Regionaltag

Stimmen der Grenzregionen mehr Gehör verschaffen

Stimmen der Grenzregionen mehr Gehör verschaffen

Stimmen der Grenzregionen mehr Gehör verschaffen

Pattburg/Padborg
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Peter Hansen zog als Leiter des Infocenters Grenze eine kritische Bilanz aus Sicht der deutsch-dänischen Grenzregion. Foto: Volker Heesch

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Beim Regionaltag der deutsch-dänischen Region Sønderjylland-Schleswig in Pattburg gab es mahnende Worte vor dem Hintergrund der Corona-Grenzschließungen. Die Interreg-Beauftragte der EU-Kommission, Nathalie Verschelde, unterstrich die Vorreiterrolle der Grenzregionen beim Abbau nationaler Hindernisse.

„Den Stimmen der Grenzregionen wird man künftig mehr Gehör verschaffen. Sie werden weiterhin großen Anteil an der Weiterentwicklung Europas haben“, so das Resümee der Leiterin der für die grenzüberschreitende Interreg-Zusammenarbeit in der EU-Kommission in Brüssel zuständigen Abteilung, Nathalie Verschelde, während ihres Vortrags beim Regionaltag der deutsch-dänischen Region Sønderjylland-Schleswig, den der Chefredakteur des „Nordschleswigers“, Gwyn Nissen, moderierte. 
 

Nathalie Verschelde bezeichnete die Grenzregionen als Schrittmacher der Weiterentwicklung der EU. Foto: EU-Kommission

 

 Bei der Veranstaltung im Regionskontor und Infocenter in Pattburg vor allem mit deutschen und dänischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern standen unter anderem Herausforderungen aufgrund der Corona-Pandemie und Perspektiven für die weitere Zusammenarbeit im Fokus. Ebenso wie die EU-Spitzenbeamtin, die per Video-Übertragung referierte und diskutierte, ging als weiterer Referent der Leiter des deutsch-dänischen Regionskontors, Peter Hansen, auf zurückliegende harte Zeiten in Grenzregionen wie an der deutsch-dänischen Grenze ein.

 

Überall in Europa wurden über Nacht Grenzen geschlossen, meist ohne zuvor die Nachbarn zu informieren.

Nathalie Verschelde, Europäische Kommission, Brüssel

 

„Überall in Europa wurden über Nacht Grenzen geschlossen, meist ohne zuvor die Nachbarn zu informieren“, so Nathalie Verschelde, und sie erinnerte daran, dass rund 30 Prozent der EU-Einwohnerschaft in Grenzregionen leben. „Es waren plötzlich Beschäftigte von ihren Arbeitsplätzen abgeschnitten. Wenn beispielsweise Krankenhäuser betroffen waren, hatte das drastische Folgen“, so die Kommissionsmitarbeiterin.

Wellen der Solidarisierung

Die negativen Konsequenzen für Menschen in Grenzregionen  hatten allerdings auch Wellen der Solidarisierung unter betroffenen Menschen ausgelöst. „Es werden auch Schlüsse aus den Corona-Erfahrungen gezogen, die haben deutlich werden lassen, dass es vielfach entlang der Grenzen keine institutionelle Zusammenarbeit der nationalen Behörden gibt. Viel zu oft wird nur national gedacht“, so Nathalie Verschelde. Es habe sich gezeigt, dass die Mobilität über die Grenzen aufrechterhalten werden muss.

Werkzeugkästen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit nötig

Jetzt müsse noch mehr die Zusammenarbeit der Institutionen auf die Tagesordnung gesetzt werden, während bisher die freie Beweglichkeit der Arbeitskraft im Mittelpunkt stand. „Ergebnis wird eine Win-win-Situation für beide Seiten in Grenzregionen sein“, so Verschelde und betonte, dass die Forderung nach offenen Grenzen innerhalb der EU-Grenzregionen nicht mit Problemen aufgrund der Fern-Migration in die EU vermengt werden dürfe. Sie berichtete, dass in der EU-Kommission Werkzeugkästen zur Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit entwickelt werden. So sollten die Bürger auch informiert werden, welche Rechte ihnen in Grenzregionen zustehen.

