Leserbeitrag
„Sturmflut vor 100 Jahren: Zeitzeuge bei der Gedenkfeier in Reisby“
Sturmflut: Zeitzeuge bei der Gedenkfeier in Reisby
Sturmflut: Zeitzeuge bei der Gedenkfeier in Reisby
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Vor genau 100 Jahren kamen 19 Deichbauarbeiter ums Leben. Sie hatten die Warnungen nicht ernst genug genommen. Der 104-jährige Jens Schmidt war bei der Gedenkfeier dabei.
30. August 2023: Genau 100 Jahre nach der Sturmflutkatastrophe bei Reisby trafen sich zwischen 70 und 80 Menschen an der Unglücksstelle, um der Umgekommenen zu gedenken.
Unter den zahlreichen Anwesenden waren nicht nur Enkel, Urenkel und Ururenkel, die der Toten gedachten, sondern sogar ein Zeitzeuge, der das Unglück als Vierjähriger „erlebt“ hatte. Seine eigenen Erinnerungen waren allerdings begrenzt. Er hatte aber aus den Erzählungen der Eltern und der Erwachsenen natürlich viel mitbekommen. Es handelt sich um den 104-jährigen Jens Schmidt, der heute in Bredebro lebt. Er war bei der Gedenkfeier ein begehrter Mann, allerdings nur in Einzelgesprächen erreichbar.
Während einer kurzen Zeremonie legten zwei Gruppen Kränze am Gedenkstein nieder. Zum einen die „Deichgemeinschaft“ (Digelaget) und zum anderen drei Enkel des ertrunkenen Iver A. Jensen, von den Deichbauarbeitern damals „Store Iver“ genannt, ragte er doch mit über zwei Meter Körpergröße über alle anderen hinaus.
Nach einer Gedenkminute ging es zurück zu den Schutzhütten (Shelter für Wandernde), die genau an der Stelle stehen, wo das Barackenlager einst gestanden hatte, das bei der Sturmflut zerstört worden war. Nach der Begrüßung griff zunächst der dänisch-schottische Musiker Rod Sinclair zur Gitarre und forderte die Anwesenden auf, beim Refrain seiner Ballade mitzusingen. Wer das Tønder Festival kennt, wird vermutlich auch diesen Musiker kennen, der mit zu den Stiftern gehört. Sinclair hatte aus vielen Berichten und Erzählungen einen Text über den 21-jährigen Deichbauarbeiter Christian Larsen geformt und vertont. Der Refrain für alle begann mit: „The dykers were tough, the dykers were rough...“. Das Lied erzählt vom harten Leben der Deichbauarbeiter.
Diese Zeile konnte auch der nachfolgende Erzähler bestätigen. Mit einer Reihe von Anekdoten schilderte er die Umstände des Unglücks. Als 5-Jähriger hatte er 1963 nur mitbekommen, dass sich einige der Arbeiter bei aufkommendem Sturm in die Baracken begeben und ordentlich getrunken hatten. Sie ahnten nicht, was auf sie zukommen sollte.
Nahmen Warnungen nicht ernst genug
Später hatte er erfahren, dass ihnen sogar der Bescheid zugegangen sein soll, die Baracken schleunigst zu verlassen und sich auf höheres Land zu begeben. 19 von ihnen hatten die Warnungen nicht ernst genug genommen und mussten ihr Leben lassen. Etliche von ihnen waren Gelegenheitsarbeiter aus anderen Gegenden, die die Gefahren der Nordsee nicht kannten. Eine Sturmwarnung, wie sie heute üblich ist, kannte man damals nicht. Am Tage des Unglücks hatte auch eine größere Fischereiflotte den Hafen von Esbjerg verlassen, ebenfalls ohne Kenntnis über den aufziehenden Sturm.
Das Zusammensein endete mit einem „Kaffebord“ und Grillwürsten und natürlich mit vielen Unterhaltungen. Dass der Wettergott nicht ganz mitspielte, tat der Veranstaltung keinen Abbruch.