Thomas G. Nielsen

„Es war verboten, sich über die Grenze hinweg zu unterhalten“

„Es war verboten, sich über die Grenze hinweg zu unterhalten“

„Es war verboten, sich über die Grenze hinweg zu unterhalten“

Ruttebüll/Rudbøl
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Thomas G. Nielsen
Thomas G. Nielsen mit Foto vom Kampfgenossenverein Ruttebüll/Rosenkranz. Foto: Volker Heesch

Der Ruttebüller Landwirt und Binsenflechter Thomas Georg Nielsen weiß jede Menge aus der Geschichte seines Heimatortes zu erzählen. Die Grenze zwischen Dänemark und Deutschland wurde mitten durch den Ort gezogen – im Zickzack zwischen den Höfen, je nachdem, wer zu Dänemark und wer zu Deutschland gehören wollte.

Der Ruttebüller Landwirt und Binsenflechter Thomas Georg Nielsen weiß jede Menge aus der Geschichte seines Heimatortes zu erzählen. Die Grenze zwischen Dänemark und Deutschland wurde mitten durch den Ort gezogen – im Zickzack zwischen den Höfen, je nachdem, wer zu Dänemark und wer zu Deutschland gehören wollte.

„Erst 1742 sind die ersten Häuser im Bereich der heutigen deutsch-dänischen Grenze gebaut worden“, erklärte der Ruttebüller Landwirt und Binsenflechter Thomas Georg Nielsen, der auch als  „lebendes Archiv“ bezeichnet werden kann, während einer Führung durch seinen Heimatort. Eingeladen hatte dazu der Lokalhistorische Verein für Hoyer und Umgebung. Bei der Tour wurde der Bereich der Grenze zwischen dem seit 1920 dänischen Ruttebüll und dem deutschen Rosenkranz eingehend in Augenschein genommen – mit den entsprechenden Erläuterungen.

Am Treffpunkt, Thomas Georg Nielsens Hof, der nur wenige Meter vom Geburtshaus  des versierten Heimatforschers  direkt an der deutsch-dänischen Grenze   von 1920 liegt, wurde zunächst erklärt, dass  man sich auf dem 1560 unter Leitung des damaligen Landesherrn im Amt Tondern, Herzog Hans dem Jüngeren, gebauten Damm befindet, der Ruttebüll,  das seit 1556 von einem Deich von Hoyer und bis Grellsbüll  mit dem „Festland“ verbunden war, nun auch mit der Wiedingsharde verknüpfte.

Die rund 30 Teilnehmer der Exkursion konnten im Ruttebüller See die Reste einer ersten Abdämmung des einstigen Wiedaudeltas  erkennen, in die der Gottorfer Herzog Friedrich, er wurde später Dänemarks König Friedrich I., viel Material und Energie gesteckt hatte. Eine Sturmflut hatte ihn kurz nach der Fertigstellung 1513 wieder zerstört, und der heutige Ruttebüller See war wieder Teil des Mündungstrichters der Wiedau, in den die Tideströme ein- und ausströmten. Von diesem ersten Deich blieb jedoch der westliche Abschnitt erhalten, der heute noch zahlreiche Häuser  und die Straße  zwischen Fischerhäuser und Neukirchen trägt. In Augenschein genommen wurde auch die 1931 errichtete Brücke.

Zuvor  diente eine Holzbrücke der Überquerung der Wiedau, deren  Seeschleuse bis zur Eindeichung des Ruttebüller Koogs 1715 in Ruttebüll lag, anschließend bis 1861 bei Nordermühle. Lebhaft wurde berichtet, dass der Weg am Ruttebüller See, wo der berühmte Maler Emil Nolde zwei Sommer verbracht hat, 1910  einen Klinkerbelag erhalten hat. Zuvor  gab es nur einen Sandbelag wie auf vielen anderen  Wegen um Ruttebüll, weshalb es auch einleuchtend ist, dass in alten Tagen,  vor den Entwässerungsmaßnahmen in der Tonderner Marsch Ende der 1920er Jahre,  die noch  zahlreiche Kanäle,  Seen und  Sielzüge als Transportwege für die Boote  dienten, über die alle Einwohner verfügten.

Thomas Georg Nielsen erwähnte auch Ruttebüller Schiffer, die viele Monate im Jahr  mit ihren kleinen Segelbooten Transportaufgaben  im Wattenmeer, vor allem auch zu den Halligen,   übernahmen. Einen  Eindruck vom alten Hafenort Ruttebüll, den der Gottorfer Herzog Friedrich  III.  nach 1500 zur Hafenstadt mit Kanalverbindung nach Flensburg ausbauen wollte, lieferte ein Foto  Thomas Nielsens, das jede Menge Segelboote bei der alljährlichen Regatta auf dem Ruttebüller See zeigt.  Augenzwinkernd erklärte Nielsen, dass Ruttebüll damals Stadtrechte verliehen worden sind, die nie aufgehoben wurden und deshalb wohl noch Gültigkeit hätten.

