Schleswig-Holstein

Aminata Touré im Interview: „Das ist schon ein hohes Risiko“

Aminata Touré im Interview: „Das ist schon ein hohes Risiko“

Aminata Touré im Interview: „Das ist schon ein hohes Risiko“

Kay Müller, shz.de
Kiel
Zuletzt aktualisiert um:
Sagt der Kinderarmut in Schleswig-Holstein den Kampf an: Sozialministerin Aminata Touré. Foto: Marcus Dewanger/shz.de

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Sie ist seit einer guten Woche im Amt: Aminata Touré ist die erste schwarze Ministerin in Deutschland. In ihrem neuen Büro hat die 29-Jährige bislang nur ein paar persönliche Dinge platzieren können, wie etwa das Foto, das sie mit Ex-US-Präsident Barack Obama zeigt.

Frau Touré, Sie scheinen bundesweit zur Zeit auf allen Kanälen zu sein: Wie viele Interviews haben Sie nach der Landtagswahl gegeben?

Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung. Aber es waren eine ganze Menge.

Und welche Frage ist Ihnen am häufigsten gestellt worden?

Wahrscheinlich die, wie das so ist...

...als erste schwarze Ministerin, die in einer Flüchtlingsunterkunft groß geworden ist...

...ja genau so. Und ich sage dann immer, dass das spannend ist.

Gibt es denn eine Frage, die Ihnen nicht gestellt worden ist, die Sie aber gern beantworten würden?

Das ist mal eine gute Frage. Da muss ich überlegen. Ich werde viel nach meinen biografischen Erfahrungen gefragt, aber eigentlich nie, wie das so ist, eine Regierung zu bilden.

Und wie ist das?

Das sind Erfahrungen, die ich vorher noch nie so gemacht habe. Ich habe zwar in Schleswig-Holstein und im Bund schon mal Koalitionsverhandlungen geführt, aber jetzt war das komplett anders, weil ich eine der Hauptakteurinnen war. Das war für mich die herausforderndste Aufgabe, die ich je hatte.

Was war denn daran so herausfordernd?

Die Grünen wollten inhaltlich das Beste rausholen und Verantwortung in einer neuen Landesregierung übernehmen. Scheitern die Verhandlungen, kann man plötzlich aber auch mit leeren Händen dastehen. Das ist schon ein hohes Risiko. In den Sondierungen habe ich schon mal gedacht: Was ist, wenn wir nicht erfolgreich sind und am Ende mit dem historisch besten Ergebnis die Grünen aus der Regierung kegeln? Da war die politische Verantwortung schon sehr groß.

Am Ende hat es geklappt und CDU-Chef Daniel Günther hat nicht mit der FDP, sondern mit den Grünen koaliert. Und Sie persönlich haben ein Ministerium bekommen, das Sie sich maßgeschneidert haben, oder?

Wir haben die ganze Regierung neu aufgestellt und viele Ressortzuschnitte den aktuellen Herausforderungen angepasst.. Mir persönlich war es wichtig, genau für die Themen Politik machen zu können, die jetzt in diesem Ministerium gebündelt werden.

Können Sie den langen Titel fehlerfrei aufsagen?

Ich glaube schon: Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Senioren, Integration und Gleichstellung. Und Soziales nicht zu vergessen, das steht am Anfang!

Sie haben als einzige Ministerin noch nicht alle Staatssekretäre zusammen – wer wird Sie neben Johannes Albig noch unterstützen?

Marjam Samadzade wird meine zweite Staatssekretärin im Ministerium. Sie ist Volljuristin, war Anwältin mit dem Schwerpunkt Vertretung von Frauen bei häuslicher Gewalt, Staatsanwältin in Kiel, als Richterin in Ratzeburg und am Hamburger Amtsgericht tätig. Darüber hinaus beschäftigt sie sich seit Jahren intensiv mit den Themen Migration, interkulturelle Kompetenz und Rassismus. Ich freue mich sehr, dass wir ab dem 18. Juli komplett sind.

Ihr Vorgänger Heiner Garg war auch für Gesundheit zuständig – warum wollten Sie das nicht?

Wir haben lange darüber gesprochen, ob die Lasten in der Regierung vernünftig verteilt sind. In der Vergangenheit war dieses Haus entweder das Pandemie-Ministerium oder das Kita-Ministerium. Es gibt aber noch viele andere Themen, von denen keines untergehen darf. Die sozialpolitischen Herausforderungen in den nächsten Jahren sind heftig. Man kann da dem Tagesgeschäft hinterherlaufen – oder man versucht, parallel auch die lange Linien zu gestalten. Und das kann man nur, wenn man ein Ministerium hat, das fokussiert und nicht zu groß ist. Deswegen sollte Gesundheit einen besonderen Schwerpunkt bekommen.

Hatten Sie Bammel davor, dass Sie in einem möglicherweise heißen Herbst nur die Corona-Ministerin gewesen wären?

Nein, keinen Bammel. Aber ich habe das offen und ehrlich in den Gesprächen thematisiert. Als Grüne sind wir mit dem Ziel zur Landtagswahl angetreten, der Sozialpolitik künftig in Parlament und Regierung mehr Gewicht zu geben.

Die CDU wollte das Gesundheitsressort auch nicht haben, das hat der Ministerpräsident zumindest mal so gesagt...

...diese Aussage kenne ich nicht. Fakt ist, dass alle sehr großen Respekt vor dieser Aufgabe haben. Ich finde, dass wir mit Kerstin von der Decken eine extrem gute Besetzung haben.

Warum wollten Sie den Zuschnitt Ihres Hauses genau so wie er jetzt ist?

