Ehemaliges Restaurant in Flensburg

Alter Schlachthof: Von der Legende zum Lost Place – so war es bei Gastwirt Hans Braas

Alter Schlachthof: Von der Legende zum Lost Place

Alter Schlachthof: Von der Legende zum Lost Place

Gerhard Nowc
Flensburg
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Der Alte Schlachthof steht schon lange leer – nur noch die grünen Markisen erinnern an das Lebenswerk von Hans Braas. Foto: Tilman Wrede/shz.de

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Das Restaurant „Alter Schlachthof“ war einst eine kulinarische Hausnummer – und das Lebenswerk des Flensburger Gastwirts Hans Braas. Eine Erinnerung an den Gastronomen, eine Flensburger Institution und seine legendäre Präsidentencreme (mit...

Er war ein Gastwirt mit Leib und Seele. Sein Beruf bescherte ihm ein schönes Leben, auf das er im Alter voller Zufriedenheit zurückblickte: Hans Braas, Inhaber des einst legendären Schlachthof-Restaurants. Egal, ob Roastbeef mit Remoulade und Bratkartoffeln oder Grünkohl in der kalten Jahreszeit, bei Hans Braas ging niemand hungrig vom Tisch. Wer die Speisenfolge besonnen im Blick hatte, ließ immer noch eine kleine Lücke. Denn am Schluss gab es die berühmte Präsidentencreme (Rezept weiter unten) und die machte am Schluss eines Menüs nun wirklich satt. Und Appetit auf die nächste.

Hans Braas stammte aus dem Johannisviertel, und seine erste Lehre hatte gar nichts mit seinem künftigen Beruf zu tun: Am 1. April 1939 startete er auf der Flensburger Werft – gegen den Willen seiner Mutter, denn ihr Mann war dort tödlich verunglückt. Doch der Junge setzte sich durch. Seinen Abschluss als Schiffbauer absolvierte er 1942. Aber er entschied sich noch für eine zweite Lehre: als Kellner. Ab 1. Oktober 1945 bis zum 31. März 1947 in Flensburgs großem Gesellschaftslokal, der „Neuen Harmonie“, Toosbüystraße. Bis 1948 besuchte Braas die höhere Hotelfachschule in Heidelberg.

Seine ersten Erfahrungen als Gastronom sammelte er in Norddeutschland. Nach einigen Jahren begann Braas im Flensburger Gnomenkeller. Dann kam die Chance: Im Flensburger Tageblatt entdeckte Braas 1959 die Ausschreibung des Restaurants am städtischen Schlachthof. Vier Bewerber wurden in die engere Wahl gezogen. Von der Drei-Mann-Jury, unter ihnen Bürgermeister Helmut Christensen, wurden die Kandidaten zum Vorsprechen gebeten. Einige Tage später kam für Braas die Zusage aus dem Rathaus.

Stühle und Tische auf Kredit

Der erste Gang durch die Räume machte dem angehenden Gastwirt klar, dass er in seine neue Existenz investieren musste: Es fand sich kein Tisch und kein Stuhl. „Und ich hatte kein Geld.“ Gegen die Existenzgründungsverträge, mit denen Brauereien sich Absatz sicherten, hatte er eine Abneigung. Wegen der Finanzierung sprach Braas bei der damaligen Privatbank vor, stieß dort auf Charly Bon, der ihm mit einem Girokonto mit 4000 Mark Überziehungskredit half. „Das war für damalige Verhältnisse Vertrauen.“ Ob Tische und Stühle von Möbel Clausen in der Friesischen Straße oder Gardinen von Plath & Timmermann: Die Geschäftsleute hatten Vertrauen in Hans Braas und warteten geduldig auf die Rückzahlung, „wenn Geld da ist.“

250 Mark monatlich wollte der Möbelhändler haben. Mit seiner Frau feierte er goldene Hochzeit bei Hans Braas und Frau Clausen lobte den Wirt für die angenehm eingerichteten Räume. Er konnte stolz antworten: „Ja, Frau Clausen, Sie sitzen auch auf den Möbeln, die ich bei Ihnen gekauft habe.“ Auf ein Auto verzichtete der junge Unternehmer. Dienstfahrzeug war das Fahrrad. Die Toiletten des Restaurants wurden selbst gefeudelt. „Das war eben die Erziehung der Johannisstraße.“

