Kulinarisches

Fantasie macht den Koch zum Künstler

Fantasie macht den Koch zum Künstler

Fantasie macht den Koch zum Künstler

Nordschleswig
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Rene Mammen
Rene Mammen gibt letzte Anweisungen an die Serviceleitung. Foto: Susanne Plaß, SHGF

Rene Mammen führt in der europäischen Kulturhauptstadt Aarhus mit „Substans“ eines der wenigen Michelinsterne-Restaurants außerhalb Kopenhagens

In der Küche herrscht eine gelassene Stimmung. Der Däne Rene Mammen geht noch einmal zu den Gästen und sagt bescheiden auf Englisch: Ich hoffe, ihr mögt das, was ich heute für euch koche. Wir hatten überlegt, ob wir etwas anderes machen, aber wir kommen mit dem Menü, das ihr auch im Restaurant Substans bekommen hättet. Wenn ihr es nicht mögt, dann bitte ich schon jetzt um Entschuldigung.“

Rene Mammen spielt in gewohnt dänisch-jütischer Manier sein Können herunter. Eigentlich weiß er, dass sein Essen gut ankommen wird. Immerhin hat er als eines der ersten dänischen Restaurants außerhalb Kopenhagens einen Michelinstern bekommen. Seine Küche in der europäischen Kulturhauptstadt Aarhus hat  internationale Klasse und auch die Gäste des Schleswig-Holsteinischen Gourmet-Festivals dürfen sein Essen  kosten.

Das Sieben-Gänge-Menü im Ringhotel Gasthaus Gardels an der schleswig-holsteinischen Westküste ist komponiert wie ein klassisches Konzert. Nur besser, denn es besteht aus lauter Höhepunkten – kein langsames Aufbauen und sanftes Ende.
 Der cremige Austernschaum mit Kohl und Apfel macht den Anfang. Es folgen Muscheln, Dill und Gurke in einem knusprigen Malzkörbchen, und dann roher Hummer mit Salat, Schwarzwurzel und Pflaume. Gaumenfreuden pur. Hier ist wahrlich ein Spitzenkoch am Werk.

Spargel im November? Die Erklärung folgt, aber die Kombination mit Haselnuss, Kartoffel und Butter ist einfach himmlisch. Zum Hauptgang kein traditionelles Rinderfilet oder Kalb, sondern gegrilltes Bioschwein und dazu Karotten und eine Soße aus Buttermilch. Das Schweinefleisch schmilzt förmlich im Mund. Unglaublich. Dann ein selbstgemachter Käsekracker wie eine Blumenwiese mit Käse, Lauch und Birne angerichtet, bevor ein Sour-Creme-Eis mit Rosmarin und Mandel das Gourmetkonzert mit Glanz abrundet.

 

Käsecracker mit Lauch und Birne Foto: Susanne Plaß, SHGF

Rene Mammen

Der dänische Sternekoch Rene Mammen betreibt in Aarhus das Restaurant Substans. 2015 erhielt Substans als eines der ersten  dänischen Restaurants außerhalb Kopenhagens einen Michelinstern.

Rene Mammen ist 36 Jahre, verheiratet und hat drei Kinder. Er lebt mit seiner Familie in Skanderborg südlich von Aarhus. In seiner Freizeit hält er sich durch Laufen und Training fit – und dann liebt er schnelle Autos‚ drehte auch schon Runden auf Spa in Belgien oder dem Nürburgring.

Mammens Küche ist Kunst

Jeder einzelne Gang ist  perfekt komponiert, und die Zutaten sind aufeinander abgestimmt. Rene Mammen lässt die Zutaten wie in einem Orchester perfekt zusammenspielen. Das ist nicht Küche, das ist Kunst, wobei Rene Mammen nicht einer der Köche ist, die einen kunstvollen Teller anrichten. Er richtet viele seiner Gerichte in einer kleinen Schüssel an und zwingt sozusagen den Gast dazu, die vielen Geschmacksrichtungen auf einmal einzunehmen. Und dann spielt die Musik.
Warum gehen Köche in fremde Küchen? Der Maurer oder Steuerprüfer wechselt nicht zwischendurch den Arbeitsplatz.

„Ich glaube, wir haben den Bedarf, anderen Kollegen über die Schulter zu gucken und uns inspirieren zu lassen. In diesem Fall schauen sie mir über die Schulter – entdecken, dass wir Soße ohne Fleisch machen und überraschen die Gäste mit einer anderen Küche, als sie es gewohnt sind. Vielleicht öffnen wir ihnen die Augen und schaffen dadurch vielleicht ein Interesse für die höhere Gastronomie“, sagt Rene Mammen.
Und obwohl Rene Mammen diesmal wenig Inspiration sammeln konnte, weil alle nach seinen Anweisungen gekocht haben, hat ihn die neue Küche (drei Millionen Kronen) im Gasthaus Gardels dennoch beeindruckt – und einige gute Ideen hat er abfotografiert als Inspiration und sie den Produzenten gemerkt.

