Interview

Sara Blædel über Plot, Ruhm und Agatha Christie

Sara Blædel über Plot, Ruhm und Agatha Christie

Sara Blædel über Plot, Ruhm und Agatha Christie

Sonderburg/Sønderborg
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Sara Blædel auf der Terrasse des Hotels Sønderborg Strand Foto: Sara Wasmund

Mit 40 Jahren hatte Sara Blædel ihren Durchbruch als Schriftstellerin, nun ist 15 Jahre später ihr zehnter Band mit Ermittlerin Louise Rick erschienen. Im Interview mit dem „Nordschleswiger“ spricht die 55-Jährige über ihren Weg als Autorin, verrät, wie sie ihre Bücher schreibt und warum die Menschen so gerne Bücher über Mord und Totschlag lesen.

Es regnet, ein stiller, grauer Nieselregen hat sich über Sonderburg festgesetzt. Sara Blædel ist das Gegenteil zum Wetter. Strahlend erscheint sie zum Interview im Saal des Hotels Sønderborg Strand. Sie hat allen Grund dazu. Ihre Karriere als Autorin ist das, was man im Dänischen eine „Solstrålhistorie“ nennt. Eine Sonnenschein-Geschichte.

Obwohl Legasthenikerin, wurde Sara Blædel eine der erfolgreichsten Krimischriftstellerinnen Skandinaviens, ihre Bücher werden in 38 Ländern publiziert und haben Sara Blædel reich und berühmt gemacht.

Seit 15 Jahren lebt und arbeitet sie mit Ermittlerin Louise Rick und Kriminalreporterin Camilla Lind, die auf Seeland Morde aufklären, vom Leben mal verwöhnt und mal geschüttelt werden.

Wusstest du vor 15 Jahren, worauf du dich mit deinen beiden Hauptfiguren einlässt, wie viele Bücher es werden und wie sich Louise und Camilla entwickeln? „Nein, in keinster Weise! Vor 15 Jahren habe ich Louise als Person vor mir gesehen, wie sie aussah.

Dann habe ich ihr Camilla als Journalistin zur Seite gestellt, so konnten die persönlicheren Aspekte der Geschichte besser erzählt werden, der Kriminalfall von zwei Seiten angegangen werden. Und dann habe ich losgeschrieben, ohne vorher zu wissen, wie es ausgeht.

Die beiden haben sich von Buch zu Buch entwickelt, manchmal, ohne dass ich es mir ausgedacht habe. Es kam einfach. So wie im richtigen Leben auch.“

 

Sara Blædel war auch schon zu Gast bei Allan Breckling (l.). Rechts steht der Revue-Mann Leif Maibom. Foto: Timo Battefeld/Jysk Fynske Medier/Ritzau Scanpix

Am Anfang deines neuen Buches „Pigen under Træet“ verschwindet ein Mädchen während einer Klassenfahrt spurlos im Wald. Wie gehst du an die Geschichte ran – überlegst du dir den Plot vorher oder schreibst du drauflos und siehst, wo du am Ende landest? „So habe ich es am Anfang gemacht. Mittlerweile arbeite ich mit Plotkarten. Ich überlege mir den Verlauf der Geschichte: Wann kommt in diesem Buch Louise ins Spiel, wann Camilla, wann und wie geschieht was, wann kommt ein Rückblick? Wo baue ich etwas Persönliches ein und wo wird der Plot weiterentwickelt?

Das gibt mir eine Struktur und eine Sicherheit, in der ich sehr kreativ und spontan sein kann. So kann ich mit den Schichten und Ebenen besser spielen, Erzählstränge entfalten, ohne den Faden zu verlieren.“

Das neue Buch von Sara Blædel ist Band Nummer 10 in der Krimireihe um Ermittlerin Louise Rick. Foto: Politikens Forlag

Wie arbeitest du in der Regel an einem Buch? Hast du feste Schreibzeiten? „Meistens wenn ich an einem Buch schreibe, bin ich in meinem Sommerhaus auf Nordseeland. Und ab und an reise ich für eine Woche weg, um mich völlig einzukapseln.

