall Dänemark

Skov Kristensen unterstreicht, dass die Behandlung der Gefangenen in den Gestapolagern in Dänemark im internationalen Vergleich als verhältnismäßig milde einzustufen ist. Das sei dem dänischen Sonderstatus nach der Besetzung des Landes durch die deutschen Truppen im April 1940 geschuldet. Zwar protestierte die dänische Regierung gegen die Okkupation, verzichtete aber auf Widerstand gegen die Garantie einer dänischen Unabhängigkeit und Achtung der territorialen Integrität, was man in Dänemark als deutsche Anerkennung der 1920 nach den Volksabstimmungen festgelegten deutsch-dänischen Grenze interpretierte.

Der Buchtitel zeigt ein Foto vom Wachtturm des Lagers in Fröslee, das ab Mai 1945 auch Mitglieder der deutschen Minderheit und andere des Landesverrats verdächtiger und später veurrteilte Personen beherbergte. Foto: Gyldendal
In dem Buch werden auch wichtige Akteure wie der Lagerchef Philipp Hillgärtner genauer vorgestellt. Foto: Gyldendal

 

Die Lektüre des Buches, das einen tiefen Einblick in das Innenleben der deutschen Besatzungsmacht liefert, vermittelt allerdings auch viele erschütternde Details des Naziterrors von dem auch das in den Genuss einer „Friedensbesetzung“ gelangte Königsreich nicht verschont geblieben ist. So vermittelt das Buch auch umfangreiche Informationen, die den in der Gegenwart lebenden Menschen gerade auch im deutsch-dänischen Grenzland vermitteln, weshalb in den Jahren nach 1945 das deutsch-dänische Verhältnis so lange belastet war und auch die deutschen Nordschleswiger als Mittäter oder Helfer der Besatzungsmacht auf der Beliebtheitsskala der öffentlichen Meinung ganz unten standen.

Vorgeschichte beleuchtet

Erkennbar wird bei der Lektüre auch, dass die Aufarbeitung der „Zusammenarbeitspolitik“ in Dänemark nach der Befreiung rasch Teil der Auseinandersetzungen im politischen Alltag geworden ist. Skov Kristensen stellt auch die Vorgeschichte des Lagers Horserød auf Nordseeland vor, das im Ersten Weltkrieg 1916 zur Aufnahme von russischen Kriegsgefangenen im neutralen Dänemark erbaut worden ist. Später fungierte es als Ferienlager für Kinder und diente es ab 1933 bis 1940 bis zu 1.000 aus Deutschland vor den Nazis geflüchteten Menschen als Heimstatt diente. Mit Beginn der deutschen Besatzung wurden in Horserød auf deutsches Verlangen hin rund 80 Emigranten interniert, die meisten wurden bis August 1941 an Deutschland ausgeliefert, viele kamen in den Fängen der Nazis um. 

Kommunisten schon 1941 inhaftiert

Ein weiteres Kapitel der „Zusammenarbeitspolitik“ spielte sich in Horserød nach dem Überfall Nazideutschlands auf die Sowjetunion ab. Der deutsche Gesandte verlangte am 22. Juni 1941 die Internierung aller führenden dänischen Kommunisten. Es wurden 295  Kommunisten festgenommen, viele kamen aber wieder frei, bis im August der dänische Reichstag ein Kommunistengesetz verabschiedete, das die rechtliche Grundlage für die Inhaftierung von immer mehr Mitgliedern der DKP lieferte. Das Lager Horserød unterstand der dänischen Gefängnisverwaltung bis zum offiziellen Ende der Zusammenarbeitspolitik mit Verhängung des Ausnahmezustands in Dänemark am 29. August 1943.

Damals gerieten nach der Übernahme des Lagers durch deutsche Einheiten viele der Kommunisten in die Hände des inzwischen vom „Reichsbevollmächtigten“, SS-Gruppenführer Werner Best, geleiteten deutschen Besatzungsregimes. Erst kürzlich hat die Sozialistische Volkspartei (SF) das Thema mit der Frage aufgegriffen, ob die Regierung 1943 Verrat an eigenen Bürgern begangen hatte, weil sie den rund 150 gefangenen Kommunisten nicht zur Flucht verholfen hat, von denen viele später in deutsche Konzentrationslager verschleppt und ermordet wurden.1941 war auch der damalige DKP-Vorsitzende Aksel Larsen (1897-1972) festgenommen worden, der den Aufenthalt im KZ Sachsenhausen überlebte und nach dem Bruch mit der Sowjetunion nach dem Aufstand in Ungarn 1956 SF-Mitbegründer war.  

Lager für Juden

Henrik Skov Kristensen listet genau die weitere Entwicklung des Lagers Horserød auf, das zunächst als Kommunistenlager bezeichnet ab 2. September 1943 als Geiseln von der deutschen Besatzungsmacht festgenommene prominente Dänen beherbergte, die laut Darstellung der Besatzungsmacht antideutsch agiert hätten. Auch ein „Judenlager“ wurde in Horserød eingerichtet, mit Insassen, denen es nicht gelungen war wie die meisten dänischen Juden über den Öresund nach Schweden zu fliehen.

