Stockender Personalaufbau

Die Polizei kämpft mit Nachwuchssorgen

Die Polizei kämpft mit Nachwuchssorgen

Die Polizei kämpft mit Nachwuchssorgen

ghe/Ritzau
Apenrade/Aabenraa
Zuletzt aktualisiert um:
Gehalt über die gesamte Ausbildungszeit und ein neues, attraktives Ausbildungsprogramm könnten wieder mehr junge Menschen für den Beruf begeistern. Foto: Rigspolitiet

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Die Politik hat der Bevölkerung vor zwei Jahren mehr Sicherheit und eine bürgernahe Polizei versprochen. Dafür sollten bis Ende 2023 jährlich 150 neue Beamtinnen und Beamte eingestellt werden. Doch der Personalaufbau stockt, und das Ziel wird nicht erfüllt werden können. Denn mehr Polizisten verlassen den Dienst, und der Nachwuchs fehlt.

Die Polizei muss sich wohl dauerhaft darauf einstellen, nicht zusätzliches Personal zu bekommen. Demnach sei es nicht realistisch, dass die Polizei in Dänemark bis Ende 2023 auf 11.700 Kräfte aufgestockt werde, sagt der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft, Heino Kegel, gegenüber „Jyllands Posten”. Die Folge sei, dass die Polizei ihre Aufgaben entsprechend wird priorisieren müssen. Das würden auch die Bürger zu spüren bekommen, ist er sicher. 

Die Stärkung der Polizei war als Teil der letzten Polizeivereinbarung vom Dezember 2020 festgelegt worden. Die bis dato rund 11.250 Polizeibediensteten sollten jährlich bis Ende 2023 um 150 neue Personen aufgestockt werden, um die Sicherheit und die Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern zu erhöhen. Doch im September 2022 gab es nur 11.378 Polizistinnen und Polizisten – weniger als noch im Vorjahr (11.404).

Viele schaffen die Aufnahmeprüfung nicht

Hintergrund ist die sinkende Zahl von Bewerbungen für die Polizeischule. Gleichzeitig verlassen mehr Bedienstete als erwartet die Polizei, heißt es laut dem Bericht. Die Polizeischule beschreibt die gleichen Probleme in einer Antwort an die Parteien, die hinter der Polizeivereinbarung stehen. Es zeige sich, dass ein großer Teil der Bewerberinnen und Bewerber die Aufnahmeprüfungen nicht bestehe. Die Schule verweist außerdem auf die generellen Herausforderungen bei der Rekrutierung auf dem Arbeitsmarkt.

Gewerkschaftschef Kegel ist besorgt, dass die Polizei in eine Abwärtsspirale gerät – mit weniger Personal und schlechteren Arbeitsbedingungen. Er will nun Justizminister Peter Hummelgard (Soz.) eine Liste mit Wünschen vorlegen. Kernpunkte sind ein Gehalt während der Ausbildung und ein neues, attraktives Ausbildungsprogramm, um jüngere Menschen für den Polizeiberuf zu begeistern.

Kegel betont, dass vor allem Menschen mit mangelnden Kenntnissen der dänischen Sprache an der Aufnahmeprüfung scheiterten. Man könne zwar die Anforderungen an Polizeibeamte, gut Dänisch sprechen zu können, nicht lockern, aber die sprachlichen Anforderungen an den Beruf in die Ausbildung integrieren. Das sieht auch die juristische Sprecherin der Sozialistischen Volkspartei (SF), Karina Lorentzen Dehnhardt, so.

Heino Kegel ist Vorsitzender der Polizeigewerkschaft
Heino Kegel ist Vorsitzender der Polizeigewerkschaft. Foto: Politiforbundet

Wir können es uns nicht leisten, interessierte Bewerber auszusortieren.

Karina Lorentzen Dehnhardt, juristische Sprecherin von SF

Der Ausbildungsverlauf müsse so angepasst werden, dass auch Schülerinnen und Schüler mit fehlenden Kenntnissen Fuß fassen und gehalten werden können. Lorentzen Dehnhardt ist ebenfalls offen für die Einführung einer Vergütung über die gesamte Dauer der Ausbildung, so wie es bereits im Strafvollzug der Fall sei. Die höheren Kosten müsse man in Kauf nehmen.

In diesem Jahr stehen die Verhandlungen über eine neue Polizeivereinbarung an. Geht es nach Lorentzen Dehnhardt, so wäre es durchaus angebracht, über die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu diskutieren.

