Tønder Festival 2024

„Was wussten wir schon von Mikrofonen und Beleuchtung?“

„Was wussten wir schon von Mikrofonen und Beleuchtung?“

„Was wussten wir schon von Mikrofonen und Beleuchtung?“

Tondern/Tønder
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Musik und ausgelassene Stimmung auf dem Tonderner Markt beim Festival 1977 Foto: Folkemusikarkivet i Tønder

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Das Tønder Festival hat schon mehrfach vor dem Aus gestanden. Als Retterin in der Not ist die Kommune Tondern zuletzt 2014 eingesprungen. Der langjährige Festivalhelfer Knud Erich Jensen unternimmt einen persönlichen Rückblick auf die vergangenen 50 Jahre.

An finanzielle Engpässe, geschweige denn an technische Ausstattung, dachten die jungen, an Musik interessierten Tonderanerinnen und Tonderaner sowie die angehenden Lehrkräfte des Tonderner Lehrerseminars nicht, als sie vor 50 Jahren zur Sonnenwendfeier bei der alten Wassermühle zusammenkamen. Musik in zwangloser Runde sollte gehört und gespielt werden. Dass diese Zusammenkunft die Geburtsstunde des Tønder Festivals war, ahnten sie damals nicht. Spaß wollten sie haben, nichts anderes.

Die Handwerker haben es geschafft. Die alte Wassermühle von 1598 wurde in den vergangenen Monaten durchgreifend restauriert. Sie gilt als Wiege des Tønder Festivals. Rechtzeitig vor Festivalbeginn in der kommenden Woche erstrahlt sie in neuem Glanz. Foto: Brigitta Lassen

Knud Erich Jensen, Tondern, war bei der Premiere zwar nicht dabei, hat aber als Festivalhelfer fast fünf Jahrzehnte mitangepackt. Er hat eine Zeitreise durch die 50 Jahre unternommen.

Festival ist ein Juwel

Jensens Zeitreise beginnt mit einer persönlichen Betrachtung: Das Fundament des Festivals, das er als Juwel und wichtige Vermarktungsmöglichkeit bezeichnet, sind die Freiwilligen. Die handgemachte Musik ist das Kennzeichen und der Garantieschein des Festivals. Sein Profil zeichnet sich durch Authentizität, Originalität, Qualität, Ästhetik und Überraschungen aus, so Jensen. 

Die thematisch eingeteilten Zonen macht den Besuch auf dem Festivalplatz zu einem einzigartigen, magischen und erlebnisreichen Universum. Der Fokus liegt auf der einzigartigen Geschichte von Tondern und Umgebung, der Natur und Kultur, zählt Jensen die Kennzeichen des Tønder Festivals auf.

Ein wenig Flower-Power-Stimmung herrscht beim Festivalauftakt bei der alten Wassermühle (Archivfoto). Foto: Folkemusikarkivet i Tønder
Das frühere Zollkammeramt, genannt Tolderen, direkt gelegen am heutigen Hagges Musikpub, war eine von mehreren Konzertbühnen in den Anfängen (Archivfoto). Foto: arkivdk
Open-Air-Konzert vor der Wassermühle 1981 (Archivfoto) Foto: Folkemusikarkivet Tønder

Anfangs gab es nichts. Doch es gab eine an Musik interessierte Jugend und ein Seminar, wo Musik gespielt wurde. Es gab eine Idee und einen Konzeptentwurf. Es herrschten Engagement und Interesse. Das waren die treibenden Kräfte, startet Knud Erich Jensen seine Zeitfolge.

1974: Die ersten Konzerte bei der Wassermühle und in der Stadt im Juni 1974 sind Teil des Tonderner Stadtfests. Die drei Musiktage sind der Grundstein für das heutige Tønder Festival.

