Nachruf auf Ann-Sophie Bäth

„Auch eine Geschichte ohne Happy End kann eine schöne Geschichte sein“

„Auch eine Geschichte ohne Happy End kann eine schöne Geschichte sein“

„Auch eine Geschichte ohne Happy End kann schön sein“

SHZ
Bad Oldesloe
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Ann-Sophie Bäth in einem ihrer Rollstühle vor dem Ahrensburger Schloss. Foto: Lena Kriebel/shz.de

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Eine Geschichte über eine junge Stormarnerin, die ihr Schicksal nicht nur annahm, sondern ihm auch die Stirn bot. Keine Geschichte über das Sterben, sondern eine über Willen, Selbstbestimmtheit und die Lust zu leben..

Ann-Sophie lächelt. Sie sitzt in ihrem Rollstuhl auf einer Brücke über die Trave und überlegt sich Namen für die diversen Wasservögel, die gerade vorbeischwimmen. Es ist der Sommer 2021. Die Sonne scheint und sie führt ihren neuen Hut zum ersten Mal aus. Sie kann sich an kleinen Dingen sehr erfreuen. Tiere und sie, das ist sowieso eine besondere Verbindung. Sie liebt die Natur. Und sie liebt das Leben.

Sie isst ihr Eis, schaut mich an und sagt etwas überraschend in dieser Situation: „Meine Geschichte wird kein Happy End haben, das wissen wir." Ich nicke. Ann-Sophie ist seit vielen Jahren todkrank. Ihre Prognosen sind immer wieder schlecht und sie werden auch nicht mehr besser werden. „Eigentlich bin ich schon über mein Verfallsdatum“, sagt sie dann und nimmt dem Thema ein wenig Schwere.

Auch Geschichten ohne Happy end können schöne Geschichten sein

Sie lächelt weiter und fügt an: „Aber was die Leute verstehen müssen, ist, dass auch eine Geschichte ohne happy end, eine schöne Geschichte sein kann. Und meine Geschichte ist schön. Alles ist gut“, sagt sie.

Eines Tages in nicht allzu ferner Zukunft werde sie vor mir gehen, das stehe fest, betont sie. Ich solle dann doch bitte erzählen, dass man das Leben jeden Tag lieben und leben soll. Denn egal wie die Prognose sei, das Leben finde noch jeden Tag, noch jede Minute und Sekunde vor dem letzten Moment statt.

Kein Hadern mit dem Schicksal

Sie hadere daher nicht mit ihrem Schicksal – das sei Verschwendung wertvoller Zeit. Als ich sie frage, ob sie sich nicht wünschen würde, kerngesund zu sein, sagt sie: „Die Frage stellt sich nicht und außerdem wäre ich dann ja nicht ich. Ich bin so, weil es alles so ist, wie es ist.“

Kennengelernt habe ich sie bei einer „Offenen Bühne“ des Klngstdt-Vereins im Kultur- und Bildungszentrum vor einigen Jahren. Sie trug einen intelligenten, reflektierten Text vor, sie engagierte sich darin für Menschen mit körperlicher Einschränkung, sie wollte Bewusstsein schaffen.

Immer wieder Lebensgefahr nach gesundheitlichen Notsituationen

Damals ließ sie ihre Texte aus Versehen im KuB liegen. Sie wollte sie einen Tag später abholen und kollabierte dabei – das erste Mal war ich dabei, wenn Rettungswagen und sogar ein Hubschrauber anrückten. Der Notarzt dankte für meinen Einsatz. Ob ich die „junge Dame“ nochmal wiedersehen werde, könne er mir mit Blick auf ihren Zustand aber nicht versprechen. Tatsächlich sah ich sie schon einen Tag später wieder. Sie hatte sich selbst aus der Klinik entlassen.

Es gab in den nächsten Jahren unzählige dieser Situationen. Oft war es knapp, sehr knapp. Doch dieses besondere Zusammentreffen hat uns auch verbunden. Ann-Sophie war stolz, dass sie das Bild von schwer- oder sterbenskranken Menschen korrigieren konnte, nicht nur bei mir. Ein Fernsehteam brach eine Aufnahme mit ihr ab, weil sie nicht nur über Krankheit und Tod sprechen wollte. „Ich möchte über das Leben sprechen. Denn ich lebe gerne“, sagte sie. Auch Ärzte waren oftmals erstaunt über ihren Willen und ihre Klarheit.

Frust, Rückschläge mit Lebensfreude überwinden

So steckte sie auch Frust und Rückschläge im Umgang mit der Krankenkasse und Behörden weg. Oder wenn sie feststellen musste, dass Barrierefreiheit oft nur auf dem Papier existiert.

Sie hatte einen starken Willen und feste Überzeugungen. So war es für sie ein über allem stehendes Motto, dass es ums Leben geht und nicht nur ums Überleben. Wenn sie auch nur irgendwie genug Kraft fand, half sie, wo sie nur konnte. Sie versorgte ihr Pferd Bajo, um das sie sich oft mehr Gedanken machte, als um sich selbst. Sie half Freundinnen und sie begleitete andere Todkranke, die vor ihr gehen mussten, in ihren letzten Stunden.