Weil hier alle gesellschafts- und sozialpolitischen Themen zusammenkommen, die zusammen gehören. Ich leite ein Menschen-Ministerium. Egal ob es die Weiterentwicklung der Kita-Reform ist, die Integration von Geflüchteten oder jedes andere Politikfeld – wir müssen mit den Leuten reden. Ich glaube, dass viele politische Projekte nur mittelmäßig gelingen, wenn nicht genügend Menschen beteiligt worden sind.

Jetzt gibt es aber viel Unruhe in der Verwaltung, weil viel neu aufgeteilt und zugeordnet werden muss. Dadurch gibt es doch Reibungsverluste, die der neuen Regierung den Zauber des Anfangs nehmen, oder?

Das wird sich zeigen. Bis Anfang September soll die Neu-Organisation stehen, ich hatte aber schon in den ersten beiden Kabinettssitzungen den Eindruck, dass jeder weiß, wofür er oder sie zuständig ist, und wer mit wem über welche Themen reden muss. Das ist etwa zwischen mir und Bildungsministerin Karin Prien so, wenn es um die frühkindliche Bildung geht. Es gab schon immer Schnittmengen zwischen Ministerien, die gut ausgeglichen werden mussten.

Der Ministerpräsident will das Arbeitsprogramm der neuen Regierung erst nach der Sommerpause vorlegen. Haben Sie Ihr persönliches Programm schon fertig?

Wir erstellen das gerade. Und in den ersten Tagen werden wir ein Sofortprogramm für die Tafeln in Schleswig-Holstein auflegen. Und dann will ich mich in die Entlastungspakete für Familie aus dem Bund mit reinwerfen. Für mich hat der Kampf gegen Kinderarmut Priorität, da wollen wir schauen, wie wir als Land mehr machen können als bisher.

Im Koalitionsvertrag stehen auffallend wenig Zahlen – etwa wenn es um Kitas geht. Wann hören die denn was Konkretes von Ihnen?

Wir schauen uns jetzt die Situation rund um die Kitas im Land genau an, um auf dieser Basis inhaltlich noch gezielter arbeiten zu können. Schon jetzt ist aber klar, dass wir die pädagogischen Kräfte in den Kitas mit einem Personalergänzungs-Fonds so entlasten wollen, dass sie sich auf ihre Kernarbeit konzentrieren können. Und wir wollen in dieser Legislatur den Fachkraft-Kind-Schlüssel erhöhen. Das sind essenzielle Punkte, die Geld kosten. Deshalb müssen wir die Haushalts-Eckwerte im Herbst abwarten, um dann festzulegen, wie intensiv und schnell wir dort einsteigen können.

Problem: Das Geld könnte fehlen

Ein Sozialministerium kostet Geld. Haben Sie keine Angst, dass gerade innerhalb der Grünen das Geld aus dem Finanzministerium eher für den Klimaschutz verwendet wird?

Nein, absolut gar nicht. Wir sind uns da als Grüne und in der Koalition einig, dass man beides tun muss...

...den Euro kann man aber nur einmal ausgeben...

...das stimmt. Klimaschutz ist wichtig, frühkindliche Bildung aber auch. Das Gute ist, dass der Bund uns 70 Millionen Euro aus dem Gute-Kita-Gesetz gibt. Das gibt uns finanziell Luft.

Dann müssen Eltern bald geringere Gebühren bezahlen?

Wir haben klar gesagt, dass das nicht unser erster Schwerpunkt ist. Wir haben in der letzten Legislatur einen Beitragsdeckel eingeführt. Deswegen sage ich : Eine weitere Reduzierung der Gebühren wird eine mittel- und langfristige Aufgabe.

Sie haben im Koalitionsvertrag viele Prüfaufträge – was haben Sie konkret in den nächsten Monaten vor?

Die Prüfaufträge sind kein Ausdruck von Mutlosigkeit. Wir leben in einer der krassesten Zeiten überhaupt. Und was wir auf keinen Fall wollen, sind Kürzungen. In der letzten Regierungszeit haben wir wesentlich mehr machen können als wir in den Koalitionsvertrag reingeschrieben haben, weil es die finanziellen Möglichkeiten hergegeben haben. Wollen tun wir auch jetzt alles, aber was wir zu welchem Zeitpunkt machen, das müssen wir im Herbst sehen.

Die Leute machen sich ja schon jetzt Sorgen, dass sie ihr persönliches Leben nicht mehr finanzieren können. Sie wollen einen Fonds für soziale Härten einführen – für wen soll der denn sein?

Hier geht es darum, wirklich passgenau Lösungen zu finden, die direkt bei den Betroffenen ankommen. Mit Blick auf die gegenwärtige Situation mit Preissteigerungen und insbesondere Belastungen von sozial Bedürftigen erarbeiten wir Vorschläge. Auch hier werden wir im Herbst entscheiden, was machbar ist.

Aktuell gab es viele Schlagzeilen – was hoffen Sie, was die Menschen nach Ende dieser Wahlperiode über Sie als Ministerin sagen werden?

Ach, wissen Sie, man kann jeden Tag in der Zeitung stehen und trotzdem nichts bewegt haben. Ich habe für mich den Anspruch, hinter jedem Punkt im Koalitionsvertrag einen Haken machen zu können. Das hat mich in der vergangenen Wahlperiode schon als Abgeordnete am stolzesten gemacht. Darüber hinaus wird es in den kommenden fünf Jahren neue Herausforderungen und Ideen geben, die wir erfolgreich anpacken wollen.

Und in fünf Jahren möchten Sie nicht mehr die Frage beantworten, wie es sich als junge schwarze Frau anfühlt Ministerin zu sein?

Nein, denn das ist ja hoffentlich eine Selbstverständlichkeit. Mich freut es, wenn Leute mir schreiben, dass Sie jetzt auch in die Politik gehen, weil ich ihnen Mut gegeben habe.

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