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Wie Bertel aus Randershof zum Politiker wurde

Wie Bertel aus Randershof zum Politiker wurde

Wie Bertel aus Randershof zum Politiker wurde

Kopenhagen
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Nach den kommenden Wahlen nimmt Bertel Haarder Abschied vom Folketing, von den öffentlichen Debatten wohl kaum. Foto: Emil Helms/Ritzau Scanpix

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Bertel Haarder ist nicht nur Politiker geworden, er ist es auch mehr als 45 Jahre lang geblieben. Nach den nächsten Wahlen will er sich aus dem Folketing zurückziehen.

Es stand nicht unbedingt von vorneherein in Stein gemeißelt, dass Bertel Haarder fast ein Leben lang Politiker sein sollte. Nichtsdestotrotz ist er nun Alterspräsident oder Nestor des Folketings. Kein Politiker ist, seit sich 1901 in Dänemark der Parlamentarismus durchsetzte, längere Zeit Minister gewesen als er.  Fast 22 Jahre sind es insgesamt geworden.

„Und jedes Mal hatte ich gleich zwei Ressorts“, meint Haarder mit verschmitztem Lächeln. 

Grundtvig und Grenzland

Aufgewachsen an der Volkshochschule in Randershof (Rønshoved), wo seine Eltern Schulleiter waren, haben sowohl Grundtvig als auch das Grenzland seine Sicht der Dinge entscheidend beeinflusst.

„Ich habe vor allem ein großes Verständnis und Engagement für Minderheitenrechte bekommen, denn mein Vater ist eine Zeitlang Vorsitzender des Südschleswigausschusses (hier ist ein privater Verein gemeint und nicht ein Ausschuss des Folketings) gewesen, und er versäumte keine Gelegenheit zu sagen, die Rechte, die wir für die Dänen südlich der Grenze einfordern, die sollten wir auch den Deutschen nördlich der Grenze gewähren“, sagt Haarder.

„Und er war ausgesprochen Stolz darauf, dass es der grundtvigsche Hochschulleiter Jacob Appel war, der als Unterrichtsminister die nordschleswigsche Schulordnung in der Zwischenkriegszeit einführte, die eine vollständige Gleichstellung von Mehrheit und Minderheit sicherte.“

Das kleine deutsche Mädchen

So hat an den Schulen an einem Teil des Tages der dänische Lehrer unterrichtet und zu einem anderen Zeitpunkt der deutsche.

Dabei war es keine Selbstverständlichkeit, dass Bertel Haarders Vater Hans, so tolerant in der Minderheitenfrage war. 1933 war er Mitbegründer von „Det Unge Grænseværn“ in dem sich Jugendorganisationen aus ganz Nordschleswig als Reaktion auf Hitlers Machtübernahme zusammenschlossen. 

Die Røntved Højskole war 1921 als Reaktion auf die Grenzziehung (genforening) gegründet worden.

„Obwohl sich meine Eltern also im Grenzkampf engagierten, hatte ich zu keinem Zeitpunkt Vorurteile gegenüber deutschen Schulfreunden.“ 

Seit mir in der 1. Klasse ein kleines deutsches Mädchen aufgefallen war, habe ich keinerlei Vorurteile gegenüber Deutschen.

Bertel Haarder, Venstre-Veteran

Es war nicht zuletzt die Mutter Agnete, die einen Freisinn verkörperte, den sie wiederum von ihrem Vater geerbt hatte. Sie habe bewirkt, dass Hans Haarder „auf dem Teppich geblieben sei“, so der Sohn. 

„Ich habe zu keinem Zeitpunkt eine einseitige Beschreibung der Grenzgeschichte erlebt.“

Doch nicht nur die Einstellung der Eltern, sondern auch die persönlichen Begegnungen – wie könnte es im Grenzland anders sein, haben Klein-Bertels Sicht der Dinge beeinflusst.