40 Lehrlinge

Einen Lehrling leistete sich die Firma in der Aufbauzeit, es sollten insgesamt 40 werden. Zum Aufstieg des Restaurants trug ganz wesentlich Ehefrau Hildegard Braas bei, Flüchtling aus Breslau. Ihr Mann sagte voller Bewunderung: „Die Schlesier sind fleißige Arbeiter!“ In den ersten Jahren bewältigte sie zusammen mit einer Mamsell den Betrieb: „Es war eine harte Zeit.“ Im Wohnzimmer von Hans Braas hing ein gemaltes Porträt seiner Frau, die 2001 verstarb.

Das Schlachthofrestaurant hatte er auch wegen der benachbarten Industriebetriebe ausgewählt. „Sicher, die ganze Gegend sah etwas viereckig aus, aber vielleicht kam da was ’rum.“ Es kam, auch wegen der Art des Chefs, sich immer um seine Arbeit als Wirt und auch mit einem Schnack um die Gäste zu kümmern.

Mit Qualität und Liebenswürdigkeit gelang es Braas, wichtige Industriebetriebe der Stadt als Kunden zu gewinnen.

Gäste von Helmut Kohl bis Helmut Schmidt

Dem früheren Direktor der benachbarten Werft, Hilgenberg, war Braas lange noch dankbar für dessen gewaltige Unterstützung und ständige Empfehlungen. Hilgenberg fragte ihn eines Tages, ob er eine Kantine für den Betrieb einrichten und führen würde. Braas gab ihm einen Korb, weil er die Zeit für sein Restaurant brauchte.

Das Können von Hans Braas und seiner Mannschaft nutzte die Stadtverwaltung gern, wenn es galt, prominente Gäste zu bewirten. Das Gästebuch verzeichnete Helmut Kohl, Bundespräsident Karl Carstens, Hans-Dietrich Genscher, Helmut Schmidt.

Gern sollte er auch das Festessen ausrichten beim Besuch der dänischen Königin. Die Bedingung bei der damaligen Abneigung der Dänen gegen deutsches Militär: Es darf überall zubereitet werden, nur nicht in einer Kaserne. Das Logenhaus am Nordergraben schien die notwendige Ausstattung zu bieten.

Absage an die Königin

Doch dann erlebte der Wirt, wie immer mehr Leute sich in die Vorbereitung mischten – bis es ihm zu viel wurde. Dem Chef des Hauptamtes sagte er: „Ich bin nicht größenwahnsinnig. Ich möchte auf die Königin verzichten. Das muss ich mir nicht antun, mit diesen Leuten zusammen zu arbeiten.“ Es ging auch anders: Vom Essen für Bundespräsident Carstens war eine Mitarbeiterin des Auswärtigen Amtes in Bonn so beeindruckt, dass sie dasselbe noch einmal bestellte für das Treffen von Helmut Kohl mit dem dänischen Staatsminister Poul Schlüter in Flensburg. „Und die Rechnung?“

Braas rief zur Sicherheit noch einmal in Bonn an – es stimmte alles. Dankschreiben und Lobesbriefe, die alle aufgehoben wurden, füllten Ordner. Für sein legendäres Grünkohlessen wurden pro Saison über 20 Zentner verarbeitet, mancher Gast trug als Beute fröhlich die mitgebrachte, gut gefüllte Tupper-Schüssel nach Haus. Weil er so herrlich schnacken konnte und seinen Laden fest im Griff hatte, wurde Hans Braas gebeten, die wichtigen Flensburger Feste mit auszurichten.

Wolfgang Börnsen verarbeitet den Kröger literarisch

So zapfte er das Bier beim Bühnenball und dem Ball des Sports. Hinterm Tresen, in der Lederschürze, die typische Zigarre zwischen den Lippen, bot er einen so stattlichen wie gemütlichen Anblick. Stolz ist der Gastronom, dass er sogar in einem Theaterstück verewigt wurde: Wolfgang Börnsen arbeitete die Figur des Krögers ein in der von ihm geschriebenen, plattdeutschen Version des Musicals „My Fair Lady“, „Een opsternaatsch Deern“.

