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Abtreibung im Abstellraum: Drei Frauen aus Flensburg berichten

Abtreibung im Abstellraum: Drei Frauen aus Flensburg berichten

Abtreibung im Abstellraum: Frauen aus Flensburg berichten

Mira Nagar/shz.de
Flensburg
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Wenn mit dem positiven Schwangerschaftstest die negativen Gedanken kommen: Drei Flensburgerinnen haben sich gegen ein Kind entschieden – und berichten von ihren Erfahrungen.   Foto: www.imago-images.de/shz.de

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Quälendes Warten und abwertende Blicke: Drei Frauen berichten von ihren Erfahrungen mit Schwangerschaftsabbrüchen.

Ein positiver Schwangerschaftstest – für viele Frauen ist das ein glückliches Erlebnis, der Schritt vom Paar zur Familie beginnt. Doch nicht für alle ist es der große Lebenstraum oder die passende Zeit. So wird der positive Test der Beginn einer großen Frage – wie geht es weiter: mit Baby oder ohne? Und: Was folgt, wenn man kein Kind möchte?

Anne, Insa und Sandra (Namen geändert), drei Frauen aus Flensburg, haben sich gegen ein Kind entschieden. Anne und Insa haben ihre Schwangerschaft abgebrochen, Sandras Schwangerschaft endete kurz vor dem Abtreibungstermin auf natürliche Weise.

Immer wieder wird in Flensburg über die Versorgungsstrukturen für Schwangerschaftsabbrüche gesprochen. Denn es gibt nur wenige Ärzte, die eine Abtreibung durchführen. Trotz der zeitweise angespannten Versorgungslage hatten Anne, Insa und Sandra kein Problem, einen Arzttermin für den Abbruch zu bekommen. Doch gut aufgehoben haben sie sich trotzdem nicht immer gefühlt.

Insa: „Dann haben sie mich in einen Abstellraum gebracht“

Für Insa ist es die erste Schwangerschaft. Sie ist Anfang 20, als es passiert. Und die Schwangerschaft trifft sie unvorbereitet. Die Ärzte hatten immer gesagt, dass sie keine Kinder bekommen könne, und sie hatte auf eine Verhütung verzichtet. Doch als es doch soweit ist, ist ihr erster Entschluss, sich zu freuen. So wie sie glaubt, dass es von ihr erwartet wird.

Doch es wachsen die Zweifel. „Ich hatte immer mehr Angst, war total überfordert. Restlos“, erinnert sie sich. Sie hat Berufsängste, denn ihre Ausbildung hatte die damals 21-Jährige erst kurz davor abgeschlossen. Auch ihr Freund und ihre Eltern zeigen sich nicht so glücklich wie erwartet.

Sie geht zur Schwangerschafts-Konfliktberatung in Husum, da sie in Flensburg keinen Termin mehr bekommen hat. Dort gibt es eine Bescheinigung, mit der ein sogenannter sozial indizierter Schwangerschaftsabbruch straffrei bleibt.

Bei einem Abbruch mit Medikamenten gibt zwei Termine. Der Embryo wird erst abgetötet und mit der zweiten Einnahme herausgeblutet. Doch das kann dauern. Insa empfindet diese ungewisse Wartezeit in der Praxis als unangenehm.

Beim „98. Mal zur Toilette gehen“ sei ihr Kreislauf kollabiert. „Ich bin auf dem Weg zurück ins Wartezimmer umgekippt. Mir wurde schwindelig, auf einmal ganz schwarz vor Augen.“ Insa bricht mitten im Wartezimmer zusammen und bekommt mit der Freundin, die sie begleitet, einen geschützten Raum zugewiesen. Allerdings einen anderen, als sie erwartet hatte.

Sie habe versucht, so leise wie möglich mit ihrer Freundin zu sprechen, damit keiner etwas mitbekommt. „Es fühlte sich immer mehr verboten an, in dieser Abstellkammer. Man fühlt sich wie das Allerletzte.“ Irgendwann hat Insa es überstanden. Die Schwangerschaft ist vorbei, doch etwas bleibt zurück.

Nach einer Therapie sei das Thema inzwischen für sie erledigt, sagt Insa heute. „Es gehört immer noch zu mir. Aber auch durch die Erfahrung, die ich gemacht habe, würde ich sagen, ich würde es nie wieder tun“, sagt sie inzwischen.