„Seit mir in der 1. Klasse ein kleines deutsches Mädchen aufgefallen war, habe ich keinerlei Vorurteile gegenüber Deutschen“, beschreibt der 76-Jährige eine frühe Romanze. 

„Skandalöse“ Regierung als Anstoß

So war es wohl kein Zufall, dass Haarder als Minister sowohl die Verantwortung für die dänische als auch die deutsche Minderheit gehabt hat. Während seiner Zeit im Europaparlament war er Sprecher für Menschenrechte und brachte einen Bericht durch, in dem die Situation der Minderheiten auch aufgegriffen wurde, eine Frage, an der sein Vorgänger gescheitert war. 

Doch wir greifen den Ereignissen vor. Zunächst musste Bertel sein Abitur an der Sonderburger Staatsschule absolvieren, ein College in den USA besuchen und zum Studium der Staatswissenschaften nach Aarhus ziehen.

Dort wurde er auch zum ersten Mal politisch aktiv. Persönliche Kontakte haben dazu beigetragen, dass er die Partei des Vaters, Venstre, wählte statt die Radikalen seiner Mutter. 

Das Land wurde skandalös schlecht regiert.

Bertel Haarder, Venstre-Veteran

Nach dem Studium zog es ihn zunächst an die Hochschulen zurück, er wurde Lehrer an der Askov Højskole bei Vejen. Später unterrichtete er am Seminarium in Aalborg.

Es war die Wirtschaftspolitik der 70er Jahre mit galoppierender Inflation, die ihn in die Politik trieb. 

„Dänemark drohte die Pleite. Das Land wurde skandalös schlecht regiert“, beschreibt er kurz und knapp seine Motivation für das Folketing zu kandidieren. 

Nach einem vergeblichen Anlauf 1973 konnte er dann 1975 ins Folketing einziehen. Während Haarders ersten Jahren im Parlament waren die bürgerlichen Parteien jedoch weit davon entfernt, die „skandalös schlechte“ sozialdemokratische Regierung abzulösen. Er bezeichnet die Zeit bis zum Regierungswechsel 1982 als „Wanderung durch die Wüste“.

Daher war auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegeben, dass von nun an Haarders berufliche Laufbahn ausschließlich der Politik gewidmet sein sollte.  

Ein Brief

Er war so frustriert, dass er bereits ein Ansuchen an das Kirchenministerium geschrieben hatte, im Schnellstudium Theologie zu studieren. Doch am 6. September 1982 schlug die Bombe ein (Haarder erinnert sich noch genau an das Datum): Der sozialdemokratische Staatsminister Anker Jørgensen hatte unerwartet hingeschmissen, ja aufgegeben. 

Bertel Haarder als frisch ernannter Unterrichts- und Forschungsminister. Foto: Finn Frandsen/Ritzau Scanpix

Als Venstre-Vize war Haarder direkt mit der Bildung der bürgerlichen Kleeblatt-Regierung mit dem konservativen Poul Schlüter an der Spitze befasst. Den Posten als Unterrichts- und Forschungsminister konnte er sich selbst aussuchen.

„Als ich am Abend nach Hause kam und Minister geworden war, steckte mein Ersuchen an das Kirchenministerium noch in der Schreibmaschine.“

Hätte Anker Jørgensen nur ein wenig länger durchgehalten, Haarders Lebenslauf könnte ganz anders aussehen. 

Bildung in Zeiten des Umbruchs

Er wählte das Unterrichts- und Forschungsministerium, weil er klare Vorstellungen davon hatte, was er umsetzen wollte. Er fühlte sich ausgesprochen gut vorbereitet, hatte Bücher zu dem Thema verfasst. Für den liberalen Politiker gab es so einiges, dass er ändern wollte. Das Wort „Reformpädagogik“ kommt ihm, auch heute noch, nur mit Verachtung über die Lippen. 