Musiker im Dauerlauf von Bühne zu Bühne

1975: Als Tønder Multi Musik Festival wird weitergemacht. Die Musikvereine Noldes Nabo, Viseklubben, Beat Klubben und Tønder Aktivitets- og Borgerforening machen mit. Der 2. Anlauf artet zu einem musikalischen Durcheinander aus, mit Konzerten vom Militärorchester von Slesvigske Fodregiment, Treenigshedens Kirkekor und Van Dango, gesteht Jensen. Konzerte werden auf dem Markt, Liebestempel, in den Tondernhallen, in der Schweizerhalle, in Kneipen, in der Kirche, im Seminar, in der Wassermühle und dem früheren Zollkammergebäude Tolderen an der Jernbanegade durchgeführt.

Alex Campbell (Archivfoto) unterstützte den Festivalleiter Carsten Panduro beim Formen des Festivals. Der 1987 verstorbene schottische Folkmusiker war wie seine Landsleute und Kollegen Hamish Imlach († 1996) und Iain Macintosh (†2006), ein enger Freund des Festivals. Foto: arkivdk

„Enthusiasmus und Chaos: Inventar wird von Musikstätte zur nächsten geschleppt. Die Musiker sind im Dauerlauf zu den Konzertstätten unterwegs. Sie übernachten in der Kaserne oder bei Privatleuten. Die Technik wird von einer Bühne zur nächsten geschleppt, doch alle haben Spaß. Der Gewinn geht an die Tonderner Schwimmhalle“, schreibt Knud Erich Jensen weiter.

Casper Panduro, Sohn des Festivalchefs Carsten, ziert 1975 erstmals das Plakat, damals noch des Tønder Multi Musik Festivals. Panduro Junior dient in den kommenden Jahren immer wieder auf dem Festivalplakat als Fotomodell. Auch seine Mutter Inger ist seit dem Beginn des Festivals dabei. Foto: Tønder Festival

1976: Das Tønder Multi Musik Festival muss seinen Namen ändern.  Es wird sogar mit rechtlichen Schritten gedroht, da Multi Musik Festival ein mit Urheberrechten geschützter Name ist. Das Festival heißt fortan Tønder Musik Festival.

„Was wussten wir von Mikrofonen und Beleuchtung?“

1978: Und wieder folgt eine Namensänderung zu Tønder Folk og Jazz Festival. Das erste Zelt wird auf dem Festivalplatz aufgestellt, da Platznot herrscht. Aber wie ein 800 Menschen fassendes Zelt aufgestellt wird, wusste keiner. „An Mikrofone und Beleuchtung wurde nicht gedacht“. Doch ein unebener Acker für Schafe und ihren Hinterlassenschaften wird zum Festival- und Campingplatz eingerichtet. „Nachtwächter“ sind das fahrende Volk, schreibt Jensen. 

Knud Erich Jensen ist fast 50 Jahre Freiwilliger beim Tønder Festival (Archivfoto). Foto: Jane Rahbek Ohlsen

1979: DR TV zeichnet Konzerte beim Festival auf. Alles läuft ganz gut, doch dunkle Wolken ziehen auf.

1980: Die finanzielle Situation sieht nicht rosig aus. Die Lage spitzt sich zu. Deswegen ist der kleine Caspar Panduro, Sohn vom Festivalleiter Carsten, erneut auf dem Festivalplakat abgebildet. Er verlässt mit dem letzten Zug Tondern mit unbekanntem Ziel. Das Festival befindet sich in einer tiefen Krise.  Das Festival muss nur mit Tondern, sondern mit ganz Nordschleswig verankert werden. Es wird an einem Rettungsplan gearbeitet, Geld von außerhalb Tonderns muss her, beschreibt Jensen die Situation.

Quo vadis? Casper Panduro auf einem davonfahrenden Zug winkt zum Abschied. Das Ziel ist unbekannt. Gibt es ein Wiedersehen? Dem Festival droht der Konkurs. Foto: Tønder Festival

Das haben wir nicht erkannt. Es gab keinen Überblick, was Gagen, Transport, Miete für Zelte, Ton, Stühle, Tische etc. kosten. Und das über den Festivalplatz gleich einer Völkerwanderung schlendernde Publikum ohne Eintrittskarten trinkt in Deutschland gekauftes, billiges Bier. Dieses so unbedingt benötigte Geld fließt nicht in die Kasse des Festivals.