Gesundheitswesen in nationaler Zuständigkeit

In der Diskussion im Anschluss an ihren Vortrag konnte sie aber auf die Frage des Regionsratsmitglieds Vibeke Syppli Enrum (Einheitsliste), weshalb beispielsweise die deutschen und dänischen Grenznachbarn im Krankenhauswesen an einer Kooperation wegen der unterschiedlichen Gesundheitssysteme gehindert werden, keine Lösung anbieten: „Auf dem Gebiet der Organisation der Gesundheitsversorgung hat die EU keine Kompetenzen.“ Allerdings bemühe man sich um Verbesserungen in der Region rund um Luxemburg.

Binationales Krankenhaus in den Pyrenäen

Dass es auch binationale Krankenhäuser gibt, konnte ein weiterer Referent, der spanische Generalsekretär der Europäischen Arbeitsgemeinschaften für Grenzregionen (AGEG), Martin Guillermo Ramirez, berichten, der ebenfalls per Video am Regionaltag teilnahm.

 

Der Chefredakteur des „Nordschleswiges", Gwyn Nissen, leitete mehrsprachig die Diskussionen während des Regionaltages, auf dem Dänisch, Deutsch und Englisch gesprochen wurde. Er berichtete über Tausende Anfragen, die während der Grenzschließungen an sein Medium gerichtet wurden, weil die Bürgerinnen und Bürger keine Auskünfte von offizieller Seite zur ständig wechselnden Situation hinsichtlich der Grenzpassagen erhalten konnten. Foto: Volker Heesch

 

„Es gibt ein französisch-spanisches Krankenhaus in den Pyrenäen“, so Ramirez, der aber feststellte, dass die EU weiterhin „ein Klub von Nationalstaaten“ sei. „Die Pandemie hat gezeigt, dass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in solchen Krisen nicht klappt“, so der AGEG-Generalsekretär. 

„Prüfungen" für Grenzlandbewohner

Peter Hansen, der Leiter des deutsch-dänischen Infocenters Grenze, eröffnete seinen Vortrag beim Regionaltag mit einem Rückblick auf die harten „Prüfungen“ für viele Grenzregionsbewohner und -bewohnerinnen nach dem Beginn der Corona-Pandemie im März 2020. „Unter dem Strich kann ich feststellen, dass wir mit einem blauen Auge davongekommen sind“, so der Centerchef, der hinzufügte: „Ich habe seitdem 68 Coronatests gemacht.“ Und er fuhr fort: „Im Infocenter haben wir keine Corona-Pause erlebt, obwohl wir 42 Tage nur im Homeoffice arbeiten konnten. Die Beratungszahlen sind in die Höhe geschossen.“

Hansen sagte, es sei zeitweise schwierig gewesen sei, aber der grenzüberschreitende Arbeitsmarkt stabil geblieben ist. „Doch das Leben im Grenzland besteht nicht nur aus Arbeit. Es konnte vieles, wie Golfspielen, die Pflege des Pferdes auf der anderen Seite der Grenze oder das Abholen einer Baumaschine plötzlich nicht mehr erledigt werden, ganz zu schweigen von Auswirkungen auf Wochenend-Ehen, ein gemeinsames Sorgerecht für Kinder oder Arztbesuche.

Vieles ist auf der Strecke geblieben

„Es hat große menschliche Belastungen gegeben, vieles ist auf der Strecke geblieben“, so der Leiter des Infocenters. Er wies aber auch auf Erfolge der EU hin, die bei den nationalen Regierungen auf die Anliegen der Grenzbewohner hingewiesen hat und treibende Kraft bei der Schaffung eines EU-Impfzertifikats gewesen ist. „Was uns aber immer noch fehlt, ist ein direkter Draht nach Kiel, Kopenhagen und Berlin. Was wir brauchen, sind gemeinsame Maßnahmen“, so Hansen, der auf nach wie vor unterschiedliche Regelungen beispielsweise bei dem Nachweis einer Corona-Impfung oder dem Nachweis, eine Corona-Infektion überstanden zu haben, hinwies.

Intensive Beziehungen

„Es hat hier in unserer Region vor allem auch einen Verlust an Lebensqualität gegeben, weil bei uns  die Verbindungen über die Grenze so intensiv sind“, so der Infocenterchef. Er erinnerte auch daran, dass neue Entwicklungen wie mehr Homeoffice gleich auch wieder für Grenzpendler Komplikationen gebracht hätten, beispielsweise Fragen, welches Land für die Besteuerung zuständig ist, denn multinationales Arbeiten ist EU-rechtlich nicht geregelt. 

 

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