In Horserød ebenso wie in Fröslee mussten die Insassen Arbeiten in Arbeitskommandos verrichten. Foto: Gyldendal

 

Penibel beschreibt Henrik Skov Kristensen die innere Struktur des von SS-Sturmbannführer Phillipp Hillgärtner geleiteten Lagers Horserød, das erst ab Februar 1944 den offiziellen Namen „Polizeigefangenenlager“ bekam.

Dänisches Gefängnispersonal half Insassen

Es wird erläutert, dass dort neben deutschem Wachpersonal, Gefangenenaufsehern und Zivilmitarbeitern auf Drängen der weiterhin mit dem Besatzungsregime in Verhandlungen stehenden dänischen Regierungsverwaltung auch das dänische „Gefängniswesen“ mit dem Vizegefängnisinspektor Cuno Gjerstrup und weiterem Personal verblieb. Gjerstrup und weitere Mitarbeiter zogen auch mit ins Nachfolgelager nach Fröslee. Sie sind bis zur Befreiung des Lagers am 5. Mai 1945 im Rahmen ihrer Möglichkeit zugunsten vieler dänischer Gefangener tätig gewesen. Dabei war es sicher auch für die dänischen Gefangenen nicht immer leicht, den Einsatz dieses Personals zu würdigen, das selbst immer in Gefahr schwebte, vom deutschen Wachpersonal erwischt zu werden.

Prominente Geiseln

Nachzulesen ist, wie viele bekannte dänische Persönlichkeiten als Geiseln im Herbst 1943 in Horserød festgehalten wurden. Es waren dort bekannte Folketingspolitiker wie Erik Finnemann Bruun, Hermod Lannung oder Ole Bjørn Kraft ebenso zu finden wie der Chefredakteur der Zeitung „Politiken“ Niels Hasager oder auch hohe Staatsbeamte wie Departementchef Sigurd Wechselmann. Viele Prominente kamen nach einigen Monaten wieder in Freiheit.

Traurige Einzelschicksale

Wie schrecklich die Konsequenzen für einzelne Gefangene waren, trotz insgesamt guter Verpflegung und Behandlung der meisten Insassen in Horserød, zeigt Skov Kristensen in den Passagen über Einzelschicksale, wie das des Geschäftsmanns Louis Lichtenstein, der als aus Deutschland stammender Jude am 20. Januar 1944 wie 66 weitere Gefangene aus Horserød ins deutsche Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert wurde und nach Aufenthalt in Auschwitz am 10. Februar 1944 in einem Lager beim KZ Dachau starb. Es wird über die immer größere Zahl inhaftierter Widerstandskämpfer in Horserød berichtet, von denen viele in deutsche KZ verschleppt wurden, oder die nach Verfahren in Dänemark von der Besatzerjustiz zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden.

Terror nahm zu

Es ist zu erkennen, dass auf Anweisung Hitlers, der das Attentat gegen ihn am 20. Juli 1944 überlebt hatte, ab Ende Juli des Jahres mit einem „Terror- und Sabotageerlass“ die Deportationen nach Deutschland intensiviert und deutlich mehr Todesurteile verhängt wurden. Der Direktor des dänischen Außenministeriums, Nils Svenningsen, protestierte gegen die Deportationen, die der Reichsbevollmächtigte Best mit dem Mangel an Gefängniskapazität in Dänemark begründete. Das führte zur dänischen Initiative, ein größeres Lager in Dänemark zu errichten. Dänemark finanzierte das „Frøslevlager“, in das die Insassen des Lagers „Horserød“ nach Transport auf dem Seeweg Anfang August 1944 umgezogen waren.

Jedes Mal, wenn eine Deportation dänischer Staatsbürger nach Deutschland durchgeführt wird, zieht eine Welle von Verbitterung und Entrüstung durch das Land, die jedes Mal stärker wird. Mit diesen Schritten verursacht die deutsche Polizeibehörde allergrößte Kränkungen des dänischen Rechtsempfindens, in der Bevölkerung eine solche Stimmung gegen Deutschland, dass es wahrscheinlich Generationen dauern wird, bevor diese Stimmung aufhört.

Nils Svenningsen (1894-1985), Leiter der dänischen Daepartementchefsregierung in einem Brief an den deutschen Reichsbevollmächtigen Werner Best im November 1944.