Politik muss Polizeiberuf wieder attraktiver machen

Der Polizeiforscher Adam Diderichsen von der Süddänischen Universität fürchtet, dass ohne Gegenmaßnahmen der Polizeiberuf unattraktiver werden könnte. Hier müsse gegengesteuert werden. Eine Vielzahl an Polizeiaufgaben, die in der aktuellen Vereinbarung aufgelistet sind, seien ohne zusätzliches Personal nicht realisierbar.

Die Politik wird sich daran gewöhnen müssen, dass die Mittel der Polizei begrenzt sind.

Polizeiforscher Adam Diderichsen

Will man der Polizei aber eine neue Aufgabe geben, so müsse man gleichzeitig aufzeigen, was sie nicht machen sollte. „Eine dauerhafte Aufstockung der Kräfte, die Platz für zusätzliche Aufgaben schafft, ist ohne grundlegende Veränderungen in der Führung der Polizei und der Ausbildung nicht absehbar“, sagt Diderichsen.

Diderichsen und auch Kegel gehen davon aus, dass die Dänen die Nachwuchssorgen bei der Polizei zu spüren bekommen werden. Denn durch die fehlenden Kräfte müsse die Polizei bei ihren Aufgaben priorisieren. Dabei geht es etwa um die Bearbeitung von aufgegebenen Anzeigen oder die Sichtbarkeit der Polizei im Straßenbild.

Das könnte sich gerade im ländlichen Raum auswirken, sagt Diderichsen. Aber auch für den Kampf gegen Cyber- und Wirtschaftskriminalität brauche es Polizeikräfte. Seine Befürchtung: Gerade die von der Politik gewollte Bürgernähe und Sichtbarkeit der Polizei könnte künftig eine geringere Priorität bekommen.

Wieder mehr Polizisten an der Grenze nach Abzug des Militärs

Die Gewerkschaftschefin der Ostjütischen Polizei, Anita Frank, kann das bestätigen. Bereits jetzt gebe es eine große Frustration unter den Kollegen, die nicht das liefern können, was sie unter bürgernaher Polizei verstehen würden. Ein Beispiel sind die Grenzkontrollen. So seien etwa nach dem Rückzug der Soldaten von der deutsch-dänischen Grenze gleich neun Beamte der Polizeidirektion zur Grenzkontrolle abbestellt worden. „In der Praxis fehlen 18 Personen im Dienstplan, da die neun Beamten zunächst sieben Tage an der Grenze arbeiten und anschließend sieben Tage frei haben“, sagt Frank. Zusätzliche Beamte seien etwa mit Fällen der Wirtschaftskriminalität beschäftigt. Dennoch ist sich Frank sicher, dass die Polizei ihren Aufgaben weiterhin nachkomme und auch sichtbar für die Bürger sei.

Ein positives Beispiel für mehr Bürgernähe und Präsenz vor Ort gibt es aus dem vergangenen Jahr. Im Mai war in Toftlund nach 49 Jahren erstmals wieder eine neue Polizeiwache eröffnet worden, in der fünf Beamte an 15 Stunden in der Woche für Bürgerinnen und Bürger da sind.

Justizminister Hummelgard: Bürgernahe Polizei hat hohe Priorität

Gegenüber der Zeitung räumt die Reichspolizei zwar schriftlich ein, dass es schwierig werde, das Ziel zu erreichen. Das bedeute jedoch nicht, dass die Polizei ihre gegenwärtigen Aufgaben nicht bewältigen könne. Die Polizeikräfte würden lediglich langsamer aufgestockt als bisher erwartet. Die Stärkung der einzelnen Polizeireviere werde zwar aufgeschoben, die bestehenden Aufgaben beeinträchtige das aber grundsätzlich nicht.

Justizminister Hummelgaard will sich nun erst einmal einen vollständigen Überblick verschaffen, betont jedoch, dass eine sichtbare und bürgernahe Polizei in Dänemark für die Regierung eine hohe Priorität habe.

Mehr lesen

Diese Woche In Kopenhagen

Walter Turnowsky ist unser Korrespondent in Kopenhagen
Walter Turnowsky Korrespondent in Kopenhagen
„Das Meer verwischt (nicht) alle Spuren – oder warum Umweltminister Heunicke endlich in die Puschen kommen sollte“