Kommune bewilligt 60.000 Kronen

1981: es wird weitergemacht und der Tønder Festival Fond gegründet. Es geht finanziell wieder bergauf. Die Kommune bewilligt 60.000 Kronen. Dazu kommen Beiträge von Sponsoren. Der abfahrende Zug von 1979 mit Casper Panduro als Passagier kehrt wieder zurück. Es herrscht positive Aufbruchstimmung. Ein zweites Zelt wird auf dem Platz aufgebaut. Carsten Panduro arbeitet nicht mehr neben seinem Beruf als Dekorateur im Geschäft Nic. Andresen ehrenamtlich. Er wird hauptamtlicher Festivalchef. 

Es herrscht wieder Optimismus: Der Zug und Casper Panduro kehren zurück. Foto: Tønder Festival

1983 Positive Höhepunkte des Jahres sind der Gospelmorning, das erste Konzert der schottischen Erfolgsband Runrig und der Zuschuss der Kommune wird auf 120.000 Kronen erhöht.

Ein Tag mehr wegen Jubiläums

1984 Anlässlich des zehnjährigen Jubiläums wird die Dauer des Festivals um einen Tag verlängert. Doch ein weiteres Minus wird erwirtschaftet. Finanzielle Hilfe kommt von der Kommune, von Privatleuten, Handwerkern und Geschäftsleuten.

1986 Es stürmt im August. Der Wind zerfetzt das Zelt. Es muss schnell Ersatz gefunden werden. Soldaten der Kaserne helfen mit dem Aufbau des Zeltes vom Cirkus Himmelblå. Man ist fertig, als das Publikum hereingebeten wird.

Die schottische Band Run Rig gab 1988 zwei Konzerte beim Festival in Tondern. Das Erste war in Windeseile sofort ausverkauft. Seit ihrem ersten Auftritt 1983 in Tondern sind sie zu Publikumslieblingen geworden. 2018 kündigte die Band ihre Abschiedstournee an, die sie auch nach Dänemark führte. Das letzte Konzert der Tournee fand im schottischen Stirling statt. Die 25.000 Eintrittskarten waren dort innerhalb von 15 Minuten ausverkauft (Archivfoto). Foto: Elise Rahbek Olsen

1988: Das Festival dauert erneut vier Tage, weil das zweite Runrig-Konzert im Nu restlos ausverkauft ist. Die Schotten sind zu Festivallieblingen geworden. Der vierte Festivaltag soll auch der Beitrag des Festivals zum 750-jährigen Stadtjubiläum sein. Am viertägigen Verlauf wird nun bis zum heutigen Tag festgehalten.

Musik für 1,8 Millionen Kronen

Die 1990-Jahre:  Die Anerkennung des Festivals als wichtiger Leuchtturm und kultureller Höhepunkt wächst. 1997 wird Musik für 1,8 Millionen Kronen eingekauft. 1976 waren es bescheidene 42.700 Kronen. Ein gutes finanzielles Fundament geben die festen Sponsorengelder in Höhe von 600.000 Kronen. Es sieht scheinbar alles ganz gut aus.

Festivalleiter Carsten Panduro (l.) und Musiker und Festivalhelfer Rod Sinclair stoßen 1999 auf das 25. Jubiläum an. Auch das Publikum wird am Abschlussabend mit den edlen Tropfen versorgt (Archivfoto). Foto: Elise Rahbek Ohlsen

2000 bis 2010: Die Anzahl der Festivals in Dänemark steigt um 100 Prozent. Das bedeutet mehr Konkurrenz für Tondern. 2010 gibt es 170 Festivals. Es folgt eine Kommerzialisierung des Marktes. Neue, große Festivals kommen dazu. 

Es werden in Tondern erste Überlegungen angestellt, ob man wagt, das Konzept zu ändern. Große Festivals werden um Rat gefragt.

Festival wirft einen Umsatz von 69 Millionen Kronen ab

2007: Ein Bericht der Copenhagen Business School zeigt, dass während der Festivaltage in Tondern Einnahmen in Gesamthöhe von 69 Millionen Kronen in die Kassen in und um Tondern fließen. Davon profitieren unter anderem Hotels, Campingplätze, Bars, Restaurants, Geschäfte, Ferienbetriebe und die Kommune Tondern. Steigende Umsätze bringt mehr Steuern. Doch die finanzielle Grundlage des Festivals bröckelt.