 

Am 6. November 1944 hatten die dänischen Behörden einen Protest beim Reichsbevollmächtigten Werner Best gegen die Deportationen weiterer Polizisten und Grenzgendarme nach Deutschland eingereicht. Svenningsen verwies auf das Völkerrecht und die Haager Kriegskonventionen. Skov Kristensen zitiert aus einem Schreiben Svenningsens, in dem dieser deutlich wird: „Jedes Mal, wenn eine Deportation dänischer Staatsbürger nach Deutschland durchgeführt wird, zieht eine Welle von Verbitterung und Entrüstung durch das Land, die jedes Mal stärker wird. Mit diesen Schritten verursacht die deutsche Polizeibehörde allergrößte Kränkungen des dänischen Rechtsempfindens, in der Bevölkerung eine solche Stimmung gegen Deutschland, dass es wahrscheinlich Generationen dauern wird, bevor diese Stimmung aufhört.“

Erwähnt wird, dass Vertreter der nazifizierten deutschen Minderheit in Nordschleswig Bedenken gegen eine Platzierung des Lagers in Nordschleswig anmeldeten und betonten, damit nichts zu tun haben zu wollen. Allerdings gab es einzelne Personen aus dem Kreis der Minderheit, die in Fröslee tätig waren.

Pastor Beuck für Frøslev-Insassen aktiv

Erwähnt wird das Engagement des deutschen Pastors in Apenrade, Carl Beuck, auf Bitten von Bischof C. W. Noack zugunsten einer Zulassung von Gottesdiensten im Frøslevlager im Herbst 1944. Beuck, Pastor der dänischen Volkskirche und Gegner der Nazis, suchte den Lagerkommandanten Hillgärtner allerdings vergeblich auf. Der NS-Mann wurde sogar ausfallend gegenüber dem mutigen Geistlichen.  Skov Kristensen berichtet auch über die dänischen Bemühungen, in deutsche KZ verschleppte Personen nach Fröslee zurückzuholen, was in gewissem Umfang auch gelang. Doch insgesamt wurde die Hoffnung der dänischen Seite nicht erfüllt, die Abtransporte nach Deutschland mit der Errichtung des Frøsleelagers zu beenden.

Über 1.600 Deportationen

Über 1.600 Gefangene wurde aus dem Lager an der Grenze in deutsche KZ verschleppt, wo vor allem bis zu 30 Prozent der Personen umkamen, die im Frühherbst vor allem ins Konzentrationslager Neuengamme gebracht wurden, in Viehwagen vom Bahnhof Harrislee (Harreslev) abtransportiert. Akribisch hat der Autor Akten der Lagerverwaltung ausgewertet, die sich mit Lagerordnungen und Strafsystemen als ein bürokratisches System darstellt, das bis zum Ende der Naziherrschaft im Mai 1945 unaufhaltsam weitergelaufen ist.

Zu den historischen Fotos in dem Buch Henrik Skov Kristensens gehört die Aufnahme des berühmten Grafen Folke Bernadotte, der kurz vor Kriegsende dafür sorgte, dass auch viele Gefangene, die aus Fröslee nach Deutschland deportiert worden waren, mit den weißen Bussen aus KZ gerettet werden konnten. Foto: Gyldendal
Am 5. Mai wurden die meisten dänischen Insassen des Fröslevlagers befreit und konnten nach Hause reisen. Foto: Gyldendal

 

Grenzgendarmen mit hoher Todesrate

In seinem stets in sachlichem Ton verfassten Werk macht Skov Kristensen die Leserschaft mit vielen erschütternden Details beispielsweise über die Einlieferung der dänischen Grenzgendarmen und Polizisten ins Frøslevlager bekannt. Es heißt, dass viele der Deportierten die schrecklichen Bedingungen während der Zeit im KZ überlebten, weil sie aus Dänemark mit Paketen versorgt werden konnten. Doch traurig stimmt es, wenn es heißt, dass die Grenzgendarm deutlich schlechter versorgt werden konnten, weil sie einen ungünstigeren Status hatten als die Polizisten, was zu vielen Todesfällen während des Aufenthaltes vor allem in KZ-Außenlagern führte. Ausführlich wird beschrieben, welch unterschiedliche Gruppen, auch inhaftierte Frauen, im Frøslevlager saßen, wo bis zur Befreiung intensiv trotz der strengen Beaufsichtigung illegal Informationen weitergeben wurden, sogar heimlich Radio gehört und Fotos aufgenommen wurden.

 

 

Zur Realität im Lager gehörten Gegensätze zwischen den politisch und gesellschaftlich gegensätzlichen dänischen Gefangenengruppen. Es heißt, dass die deutschen Wachmannschaften sich gegenüber den Insassen von Horserød und Fröslee insgesamt anständig verhalten haben, was bei der juristischen Aufarbeitung nach der Befreiung sichtbar wurde. Es wird über Vorgänge berichtet, dass Wachpersonal mit Insassen zusammengearbeitet hat und sogar menschliche Anteilnahme zeigte, wenn dänische Gefangene deportiert wurden.

Das Buch ist im Verlag Gyldendal erschienen, es kostet 399 Kronen.       

 

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