Dann gibt es nur die Geschichte und mich, und abgesehen von einer Essensbestellung im Restaurant rede ich mit niemandem. Ich gehe nicht online und höre keine Nachrichten. Das ist großartig.“

Und wie viele Seiten schreibst du in so einer Woche? „So um die 100 werden es wohl sein. Für dieses Buch war ich eine Woche auf Mallorca und eine Woche in Malaga.

Ich liebe es, mich mit dem Plot und dem PC zu verschanzen und völlig in die Geschichte einzutauchen. Gerade am Anfang und am Ende ist es eine große Hilfe, derart in die Geschichte einzutauchen.“

 

Der Wunsch nach Gerechtigkeit. Das ist bestimmt einer der Gründe. Außerdem zieht uns die Spannung in ihren Bann, und bestimmt gibt es auch die Faszination an der dunklen Seite im Menschen.

Sara Blædel, Schriftstellerin

Warum sind die Menschen so begeistert davon, Geschichten über Mord und Totschlag zu lesen? Die Realität ist doch schlimm genug, sollte man meinen. Was fasziniert uns so an Krimis? „Gerechtigkeit. Der Wunsch nach Gerechtigkeit. Das ist bestimmt einer der Gründe. Außerdem zieht uns die Spannung in ihren Bann, und bestimmt gibt es auch die Faszination an der dunklen Seite im Menschen.

Ich denke, wenn in unserem Land Krieg herrschen würde, dann wären die Leute bestimmt nicht so verrückt nach Krimis. Auch in Deutschland ist der Markt für Kriminalromane und Psychothriller ja enorm groß, die Nachfrage ist riesig. Ich denke, die Menschen suchen eine gewisse Spannung."

„Im Grunde geht es um das, was uns allen passieren kann“

Deine Bücher erscheinen in 38 Ländern, liegen am Flughafen aus und werden millionenfach verkauft. Hast du dich irgendwann an den Zustand gewöhnt, eine sehr erfolgreiche Schriftstellerin zu sein? „Wenn ich beispielsweise in Kanada auf einer Lesereise bin und dort bei einer Signierstunde die Menschen Schlange stehen, um ein Autogramm von mir zu kriegen, frage ich mich schon: Woher kennen die mich alle? Warum lesen die meine Geschichten aus Dänemark? Das ist schon besonders."

Und was glaubst du? Warum lesen sie deine Bücher so gerne? „Weil die Themen aus meinen Büchern nicht auf Dänemark beschränkt sind. Im Grunde geht es um das, was uns allen passieren kann. Veränderungen im Privaten, im Beruf, verschiedene Lebensabschnitte. In meinen Krimis erzähle ich Geschichten aus dem Alltag, und darin können sich die Menschen widerspiegeln.

Nehmen wir mein neues Buch: Da verschwindet ein Mädchen während der Klassenfahrt auf Bornholm. Wir alle waren auf Klassenfahrt und sehr viele auf Bornholm. Wir können uns reinversetzen, wie es ist, dort zu sein. Nachts aus dem Fenster zu steigen, um mit einheimischen Jugendlichen abzuhängen. Und jeder kennt diese Mädchencliquen in einer Klasse. Entweder, weil man Teil davon war, oder weil man außen vor blieb. All das, dieses Wiedererkennen, das macht Spaß und fasziniert.“

 

Auf dem Buchforum im Kopenhagener Bella Center wurde Sara Blædel am 16. November als Schriftstellerin des Jahres ausgezeichnet. Foto: Ida Guldbæk Arentsen/Ritzau Scanpix


Wer entscheidet, wann es Zeit für ein neues Buch von Sara Blædel ist – du oder der Verlag? „Es gibt keine Deadlines, auf die ich achten muss. Das entscheidet mein Kopf. Wenn sich darin eine Idee entwickelt und es zu kribbeln beginnt, weil mich eine Idee gepackt hat, dann kann und will ich nicht warten.

Jetzt gerade beispielsweise habe ich eine neue Idee im Kopf, wie es mit Louise und Camilla weitergeht. Die ist ganz von alleine aufgetaucht, ich weiß jetzt, was passieren wird."