Privilegierte Prinzessinnen

Ein wenig nervös war der Sternekoch dennoch vor seinem Auftritt. „In Deutschland kochen die Gastgeber oft das, was die Gäste erwarten und wollen. In Dänemark sind die Köche privilegiert – wir sind alle „Prinzessinnen“ und kochen, was wir gerade wollen. Dabei ist es leicht, die Leute zufriedenzustellen: Man kann einfach Steinbutt, Kaviar, Rinderlendchen und  Trüffel  servieren. Dann sind alle glücklich. Aber ich glaube, dass  andere Wege zum Glück führen“, sagt Mammen über seine Essensphilophofie.
Sternekoch zu sein ist seiner Meinung nach keine Kunst. „Es fühlt sich zumindest nicht so an“, sagt der Däne bescheiden: „Dazu gehört eine gewisse Portion Fantasie und natürlich gutes Handwerk. Es muss für den Gast interessant sein, aber auch für den Koch, der das Essen zubereitet. Ich bin ein großer Anhänger davon, dass es leicht aussieht – es ist aber nicht der Fall. Das Hauptgericht waren ein Stück Schweinefleisch und Karotten und Selleriemus. Einfach. Aber es liegen viele Arbeitsgänge, viele Tage Arbeit dahinter. Das sieht der Gast nicht unmittelbar, aber er  erlebt es am Tisch“, sagt Rene Mammen.

Er und sein Team brauchen in der Saison viel Zeit, um die verschiedensten Zutaten aufzubewahren: Es wird fermentiert, eingelegt und eingekocht. Wenn wir dann ein neues Gericht ausprobieren, haben wir ein ganzes Arsenal an Zutaten, die wir einsetzen können, um genau den Geschmack zu treffen, den wir suchen. Wir reden oft vom Gurken-Effekt  – dieses leicht saure, knusprige Ding auf der Leberpastete. Wenn wir diesen Effekt suchen, haben wir vielleicht 20 verschiedene Geschmacksrichtungen, weil wir vorgesorgt haben“, erklärt Mammen – und so gab es eben auch im November noch den Geschmack von frischem Spargel.

Rene Mammens Bessenheit

Sterneköche scheinen aber auch eine Gabe zu haben, aus allem etwas Schmackhaftes zu machen?
„Ja, wir sind davon hoffnungslos besessen, alles am Tier oder alles was wächst, in der Küche einzusetzen.  Daher haben wir zum Beispiel  krosse Hähnchenhaut serviert  und ein fettes Stück Schweinefleisch. Vielleicht bin ich einfach ein Bauernjunge, aber ich mag es, auch aus günstigen Zutaten etwas Leckeres zu zaubern. Nicht weil ich beim Einkaufen auf den Preis schaue – ich weiß gar nicht, was die Dinge kosten. Ich bestelle das, was ich gerade benötige“, sagt Mammen. „Aber ich möchte zum Beispiel lieber mit Miesmuscheln als teuren Jacobsmuscheln arbeiten. Wir haben die Miesmuscheln in unserer Gemüsetarte als Geschmacksverstärker eingesetzt: Die Hälfte der Miesmuscheln wurde fein gehackt, die andere zu einem Pulver getrocknet und dazugegeben. Auch der kleine Malzkorb für die Tarte ist nicht teuer, aber die Zubereitung ist langwierig und kompliziert“, so der dänische Sternekoch.

Wenn er dann doch zur Luxusware greift, versucht Rene Mammen sie möglichst „rein“ zu servieren – also ohne Sahne, Butter oder komplizierte Zubereitung, sondern pur: Das rohe Hummerfleisch war zum Beispiel nur leicht gesalzen, dafür waren die anderen Zutaten (Salat, Pflaume und Schwarzwurzel) perfekt auf den Hummer abgestimmt. Das zu können, ist (s)eine Kunst.

Schulmüder Teenager wurde Sternekoch

Die letzten Jahre seiner Schulzeit hatte Rene Mammen keinen Spaß an der Schule. Irgendwie passierte da zu wenig für den jungen Mann, der stattdessen viel lieber zur Arbeit ging. In der lokalen Gastwirtschaft war er Tellerwäscher und verdiente Geld – das war besser als Schule. Außerdem wollte er lieber Gitarre spielen und Postbote sein – dazu brauchte er keine Ausbildung. Dann geschah, was passieren musste:
„Es war Not am Mann, und der Krug brauchte jemanden an der Friteuse für die Kindergerichte. Ich mochte die Energie in der Küche, es machte Spaß, und ich konnte morgens lange schlafen“, erzählt Rene Mammen. Er macht die Lehre als Koch und legt noch einen obendrauf und macht eine Ausbildung als Kellner.

Mit der Doppelausbildung im Gepäck landete Rene Mammen bei den besten Restaurants in Kopenhagen und machte sich schließlich selbst einen Namen als Spitzenkoch.
Sternekoch, das klingt nach  langen Arbeitstagen und -Wochen und einem Koch, der alle in der Küche ausschimpft?

„Ich habe gewiss auch lange Arbeitstage in Kopenhagen gehabt und schimpfende Chefs, von denen ich vieles gelernt habe. Heute arbeiten wir im Substans vier Tage die Woche und versuchen, ein normales Arbeits- und Privatleben zu haben. Außerdem habe ich keine Lust, mir meinen eigenen Arbeitstag zu versauern, indem ich Leute anschreie oder ausschimpfe“, berichtet Mammen, der im Substans auch mit seiner Frau Louise zusammenarbeitet.
Zwölf Jahre betreibt er schon sein Restaurant in Aarhus. Aber immer wieder sucht der dänische Sternekoch neue Herausforderungen. Deshalb schließt er Ende Dezember sein Restaurant Substans in Aarhus und zieht mit seiner Crew für einen Monat in seine Heimatstadt Skanderborg, wenige Kilometer südlich der Kulturhauptstadt. Dort entsteht für vier Wochen sein neuer Gourmettempel, bevor er dann im Februar nach Aarhus zurückkehrt.Gwyn Nissen

 

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