40 Jahre Sekretariat in Kopenhagen

Ein Blick in die Zukunft: Die Minderheit in 20 Jahren

Ein Blick in die Zukunft: Die Minderheit in 20 Jahren

Ein Blick in die Zukunft: Die Minderheit in 20 Jahren

Kopenhagen
Zuletzt aktualisiert um:
Laut Harro Hallmann (l.) steht der deutschen Minderheit innerhalb der kommenden Jahre ein Identitätswandel bevor. Foto: Walter Turnowsky

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Harro Hallmann ging in seiner Rede anlässlich des 40-jährigen Bestehens des Kopenhagener Sekretariats auf die Zukunftsaussichten der deutschen Minderheit ein. Er sprach von einer Entwicklung der Minderheitenidentität und skizzierte unter anderem mögliche neue Lösungsansätze für die Interessenvertretung der deutschen Nordschleswigerinnen und Nordschleswiger in Kopenhagen.

„Die Identität der Minderheit wird in 20 Jahren eine andere sein als vor 20 Jahren und als vor 40 Jahren.“ Dies sagte Harro Hallmann in seiner Rede, als am Donnerstag anlässlich des 40-jährigen Bestehens des Kopenhagener Sekretariats neben einem Empfang auch eine Konferenz auf Christiansborg abgehalten wurde. Hallmann, der seit 2020 Sekretariatsleiter ist und in Kopenhagen die Interessen der deutschen Minderheit vertritt, bezog sich in seiner Rede mit dem Titel „Die Minderheit in 20 Jahren“ auf die Entwicklung der Minderheitenidentität, die Bedeutung der Zuzüglerinnen und Zuzügler für die Minderheit, das Verhältnis zwischen Nord- und Südschleswig und die Möglichkeiten neuer Zukunftslösungen für die Interessenvertretung der deutschen Nordschleswigerinnen und Nordschleswiger in Kopenhagen.

Das Sekretariat der deutschen Minderheit

Das Sekretariat der deutschen Minderheit in Kopenhagen gibt es seit 1983, da die deutsche Minderheit ab diesem Zeitpunkt nicht mehr im Folketing vertreten war. Seitdem werden hier die Interessen der Minderheit gegenüber der Regierung und dem Parlament vertreten. Das Sekretariat befindet sich im Zentrum Kopenhagens, in der Peder Skrams Gade 11. Die Kosten für das Sekretariat trägt primär der dänische Staat.

Harro Hallmann wagte einen Blick in die Zukunft

Dass die Identität der Minderheit in 20 Jahren eine andere sein werde, sei wichtig und richtig, denn in der Vergangenheit war sie ebenfalls stets im Wandel, so Hallmann, der dies mit einem Beispiel unterstrich. Unter anderem habe der Hauptvorstand des Bundes Deutscher Nordschleswiger (BDN) vor rund zehn Jahren beschlossen, dass die Deutsche Bücherei Sonderburg in das Multikulturhaus am Hafen umziehen sollte – gemeinsam mit der dänischen Bücherei. Hier wurde sich nach dem Erörtern verschiedener Möglichkeiten für ein Modell mit zwei Büchereien unter einem Dach entschieden, die heute eng zusammenarbeiten.

„Ich denke, dass eine Debatte über diesen Umzug 1995 zu einer Absage geführt hätte. Man hätte an einem eigenen Standort festgehalten“, meinte Hallmann, der bei seinem Vortrag in die Zukunft blickend hinzufügte: „Und in 20 Jahren? Ich könnte mir vorstellen, dass die Verantwortlichen dann sagen werden: ‚Warum müssen die Bücher über Fledermäuse getrennt stehen, nur weil das eine dänisch und das andere deutsch ist. Lasst sie doch nebeneinander auf dem Regal stehen‘.“

Die Bedeutung der Zugezogenen für die Minderheit

Bezüglich der in den vergangenen Jahren gestiegenen Zahl an Zuzüglerinnen und Zuzüglern aus Deutschland, die sich der Minderheit anschließen möchten, wagte Hallmann keine konkrete Prognose, wie die Identität der Minderheit dadurch verändert werde. Klar sei jedoch, dass die „doppelte Integration“ eine Herausforderung darstelle, da diese Personen sowohl in die deutsche Minderheit als auch in die dänische Gesellschaft integriert werden müssten. „Ein grundlegender Teil unserer Identität ist, dass wir als Mitglieder der deutschen Minderheit auch ein integrierter Teil der dänischen Gesellschaft sind“, so Hallmann. Die steigende Zahl an Zugezogenen aus Deutschland könne aber trotz der Herausforderungen als überwiegend positiv betrachtet werden.  

