Museumsberg 2023

Anne Dingkuhn und die große Schmetterlings-Ausstellung in Flensburg

Anne Dingkuhn und die große Schmetterlings-Ausstellung in Flensburg

Große Schmetterlings-Ausstellung in Flensburg

Ove Jensen/shz.de
Flensburg
Zuletzt aktualisiert um:
Natur oder Kunst? Anne Dingkuhn vor ihrer Arbeit aus bemaltem Reispapier. Die Formen erinnern an Kokons von Schmetterlingen Foto: Catrin Haufschild/shz.de

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Die Sommerausstellung 2023 führt die Enkelin der bekannten Flensburger Künstlerin Elsa Haensgen-Dingkuhn auf den Museumsberg.

Eine unterarmgroße Wulst pulsiert auf einem Wandvorsprung vor sich hin. Ist das ein echter Kokon, aus dem gleich ein riesiger Schmetterling schlüpft oder ist das Kunst? Immer wieder kommt man ins Straucheln in der großen Sommerausstellung auf dem Museumsberg mit dem Titel: „Faszination Schmetterling, Tier, Kunstwerk, Symbol“ (bis 17. September 2023).

Es liegt an den Interventionen der Hamburger Künstlerin Anne Dingkuhn, die mit den
Ordnungssystemen der Wissenschaft spielt, sie aufgreift, aber auch bricht. Da liegt schon mal ein Stück Stahlwolle in einer Sammlung von künstlerisch gestalteten Kokons. „Ist doch auch eine Hülle“, findet Anne Dingkuhn. „Wir sollten als Menschen offener und weniger wertend sein. Die Realität ist so komplex, sie lässt sich nicht nur in einem System erfassen. Da setzt meine Arbeit an.“

Interessant ist schon der Name – Dingkuhn. Er ist bekannt im Flensburger Museum: Elsa
Haensgen-Dingkuhn (1898-1991), kurz E.H.D. war Tochter eines Schiffbauingenieurs und späteren Werft-Direktors. Sie lernte an der Flensburger Werkkunstschule zeichnen und studierte an der Hamburger Kunstgewerbeschule, heute „Hochschule für bildende Künste“. Das Flensburger Museum bemühte sich um den Nachlass dieser Künstlerin. In Zeiten von knappen Lagerflächen und Finanzmitteln ein deutliches Zeichen von Anerkennung und Qualität.

„Ihren Bildern sieht man den Stil der Neuen Sachlichkeit schon Weitem an“, schwärmt
Museumsdirektor Michael Fuhr. Ihm gelang es, 2017 etwa drei Dutzend Ölbilder und zwei Dutzend Grafiken von E.H.D. nach Flensburg zu holen. Gar nicht so leicht, denn die Hamburger Museen waren auch interessiert.

E.H.D. zeichnete zwischen Halbweltgrößen auf St. Pauli

Die Entscheidung über den Nachlass lag damals auch bei Anne Dingkuhn, denn – ja – sie ist verwandt mit E.H.D. Sie ist die Enkelin, stand der Großmutter nahe. Sie wohnte während des Abiturs bei ihr. Heute lebt sie wieder in diesem Haus in Hamburg-Berne.

„Sie war unerschrocken, unkonventionell und offen“, beschreibt Anne Dingkuhn ihre Vorfahrin. E.H.D., so die Familienüberlieferung, ging allein oder mit Freunden nach St. Pauli, setzte sich ohne Scheu zu den Gästen in den Etablissements der Halbwelt und zeichnete. Im Alter von 67 Jahren reiste sie alleine nach Äthiopien. Manche ihrer figurenreichen Bilder erinnern an Wimmelbilderbücher für Kinder. Einzelne Haltungen und Gesichter verraten die Freude an der Karikatur. Sie interessierte sich für das Leben der kleinen Leute, manches erinnert an Zille, anderes an Dix oder Grosz, wenn auch nicht in der Intensität der großen Künstler.

Und Anne Dingkuhn? - Bei einer malenden Großmutter, einem Großvater und einem
Vater, die Kunstlehrer waren, lag ein künstlerischer Werdegang nahe. Sie studierte freie Kunst an der Berliner Hochschule (heute Universität) der Künste. Sie zog – wie E.H.D. - zwei Kinder groß. Nach ruhigeren Jahren, was die Kunst betrifft, startet sie gerade nochmal so richtig durch, macht rund sieben Ausstellungen im Jahr.

Eine war im September bei Kunst &Co. Die sah Michael Fuhr, der gerade dabei war, mit
der neuen Leiterin des Naturkundemuseums, Diplom-Biologin Kerstin Meise, eine Ausstellung über Schmetterlinge vorzubereiten. Die Idee mit den Schmetterlingen einschließlich Begleitprogramm für Schulen stammt von der Biologin, die sich damit um den Posten am Naturkundemuseum beworben hatte. Die Idee eines Cross-Overs von Kunst und Naturkunde hatte Michael Fuhr.

„Genau so etwas brauchen wir noch“, dachte er, als er eine Arbeit Dingkuhns bei Kunst & Co sah. Sie erinnerte ihn an eine Wunderkammer der Renaissance – ein Raum, vollgestopft mit wissenschaftlichen und künstlerischen Kuriositäten. Er schloss einen Werkvertrag mit der Künstlerin, die bereits Einiges hatte, was zum Thema passte: Zeichnungen von apokalyptischen Viechern à la Hieronymus Bosch oder Albrecht Dürer zum Beispiel.

Gemalt mit UV-Farben und 3-D-Stiften

Eine Fußverletzung zwang Dingkuhn während der Ausstellungsvorbereitung zum Stillsitzen. In dieser Zeit stellte sie kleinteilige Arbeiten zusammen. Im zweiten Raum der Ausstellungen befindet sich nun eine Wunderkammer, wie sie der Museumsberg noch nicht gesehen hat. In einen abgedunkelten Raum im Sauermann-Haus hängen Bilder mit „verschiedenen Realitäten“. Gemalt mit UV-Farben und 3-D-Stiften, sehen sie je nach Beleuchtung völlig anders aus. Die Oma, die ja so offen für Neues war, hätte sicher Spaß daran gehabt.

Ein Geheimnis gibt Anne Dingkuhn noch preis: Der eingangs erwähnte Kokon ist aus
Krepp und Eierkarton, umwickelt mit Latex. Die Bewegung kommt von einem Massagekissen, das im Innern steckt.

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Leitartikel

Gwyn Nissen
Gwyn Nissen Chefredakteur
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