Bleibt noch die Frage nach seiner berühmten Präsidentencreme, dem Kult-Nachtisch im Schlachthof-Restaurant. Auch wenn er nicht der Küchenfachmann gewesen sei, eines Tages mischte er sich doch ein. Er hatte genug von der einfallslosen Standard-Bestellung „Eis mit heißen Kirschen“ und trommelte seinen Küchenchef Willy Egehave und Frau Hildegard zusammen: „Mensch, können wir nicht etwas anderes bieten? “

Wie es zur Präsidentencreme kam

Küchenchef Egehave präsentierte nach einigem Nachdenken die Idee: Seine Tante in Dänemark hatte das Rezept für eine Frommage – vielleicht könnte man die veredeln mit Rum zu einem Rumpudding. Das war ja gar nicht so ganz dumm! Die Entwicklung überließ Braas seiner Mannschaft. Alle Flensburger Rumsorten wurden mit der Speise ausprobiert, am besten schmeckte der Hansen-Präsident. Braas rief den Inhaber der Firma Hansen Rum, Kurt Grün, an und fragte nach der Verwendung des Namens. „Präsident“ durfte er verwenden, womit der Spitzen-Rum zum Besuch von Reichspräsident Hindenburg 1927 in Flensburg ausgezeichnet worden war.

Dann wurde noch mit der Creme laboriert, bis die Mischung stimmte. Braas bat den Chef der Rumfirma, seinen Chauffeur vorbeizuschicken und eine Schüssel voll der Neuheit abzuholen. Das Rezept ging um die Welt: auf Russisch, auf Japanisch, auf Polnisch. Fritz Wempner, der niederdeutsche Bühnenautor, verfasste es sogar auf Plattdeutsch, die Frau des Bürgermeisters, der ihn einst als Pächter ausgewählt hatte, hielt es auf Dänisch fest.

Weniger Gäste – und ein kurzer Nachfolger

Trotz des guten Essens – es wurde ruhiger im Schlachthof-Restaurant. „Machen wir etwas verkehrt?“, fragte Hans Braas seine Hildegard eines Tages. Beim Nachdenken kamen sie auf einen Grund, der nicht bei ihnen lag. Beinahe von jedem großen Flensburger Unternehmen hatten sie die leitenden Mitarbeiter als Gäste. Und in diesen Firmen war es eines Tages Zeit zum Generationenwechsel.

Die neuen Leute kamen aber nicht automatisch zu Heinz Braas. Bei der Lage im Industrieviertel war der Gedanke an Laufkundschaft völlige Illusion. Und das Gastwirt-Ehepaar hatte die gleiche Erkenntnis, die auch mancher Flensburger Kollege machen musste: „Es ist so schwer, bürgerliches Publikum nachzuziehen. Lass’ uns aufhören!“ 1990 schloss Hans Braas die Türen des Restaurants, bedankte sich für das immer gute Verhältnis zwischen Verpächter und Pächter und gab den Schlüssel im Rathaus ab. Vorbei. In der Stadt bleibt die Erinnerung an viele schöne Essen. Ein Original des Rezeptes für die Präsidenten-Creme wird wie ein Schatz gehütet. Die Nachfolger im Restaurant „tanzten nur einen Sommer “. Ein Kollege gestand dem Wirt: „Mensch, Hans, ich wollte da draußen hin, aber Deine Schuhe waren mir zu groß!“

Ein kleines Geheimnis verriet der Wirt: Die herrlichen Rezepte stammten nicht von ihm – „mit Küche hatte ich nie ‘was am Hut. Ich habe davon überhaupt keine Ahnung“ – bekannte der Gastronom. Und so hielt er es über Jahre. In der Küche seiner bescheidenen Wohnung an der Speicherlinie „gibt es nur eine Mikrowelle und Dosen“.

Hans Braas starb im Februar des Jahres 2014. Würde er heute das Haus seines ehemaligen Schlachthof-Restaurants sehen, er wäre sicherlich fassungslos.

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