 

Rutebüll
Das Foto zeigt die Ruttebüller Segelboote bei der Regatta. Der See war noch nicht durch Deiche begrenzt, sie kamen erst ab 1926. Foto: Archiv Thomas G. NIelsen

Einige Häuser wurden dänisch, andere deutsch

Bis in die Gegenwart gibt es Hochwasserprobleme.  Der Referent erinnerte zudem an den  Bruch  am Wiedaudeich 1963. „Das war am 22. November, am selben Tag, als Präsident Kennedy erschossen wurde“, so Nielsen und berichtete, wie Inventar und vor allem Vieh aus den tieferliegenden Gebäuden gerettet werden mussten. „Einige Schweine standen schon aufrecht in ihren Boxen, um den Kopf über Wasser zu halten“, berichtete er und  konnte noch hinzufügen, dass die Tiere friedlich auf die Ladefläche eines Lasters gingen und dort beim Abtransport  in einen sicheren Stall ganz artig sitzen blieben.
Ein Hauptthema während der Besichtigungstour war die Grenzziehung 1920, die in Ruttebüll wie in kaum einem anderen Ort Nordschleswigs so einschneidende Folgen hatte. Bildeten Ruttebüll und der heute deutsche Bereich Rosenkranz doch eine Einheit. Familiär, bebauungsmäßig und wirtschaftlich.

Thomas Georg Nielsen konnte genau erzählen, dass die eigentümliche Grenzziehung im Zickzack-Verlauf an Häusern und Gärten und Grenzsteinen auf der Straßenmitte auf Initiativen der Anwohner  zurückzuführen ist. Sogar beim Besuch von Bundeskanzler Helmut Kohl und Staatsminister Poul Schlüter 1985 im Grenzort war das medialer Höhepunkt. Thomas Georg Nielsen könnte die Namen der Hausbewohner von 1920 aufzählen, denen es gelungen war, die nach Ruttebüll entsandte Internationale Kommission zur endgültigen Festlegung der Grenze nach der Abstimmung am 10. Februar des Jahres von Korrekturen zu überzeugen.

So wurden einige Häuser dänisch, andere  deutsch, die ohne die kleine Korrektur auch deren Bewohner zu Dänen oder Deutschen gemacht hätten. In meherern Fällen wurde die Wunschstaatsbürgerschaft  genehmigt.
Während die Gruppe trotz vorübergehend wieder eingeführter dänischer Grenzkontrolle  ohne Begegnung   mit Ordnungshütern Thomas Georg Nielsen nach Rosenkranz folgen konnte, gab es Rückblicke auf dramatischere Zeiten.

Die Grenze verläuft teilweise im Zickzack zwischen den Häusern. Foto: Volker Heesch

Es war verboten, sich über die Grenze hinweg zu unterhalten

„Als nach dem 5. Mai 1945 die Grenze gesperrt wurde, gab es von dänischer Seite ein Verbot, sich über die Grenze hinweg zu unterhalten“, so Nielsen, der hinzufügte, dass das auch enge Verwandte, sogar Geschwister betraf, die auf verschiedenen Seiten der Grenze lebten. Nielsen zeigte auch Bereiche inmitten der engen Bebauung, wo die deutsche Besatzungsmacht, die am 9. April auch in Ruttebüll  nach Dänemark eingedrungen war, Maschinengewehre auf Betonsockeln hatte montieren lassen.

Thomas Nielsen konnte auch den Namen Rosenkranz erläutern, der auf den seinerzeit auf dem Gut Kuxbüll residierenden Edelmann Christoffer Rosenkranz zurückgehen soll. „Rosenkranz war mit der Aufsicht über die Deiche und Deichbauten betraut worden. Doch er wurde 1609 festgenommen und 1610 geköpft, weil er sich der Urkundenfälschung schuldig gemacht hat“, so Nielsen und fügte hinzu, dass viele  Jahre später, als  mehr Häuser im Ortsbereich gebaut worden waren, eine Namensgebung aktuell wurde. „Da meinte jemand, der Ort könnte doch Rosenkranz heißen. Und dabei blieb es“, so Nielsen.

Im Vortrag ging es auch um heute nicht mehr bebaute Warften, die beim Blick auf den Brunottenkoog, der 1615 zwischen Rosenkranz und der Wiedingharde eingedeicht worden ist, zu sehen waren. Auch Begriffe wie der Name der Gaststätte Fegetasch wurden erklärt. „Da war einmal eine Zolleinnahmestelle“, so der Referent, und alle konnten sich gut vorstellen, dass der Fiskus  den Bürgern auch in früheren Jahren gerne in die Tasche gegriffen hat.

Zum Abschluss wurde im Saal der Ruttebüller Jugendherberge Kaffee getrunken – und es gab noch reichlich Gelegenheit zur Vertiefung und Nachfrage.
Es wurden Ruttebüller wie ein Großvater Thomas Nielsens vorgestellt, die beruflich als Bäcker, Tischler und Bauer tätig waren. Und es wurde die Frage beantwortet, wie die Tiere zum Markt nach Tondern kamen. Frühmorgens wurden jeweils  30 Stück fortgetrieben. Bis Punkt 10 Uhr  mussten sie spätestens sie auf dem Markt angekommen sein.
 

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