„Alles musste geändert werden. Man predigte die gesellschaftliche Relevanz. Aber wo ist die gesellschaftliche Relevanz von Karen Blixens Novellen? Die gibt es zum Glück nicht“, meint Haarder und lässt den für ihn typische intensiven Blick blitzen. Der Inhalt sei das wichtige. 

Er statuierte ein Exempel, als er die Soziologieabteilung an der Universität Kopenhagen schloss. Was dort stattfand war nicht Forschung, meinte Haarder, und bekam Unterstützung von Experten.

Die Gelder waren knapp, weil ein großes Loch im Staatshaushalt klaffte. Gleichzeitig mussten mehr junge Leute ausgebildet werden. Also mussten Haarder mehr Stühle in die Klassenzimmer stellen.

Rede bei einer Demo

Weder diese Sparmaßnahmen noch Haarders inhaltliche Ziele waren in dem damals zu großen Teilen links ausgerichteten Ausbildungssektor sonderlich populär. Demonstrationen waren an der Tagesordnung, wo auch schon mal eine Puppe abgebrannt wurden. Er war jedoch auf Widerstand vorbereitet und kannte seine Ziele, und so sagt er heute, die Proteste hätten ihm nicht zugesetzt. 

Bei einer der größten Demos ist er sogar auf den Blockwagen gestiegen und durfte eine fünf-minütige Rede gehalten. 

„Sie haben mir zugehört. Das ist für mich eine sehr schöne demokratische Einstellung und Dänisch im besten Sinne.“

Man soll zuhören, wenn jemand sich beschwert, und haben sie gute Argumente, dann ist es auch klug, ein wenig nachzugeben.

Bertel Haarder, Venstre-Veteran

Trotz der Proteste konnte Haarder sich durchsetzen. Heute sagt er, er habe in den zehn Jahren als Unterrichtsminister unter Poul Schlüter seine Ziele durchsetzen können. 

Bertel Haarder stellt 1992 eine Volksschulreform vor. Foto: Finn Frandsen/Ritzau Scanpix

Nachdem die Schlüter-Regierung 1993 als Folge des Tamilskandals zusammengebrochen war, war Haarder erneut nah an einem Absprung aus der Politik. Die Leitung der Askov Højskole wurde ihm und seiner Frau angetragen. Doch daraus wurde aufgrund vom Widerspruch seiner Frau nichts.

Zuhören als Erfolgsrezept

So wurde Haarder dann 2001 unter Anders Fogh Rasmnussen (V) der erste Integrationsminister des Landes. Auch das ein Posten, der alles andere als konfliktfrei war. Eines seiner Rezepte, um mit Protesten umzugehen war, der Dialog.

„Man soll zuhören, wenn jemand sich beschwert, und haben sie gute Argumente, dann ist es auch klug, ein wenig nachzugeben“. Wobei „ein wenig“ zentrale Worte in dem Satz sind.

22 Jahre lang war Bertel Haarder Minister. Foto: Emil Helms/Ritzau Scanpix

Nun sind mehr als 45 Jahr verstrichen, seit Haarder Berufspolitiker wurde. Vergangene Woche hat er seinen Abschied nach den kommenden Wahlen bekannt gegeben.

„Mir liegt immer noch viel am Herzen. Ich möchte immer noch auf Ungerechtigkeiten aufmerksam machen. Fragst du meine Parteifreunde, dann werden sie bestätigen, dass ich ihnen ab und zu Grüße schicke: „Sollten wir nicht dieses Problem angehen, ist dir dies bewusst, was antworten wir hier“, nennt Haarder als Antrieb dafür, so viele Jahre in der Politik weiterzumachen.

Jene, die ihm seinerzeit als Erstwähler zum Einzug ins Folketing verhalfen, sind nun selbst im Rentenalter. Bertel aus Randershof peilt nach seinem Exit aus dem Folketing höchstens eine Teilzeit-Rente an.

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