Wie hast du es geschafft, trotz Legasthenie eine solche Freude am Lesen und Schreiben zu entwickeln? „Glücklicherweise habe ich eine leichte Form, aber einige Worte und Buchstabenkombinationen, Endungen, machen mir bis heute zu schaffen. Aber man kann trotz Lese- und Schreibschwäche seine Ausdrucksform finden. Das muss überhaupt keine Bremse sein!

Heute bin ich froh, dass ich anderen mit meiner Geschichte Mut machen kann. Und dass ich Leuten Freude am Lesen geben kann, weil sie unbedingt wissen wollen, wie die Geschichte ausgeht. So kann ich die Leselust wecken. So wie es bei mir früher die ,Fünf Freunde’ von Enid Blyton getan haben.

Ich erinnere mich an eine Situation in der Volksschule, ich war wohl in der siebten Klasse. Ich hatte einen Aufsatz geschrieben und erhielt die Rückmeldung, dass es nicht gut genug sei und ich mich mit den Endungen mehr anstrengen müsste. Mein Vater, der Journalist war, ist daraufhin zu meinem Lehrer spaziert und hat gesagt: ,Hindere meine Tochter nie wieder daran, eine Geschichte zu erzählen.’ Damals fand ich das super peinlich – aber es hat es eigentlich gut auf den Punkt gebracht."


Warst du eher der Agatha-Christie-Fan oder eher der Edgar-Allan-Poe-Typ? „Agatha Christie, eindeutig. Ich habe sie geliebt, und meine Mutter hat sie mir ganz früh schon als Abendlektüre vorgelesen. Sie ist die Beste, wie sie ihre Geschichten konstruiert und erst am Ende auflöst, einfach großartig.“

 

Im Grunde ist es so, dass ich mir selbst die Geschichte erzählen will. Ich bin beim Schreiben eines Buches selbst neugierig und gespannt, wie es ausgeht.

Sara Blædel, Schriftstellerin

Was treibt dich beim Schreiben an? „Im Grunde ist es so, dass ich mir selbst die Geschichte erzählen will. Ich bin beim Schreiben eines Buches selbst neugierig und gespannt, wie es ausgeht, was passieren wird. Ich will es selbst wissen – und dementsprechend schreibe ich sehr gerne.“

Was machst du, wenn du gerade nicht schreibst – hast du Hobbys, oder ist das Schreiben dein ganzes Leben? „Ich reise viel und gerne, aber ich habe kein besonderes Hobby. Die Lesereisen, die ich typischerweise im Frühling und Herbst mache, auch nach Kanada und in die USA, nehmen viel Zeit in Anspruch. Mein Sohn ist jetzt 22 und lebt in New York, auch dort bin ich oft.“

Wird er auch Schriftsteller? „Nein, er ist an einer Schauspielschule. Ich fliege dorthin, so oft ich kann.“

Es wurde Zeit für eine Lesung in Nordschleswig

Wo lebst du, wenn du nicht im Sommerhaus auf Nordseeland bist und schreibst? „Mitten in Kopenhagen. Ich habe bis vor einiger Zeit anderthalb Jahre in Manhattan gelebt. Und als ich zurückkam, wollte ich so zentral wie möglich und so nah dran wie möglich wohnen, wie es nur ging.“

Du gibst am Abend eine Lesung in Allan Brecklings „Bogcafé“. Wie kam es, dass du nach Sonderburg gekommen bist?

„Ich war sehr lange nicht mehr hier, und ich hatte viele Leser aus Nordschleswig, die immer mal wieder gefragt haben, wann ich endlich mal wiederkomme. Es war also an der Zeit – und als Allan Breckling mich gefragt hat, habe ich sehr gerne zugesagt. Außerdem brennt er für das, was er tut, das war ebenfalls sehr überzeugend.“

 

Sara Blædel lebt und arbeitet auf Seeland. Foto: Sara Wasmund
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Leitartikel

Anna-Lena Holm
Anna-Lena Holm Hauptredaktion
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