Benny Engelbrecht (Soz.), Jesper Petersen (Soz.) und viele weitere der zahlreich erschienenen Besucherinnen und Besucher lauschten gespannt. Foto: Walter Turnowsky

„Wir erleben durch die Zugezogenen derzeit einen Aufschwung. Dies zeigt sich an den rekordhohen Schülerzahlen. Unsere Schulen platzen aus den Nähten. Das ist für uns eine ganz neue – aber erfreuliche – Situation. Ich bin daher optimistisch, was die Zukunft der deutschen Minderheit betrifft“, meint Hallmann, laut dem die Zugezogenen mit drei wichtigen Ratschlägen willkommen geheißen werden müssten, die auch die Schleswigsche Partei jüngst äußerte:

 

  1. Dänisch lernen,
  2. Kaffee trinken und
  3. Geduld haben

Erfreulich sei Hallmann zufolge zudem, dass auch viele „unserer“ jungen Leute nach Nordschleswig zurückkehren, um Familien zu gründen und die Minderheitentraditionen fortzusetzen. „Die Zurückkehrenden und die Zugezogenen werden die Minderheit in den kommenden Jahren mitprägen. Sie werden entscheiden, wie die Zukunft der Minderheit aussieht“, meint der Sekretariatsleiter, vor dem es nur zwei andere Minderheitenangehörige in seiner Position gab: den ehemaligen Chefredakteur des „Nordschleswigers“, Siegfried Matlok (1983 bis 2007), und Jan Diedrichsen (2007 bis 2019).

Interessenvertretung in welcher Form?

Sicher ist sich Hallmann auch, dass es in 20 Jahren noch immer eine Interessenvertretung der deutschen Nordschleswigerinnen und Nordschleswiger im Kopenhagen geben werde. „Die Vertretung der Interessen gegenüber dem Parlament und der Regierung wird eine zentrale Aufgabe des BDN bleiben“, so Hallmann, der daher davon überzeugt sei, dass es auch in 20 Jahren darum gehen werde, die deutsche Minderheit im Bewusstsein der Kopenhagener Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger zu verankern.

Eine Vertretung im Parlament wäre aus meiner Sicht immer noch das Nonplusultra.

Harro Hallmann

In welcher Form dies in 20 Jahren geschehe und ob es für die Zukunft ein noch besseres Modell als die Sekretariatslösung gebe, könne diskutiert werden. Interessante Überlegungen wären Hallmann zufolge, ob es einen Kontaktausschuss geben solle, der eng an das Folketing geknüpft ist, oder sogar eine direkte Vertretung im Parlament über die Schleswigsche Partei (SP) – vielleicht gesichert durch eine Minderheitenregelung, wie es sie in anderen Ländern gibt? Zweiteres wäre laut Hallmann ein schöner Traum, der im Augenblick aber nicht realistisch erscheine.   

Auf Christiansborg trafen sich am Donnerstag Politikerinnen und Politiker aus Dänemark und Norddeutschland sowie aktuelle und ehemalige Verantwortungstragende der deutschen Minderheit, um das 40-jährige Bestehen des Kopenhagener Sekretariats zu feiern. Foto: Walter Turnowsky

„Eine Vertretung im Parlament wäre aus meiner Sicht immer noch das Nonplusultra. Das ist im Augenblick nicht unbedingt realistisch, und ich möchte auch hinzufügen, dass wir mit dem Sekretariat eine sehr, sehr gute Lösung haben, die sich in den vergangenen 40 Jahren wirklich bewährt hat. Aber durch eine direkte Vertretung der Minderheit im Parlament könnte noch mehr Einfluss genommen werden. Ich betrachte dies zwar nicht als unmöglich, aber derzeit eben auch nur als ein Wunschdenken meinerseits“, verrät Hallmann auf Nachfrage des „Nordschleswigers“.

Abbau neuer Barrieren 

Ein großer Wunsch für die Zukunft sei dem Sekretariatsleiter zufolge darüber hinaus eine noch weitere Stärkung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und des Verhältnisses zwischen Nord- und Südschleswig.

„Ich finde, dass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit nicht eng genug sein kann. Wenn ich die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre betrachte, muss ich, wenn ich ganz ehrlich bin, aber leider sagen, dass ich bei verschiedenen Punkten negative Tendenzen wahrnehme“, zeigt sich Hallmann bezüglich dieser Thematik besorgt.

„Wir erleben einen Rückgang der Deutsch-Sprachkenntnisse in Dänemark, es gibt den Wildschweinzaun und Grenzkontrollen. Dies sind Beispiele für eine Abschottung, wo Barrieren in den Köpfen der Leute erzeugt werden, die wir eigentlich losgeworden waren. Ich hoffe und wünsche mir, dass dies in Zukunft anders wird. In der deutschen Minderheit betrachten wir es als eine unserer Kernaufgaben, uns für die Offenheit und Zusammenarbeit einzusetzen. Das bleibt auch weiterhin so“, gibt sich Hallmann mit Blick in die Zukunft kämpferisch.

Mehr lesen