Eine Stunde nach Notarzt-Einsatz im Eis-Café

Ann-Sophie versuchte jede Minute ihres eigenen Lebens auszukosten. Nach einer akut lebensgefährlichen Situation rieten ihr Sanitäter und Notarzt, bitte mit in die Klinik zu fahren. Sie saß auf ihrem Sofa, schaute mich an und sagte, sie wolle lieber mit mir ein Eis essen gehen. Das wünsche sie sich schon seit Tagen. Und so saßen wir nur knapp über eine Stunde, nachdem ein Arzt um ihr Leben kämpfte, in einem Eis-Café.

„Herr Niemeier, wenn das ihr Weg ist, damit umzugehen, dann sollten wir alle das respektieren und akzeptieren. Es ist ihr Weg“, sagte der Notarzt zu mir, als er abrückte.

 

Ein Satz, der sich mir einprägte und der Ann-Sophie auch für alle anderen Menschen wichtig war, egal ob krank oder gesund: „Respektiere, was die jeweilige Person für sich will. Es ist ihr Leben und ihre Entscheidung.“

Landesmeisterin im Luftgewehrschießen

Sie blieb trotz ständig neu auftauchender weiterer Einschränkungen im Verlauf ihrer Krankheiten sportlich ehrgeizig. Als es mit dem Reiten auf ihren geliebten Pferden nicht mehr so richtig klappte, widmete sich noch mehr dem Schießen, wurde Landesmeisterin und qualifizierte sich als Mitglied der Ahrensburger Schützengilde für die Deutschen Meisterschaften.

Doch wichtiger als Medaillen waren ihr sowieso immer Eigenständigkeit und echte Inklusion. Ihre eigene Wohnung in Bad Oldesloe war ihr eine Herzensangelegenheit. Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit standen über allem. Sie wollte nicht ständig Pflegekräfte um sich, keine Nachtwache und auch nicht in ein Hospiz.

Ein Händchen für angeblich unreitbare Pferde

Sie liebte kleine und größere Aufgaben. So half sie beim Klngstdt e.V. mit und das Stormarner Tageblatt belieferte sie gerne mit Fotografien. Denn auch das Fotografieren gehörte, genau wie das Malen und Zeichnen, zu ihren kreativen Leidenschaften und Talenten.

Außerdem blieb sie eine gefragte Ansprechpartnerin, wenn es um den Umgang mit Pferden ging. Angeblich unreitbare und untrainierbare Pferde folgten ihr. Sie hatte ein Händchen oder Gefühl dafür – eine Stormarner „Pferdeflüsterin“, wurde sie häufig genannt.

Sie deckte auch Missstände auf, wenn es um die falsche Unterbringung oder Behandlung von Tieren ging. Immer war es ihr wichtig, dass es den Menschen und Tieren, auf die sie traf, möglichst gut ging. Wenn sie sich einbringen konnte, blühte sie auf. Ihren eigenen Körper trieb sie dabei immer wieder zu Höchstleistungen an. „Die Krankheit spielt unfair, aber so lasse ich sie nicht gewinnen“, pflegte sie zu sagen.

Wunsch sich politisch einzubringen konnte sich nicht mehr erfüllen

Sie besuchte in den letzten beiden Jahren mit wachsendem Interesse politische Sitzungen und Ausschüsse, überlegte, sich für die Wahl zum Beirat für Menschen mit Behinderungen in Bad Oldesloe aufstellen zu lassen. Was sie nie verstanden hat, war, weshalb sich in den Gremien teilweise hart und bitter gestritten wurde, weshalb persönlichen Angriffe zu hören waren. „Da sollte man mal mehr buntes Papier reinstreuen und die sollten mal darüber nachdenken, wie sie ihre Lebenszeit verbringen“, sagte sie nach einem politischen Ausschuss, den sie als Zuschauerin Ende 2021 besuchte.

Sie schien dann aber doch zu ahnen, dass ihr nur noch wenig Zeit bleiben würde. Denn von ihrem Vorhaben für den Beirat zu kandidieren nahm sie recht plötzlich wieder Abstand. „Wenn ich tatsächlich bald gehen muss, dann sei nicht traurig. Denn wenn du traurig bist und das nicht erträgst, dann müssten wir den Kontakt sofort sein lassen“, sagte sie vor einigen Wochen.

Selbstbestimmt und selbstbewusst bis zum Ende

Mehrfach sprachen wir gegen Ende des Jahres darüber, ob sie sich mit Blick auf ihren sich verschlechternden Gesamtzustand nicht in eine Klinik begeben wolle. Bräuchte sie mehr Hilfe? Mehr Unterstützung? Wäre ein Hospizplatz vielleicht doch ein Thema? Sie lehnte all das rigoros ab, wenn ich diese Themen ansprach. Ich solle mich daran erinnern, was sie über Respekt für die Entscheidungen anderer Menschen sage und was der Notarzt mir damals gesagt habe: Ihr Weg.

Am 1. Januar konnte ich Ann-Sophie nicht mehr erreichen. Sie öffnete nicht, als ich klingelte. Ich schickte Feuerwehr und Rettungsdienst zu ihrer Adresse. Sie wurde ins Krankenhaus gebracht. Am 4. Januar ist sie dort im Alter von nur 23 Jahren gestorben oder wie sie sagen würde „vorausgegangen, um zu schauen, wie es da so ist“. Denn eines sei ja sicher: „Es ist nicht Nichts“.

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