2011–2012: eine Projektgruppe wird zur Rettung des Festivals mit Vertretern des Tønder Festival und dem Roskilde Festival gebildet.

Das Jahr der Veränderungen

2012: Ein neues Konzept wird 2012 eingeführt. Der Festivalplatz wird eingezäunt. Einlass wird nur denjenigen gewährt, die die Konzerte besuchen wollen. Armbänder ersetzen die Papiertickets. Die ersten Wohlfühloasen entstehen auf dem Festivalgelände. Das Folkmusikprofil bleibt bewahrt, wird aber mit neuen Stilrichtungen ergänzt. Die in Tondern gebotene Musik kann man sonst nirgendwo hören, heißt es in Jensens Rückblick.

Doch bald gehen das Festival und Carsten Panduro getrennte Wege.

Der Festivalchef Carsten Panduro nimmt seinen Hut. Er hat seit seinem Ausscheiden dem Festival gänzlich den Rücken gekehrt (Archivfoto). Foto: Elise Rahbek Ohlsen

Der finanzielle Abgrund droht wieder und Ablöse an der Spitzer

2014 Das Festival gerät 2014 erneut an den finanziellen Abgrund. Ein Konkurs droht, wird aber durch eine Sonderzuwendung der Kommune in Höhe von einer Million Kronen abgewendet unter der Voraussetzung, dass es keine Defizite mehr geben darf. Bis auf 2023 glückt diese Vorgabe. Im vergangenen Jahr rutscht das Festival mit fast einer Million Kronen in die Miesen.

2014 ist auch das Jahr, in dem Carsten Panduro nach 40 Jahren geht. Er wird von Maria Theessink als musikalische Leiterin und Kirstine Uhrbrand als Geschäftsführerin abgelöst. Mit der künstlerischen Umgestaltung zu einem Ort des Erlebens und guter Musik steigt die Beliebtheit des Festivals. 

Maria Theessink übernimmt die musikalische Leitung des Festivals, Kirstine Uhrbrand wird Geschäftsführerin (Archivfoto). Foto: Kurt Henriksen

Das Festival anno 2024

Das Festival arbeitet seit 2014 unermüdlich nicht nur am eigenen Profil, sondern auch mit dem Festival- und Campingplatz.  Für 14.000 Menschen wird eine Zeltstadt neben der Stadt Tondern mit ihren 7.800 Bürgerinnen und Bürgern gebaut. Es wird mit Stadtplanung und Architektur gearbeitet. Es gibt acht Bühnen, Themenbars, Restaurants und Geschäfte. Es gibt eine Arbeitsgruppe (atmosfæregruppe), die sich ausschließlich mit dem Aussehen und der Stimmung auf dem Festivalplatz beschäftigt, berichtet der aus Mögeltondern (Møgeltønder) gebürtige Jensen. Im Ort wohnten damals auch Carsten Panduro, der nach Hoyer (Højer) gezogen ist, und viele der Freiwilligen der ersten Stunde.

Rund 3.400 Menschen arbeiten als Ehrenamtliche beim Tønder Festival (Archivfoto). Foto: Jane Rahbek Ohlsen

Von den 3.400 Helferinnen und Helfern arbeiteten 250 Frauen und Männer nicht nur an den vier Festivaltagen, sondern haben Aufgaben das ganze Jahr. An vier Tagen werden heute ungefähr 100 Konzerte durchgeführt, dargeboten von etwa 300 Musikerinnen und Musikern aus aller Welt. Etwa 10.000 Gäste strömen jährlich auf das 42 Hektar große Festivalgelände. 

Die Fahrerinnen und Fahrer (Pilotinnen und Piloten), die die Musikerinnen und Musiker in den Flughäfen abholen und dorthin zurückfahren, legen nicht weniger als 55.000 km zurück. Etwa 300 Presseleute kommen aus dem In- und Ausland nach Tondern.

 

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