Anne: „Der Frauenarzt hat die ganze Zeit darauf gedrängt, dass ich mir das ansehen soll“

Anne ist gerade im Studium, als es passiert. Sie hatte die Pille genommen. Doch eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nie. Anne war gerade 20. Es war eine Zeit, in der sie auf Medikamente zurückgreifen musste.

Sie ist sich schnell sicher: Ein Kind möchte sie nicht. Nicht jetzt jedenfalls. Anne telefoniert herum, ist auf der Suche nach einem neuen Frauenarzt, der die Schwangerschaft offiziell feststellt – und landet bei einem mutmaßlichen Abtreibungsgegner. Seine Reaktion ist es, die ihr noch lange nachhängt.

Anne fühlt sich bedrängt. Immer wieder habe der Arzt auf sie eingeredet, kritische Fragen gestellt, wollte sie dazu bringen, einen Mutterpass zu bestellen. „Dann habe ich halt geschaut und es war wirklich so, wie ich es mir vorgestellt habe. Ein kleiner, also wirklich winzig kleiner Punkt.“ Anne bleibt bei ihrer Entscheidung, die Schwangerschaft abzubrechen.

Bei der Schwangerschafts-Konfliktberatung fühlt sie sich gut aufgehoben. „Als ich ihr gesagt habe, dass ich mir meiner Entscheidung schon ziemlich sicher bin, hat sie auch gesagt ‚Okay, das kann ich an dir merken‘. Und das hat sie dann auch nicht hinterfragt“, erinnert sich Anne.

Bei Anne ist der Abbruchs-Termin zwar unangenehm, aber irgendwann überstanden. „Es war, als hätte meine ganz normale Periode eingesetzt“, sagt sie.

Nach ihrem Studium, wenn alles stimmig ist, möchte Anne gern eine Familie haben, sagt sie heute. Das Erlebnis habe sie hinter sich gelassen. Auch wenn sie in ihrem Umfeld kaum darüber sprechen konnte.

Für viele Frauen könnte ein neutrales Nachgespräch nützliche sein, denkt Anne. Eine Anlaufstelle für danach.

Sandra: „Ich habe dort geweint und das hätte ich so am Anfang gar nicht gedacht“

Sandra ist bereits Mutter, als sie erneut schwanger wird. Doch die Frage nach einem zweiten Kind stellte sich für sie nie, sie habe das Gefühl gehabt, mit einem Kind „komplett“ zu sein.

Obwohl sie sich sicher ist, empfindet Sandra die Zeit als belastend – und die Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen als nicht ausreichend. An wen wendet man sich – und was passiert dann? Ihr erster Anruf landet auf einem Anrufbeantworter. Eine Sackgasse und das kurz vor einem Wochenende.

Einen Beratungstermin bekommt Sandra schließlich in Schleswig, wo sie die Beratungen als gut und einfühlsam in Erinnerung hat. Doch der Besuch des Frauenarztes wird unerwartet schwierig für die Mutter. Sandra kennt die frühen Untersuchungen des wenige Millimeter großen Embryos bereits aus ihrer ersten Schwangerschaft.

„Das ist dann wirklich was, wo man nicht so rational sagen kann: Das mache ich weg, sondern das ist was Lebendiges in mir“, sagt Sandra. „Ich habe dort geweint und das hätte ich so am Anfang gar nicht gedacht, weil ich mit meiner Entscheidung sicher war.“

Schließlich wählt Sandra die Nummer einer Praxis, in der die Schwangerschaft sowohl medikamentös als auch operativ beendet werden kann. Doch ihre Fragen enden schon beim ersten Telefonat.

Nach dem Gespräch entscheidet Sandra sich für eine andere Praxis auf der Liste. Doch bevor der Termin kommt, endet ihre Schwangerschaft. „Mein Körper hat es abgestoßen, wahrscheinlich weil es nicht intakt war“, erinnert sie sich.

„Ich war sehr erleichtert, dass mein Körper das allein erledigt hat und ich da nun nicht aktiv eingreifen musste, obwohl ich mich dafür entschieden hatte.“ Denn die Ungewissheit und auch die Reaktionen haben die 42-Jährige mehr berührt, als sie es erwartet hatte.

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