100 Jahre deutsche Minderheit

„Aus heutiger Sicht nicht human“

„Aus heutiger Sicht nicht human“

„Aus heutiger Sicht nicht human“

Kollund
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Hildegard Weber berichtete während der Veranstaltung im Haus Quickborn, welche schwierige Lage ihre Mutter meistern musste, als der Vater im Mai 1945 in Sonderburg als Angehöriger der Minderheit festgenommen wurde und sie allein den Schlachtereibetrieb weiterführte. Die Mutter bekam auch noch eine Strafe, weil sie deutsche Flüchtlingskinder mit Nahrungsmitteln versorgt hatte. Foto: Volker Heesch

Eine engagierte Diskussion herrschte am Donnerstagabend zwischen Historiker Henrik Skov Kristensen und Zeitzeugen aus der deutschen Minderheit über die Rechtsabrechnung von 1945.

Während der fünften Veranstaltung des Sozialdienstes Nordschleswig in der Reihe  „100 Jahre deutsche Minderheit“  sind am Donnerstagnachmittag im Haus Quickborn in Kollund neben dem Historiker  Henrik Skov Kristensen, Leiter des Frøslevlejrens  Museum, auch zahlreiche Zeitzeugen zu Wort gekommen, um das Geschehen in Nordschleswig mit der Internierung und Bestrafung zahlreicher Angehöriger der deutschen Minderheit nach der Befreiung Dänemarks von der deutschen Besatzung am 5. Mai 1945 aus dem jeweils eigenen Blickwinkel darzustellen und zu bewerten. 

Der Leiter des Archivs/Historische Forschungsstelle der Deutschen Volksgruppe, Frank Lubowitz, hatte die Veranstaltung eröffnet, zu der über 60 Interessierte gekommen waren. 

Politisch unbequem

Henrik Skov Kristensen hatte in seinem Vortrag betont, dass er sich als Historiker darum bemühe, sich „so nah wie möglich der Wahrheit zu nähern. „Auch wenn das politisch unbequem ist“, fügte er hinzu und erinnerte an Tendenzen bereits vor Jahrzehnten auf deutscher und dänischer Seite, die Vergangenheit  hinter sich zu lassen. „Historiker dürfen nicht dafür arbeiten, Feindbilder aufzubauen, aber sie dürfen historische Tatsachen auch nicht bagatellisieren“, fügte er hinzu. Er habe feststellen können, dass er mit seinen Büchern „Straffelejren“ und „Gerningsmænd eller ofre“ 2012 und 2019 innerhalb der deutschen Minderheit eine ehrliche Auseinandersetzung mit der eigenen unbequemen Vergangenheit  gefördert habe. „Viele haben anschließend die Möglichkeit genutzt, Akten über eigene Angehörige einzusehen“, berichtete er.

 

Henrik Skov Kristensen (r.) sprach in Kollund. Foto: K. Riggelsen

„Die  Erinnerung der deutschen Minderheit muss  auch aus deren eigenem Blickwinkel betrachtet werden“, erklärte Skov Kristensen. Er rief auch dazu auf, die Internierung von 3.500 deutschen Nordschleswigern 1945, von denen rund 3.000 anschließend vor allem wegen Kriegsdienstes oder Dienstes für die Besatzungsmacht verurteilt wurden, als eine Maßnahme zu deren eigenem Schutz zu verstehen. „Aus heutiger Sicht war es bestimmt keine humane Behandlung“, so der Historiker, der aber auch daran erinnerte, dass viele Dänen Rache und Vergeltung forderten. „Beispielsweise die Angehörigen der in deutschen KZ umgekommenen dänischen Grenzgendarmen waren tief traumatisiert“, erklärte er. 

Insasse meldet sich zu Wort

Neben Andreas Jochens, der im Artikel zuvor fälschlich als SS-Freiwilliger bezeichnet wurde, er war bei der deutschen Luftwaffe im Einsatz, ergriff Heio Mammen das Wort. „Ich bin hier wohl der Einzige, der selbst noch in Fårhus  gesessen hat“, meinte der 97-Jährige aus Tondern und gab seine  Lehre aus der Vergangenheit zum Besten:  „Für mich als früheren Fårhusgefangenen gilt die Lehre: Der Sieger hat immer recht.“

Wie sehr sie die Inhaftierung des Vaters in Fårhus erschüttert hat, berichtete Irmgard Jespersen. Allein der Weg per Bahn von Sonderburg zum Bahnhof Schafhaus und vor dort zu Fuß ins Fårhuslager sei beschwerlich gewesen. Und nur weil ein Auge zugedrückt wurde, habe sie mit der Mutter den Vater eine halbe Stunde sprechen können, denn als Elfjährige sei sie eigentlich zu alt für eine Kinderbesuchserlaubnis gewesen. Christine Aagesen berichtete von der Festnahme des Vaters  auf dem Hof der Familie bei Sonderburg 1945. Für sie sei es schlimm gewesen, dass  andere Kinder erklärten, die Familie Aagesen sollte um den Hof gebracht werden. Anneliese Bucka berichtete, dass ihre aus einer dänischen Familie stammende Mutter tief erschüttert war, dass ihr Vater von einem Nachbarn mit gezückter Pistole 1945 festgenommen worden sei. „Nur ihr Vater hat meine Mutter damals besucht“, so Anneliese Bucka. Henrik Skov Kristensen bestätigte den Beitrag Jes Andersens, der über einen Schuss in den Arm des Vaters berichtete, als dieser in Fårhus einsaß. „Das war im Dezember 1945, als eine Baracke brannte. Ein sehr eifriger Wachmann hat geschossen, weil die Gefangenen sich von den Fenstern fernhalten sollten“, sagte er. Das sei einer von zwei Fällen, wo Gefangene dort angeschossen wurden, sagte er.

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