Ex-Fußballer mit sozialem Engagement

Benjamin Adrion kämpft für eine gerechtere Welt

Benjamin Adrion kämpft für eine gerechtere Welt

Benjamin Adrion kämpft für eine gerechtere Welt

Rüdiger Otto von Brocken
Husum
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Derzeit ist Benjamin Adrion für Viva con Agua in Südafrika. Demnächst kommt er nach Husum. Foto: Alexander Probst/shz.de

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EX-St. Pauli-Star Benjamin Adrion hilft mit seinem Unternehmen Viva con Agua, das Menschen an Trinkwasser kommen. Das Wasser dazu bezieht er aus Husum.

Seine Laufwege hätten sicher auch die Fußball-Nationalmannschaft inspiriert. Vielleicht wäre er sogar ein Fall für Martin Noel geworden, der seine internationale Karriere als Maler mit den Laufwegen von Fußballspielern begründete.

Doch obgleich Benjamin Adrion, was Fußball angeht, „familiär vorbelastet“ ist (sein Vater Rainer war ebenfalls Spieler und später Trainer), war und ist das populärste Ballspiel der Welt nur ein Teil seines Lebens. Dass ausgerechnet er den Weg in ein neues Leben frei machen sollte, erscheint im Nachhinein wie ein Wink des Schicksals. Heute ist Adrion als früherer Profi beim VfB Stuttgart und beim FC St. Pauli nicht weniger bekannt bekannt denn als Begründer der Wasserinitiative Viva con Agua.

Vom Profi-Fußballer zum Sozialunternehmer

Da er derzeit – nicht zuletzt wegen seiner zahlreichen Sozialprojekte – mehr Zeit in Südafrika als in Deutschland verbringt, ist Adrion an diesem Morgen nur per Facetime-Schalte zu erreichen. Es ist warm im südlichsten Land des afrikanischen Kontinents. Aber auch wenn das nicht so wäre, träte Adrion wohl kaum in Anzug und Krawatte vor die Kamera. T-Shirt und kurze Hose tun es schließlich auch. Die gelockten Haare trägt der 41-Jährige offen, lächelt aufgeräumt in die Kamera.

Bevor Benjamin Adrion Sozialunternehmer wurde, machte er als Fußball-Talent auf sich aufmerksam. 1981 in Stuttgart geboren, avancierte er bereits 1996 zum Junioren-Nationalspieler, erzielte in der U15- und U16-Auswahl des DFB zehn Tore für Deutschland. Vom VfB Neckarems wechselte der Mittelfeld-Mann zunächst zur SpVgg Unterhaching, später zum VfB Stuttgart.

Nach einem Zwischenstopp bei Eintracht Braunschweig kam Adrion schließlich nach Hamburg, kickte dort für den FC St. Pauli, dem er bis heute stark verbunden ist und der – wenn auch, ohne es zu wollen – maßgeblich zur vielleicht wichtigsten Entscheidung seines Leben beitragen sollte.

„Ich denke, ich habe auch deshalb so früh mit dem Fußball aufgehört, weil ich ihn in die Wiege gelegt bekommen habe“, resümiert Adrion. Der Profi-Fußball und der „private Benny“ – das wollte einfach nicht so recht zueinander passen, fährt er fort. Da war einerseits die sportliche Konkurrenz, die er als Erfahrungsschatz nicht missen möchte, aber da waren auch Musik und gute Gespräche – oft über gesellschaftliche und politische Themen – und damit verbunden die Frage: Was macht der Fußball mit mir? „Im Grunde war mir damals schon klar, dass ich das nicht bis 35 machen werde“, beteuert Adrion.

Der Entschluss zum Wechsel fiel auf Kuba

St. Pauli – das war sein Club. „Danach wollte ich sowieso nirgendwo mehr hin. Und was soll da denn auch noch kommen“, fragt er, während ein verschmitztes Lächeln über sein Antlitz huscht. Tatsächlich hat Adrion seine Karriere mit 25 Jahren genau zu dem Zeitpunkt beendet, als „wir von der dritten in die erste Liga durchmarschierten“.

Und tatsächlich war es ein Pauli-Trainingslager in Kuba, das „dem Ball eine neue Richtung gab“. „Damals war ich zwischen Fußball und dem Wunsch nach einer Weltreise hin und hergerissen“, bekennt Adrion. Er wollte sich sozial betätigen und hatte dabei zunächst Fußball-Projekte im Auge. Die entscheidende Wende kam 2005.

Die Idee zu Viva con Agua war geboren

Als er sah, wie es in Kuba um die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser bestellt war, initiierte er gemeinsam mit der Welthungerhilfe sein erstes Wasserprojekt, stellte in 153 Kindergärten des Landes Trinkwasserspender auf. Die Geburtsstunde von Viva con Agua – auch wenn das Modell an sich nicht neu war.

Wassermarken gab es schon in den USA und England, nicht jedoch in Deutschland, erläutert Adrion, und schon gar kein internationales offenes Netzwerk, das sich für einen menschenwürdigen Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitärer Grundversorgung einsetzt. Auf der offiziellen Seite des Vereins „Viva con Agua de Sankt Pauli“, der 2006 gegründet wurde, heißt es: „Durch die Arbeit der Initiative haben sich die Lebensbedingungen von zirka 3,5 Millionen Menschen weltweit nachhaltig geändert.“ Das Spendenaufkommen liegt heute bei jährlich etwa vier Millionen Euro. Von diesem Geld profitieren – bei gezielter Einbindung örtlicher Organisationen – Projekte in Uganda, Südafrika, Äthiopien, Indien und Nepal.

Das Wasser für Viva con Aqua kommt aus Husum

Nur vier Jahre später kam dann der Husumer Mineralbrunnen ins Spiel. Dessen damaliger Geschäftsführer, Reinhold Seidel, „ließ sich tatsächlich auf diesen ganzen Wahnsinn“ (Adrion) ein und kooperierte mit dem jungen Verein. Der nächste Quantensprung für Viva con Agua, bei dem, wie so oft, eine eher zufällige Begegnung große Wirkung entfaltete: Als der musikbegeisterte Adrion Seidel beim Fusion-Festival „mit einem Stirnband über das Gelände wandern sah“, wusste er: „Jetzt haben wir ihn.“ Und das war umso wichtiger, als vorausgegangene Versuche, einen Partner in Hamburg zu finden, gescheitert waren.

Neben dem Verein entstand eine GmbH, denn nun ging es nicht mehr nur um das Sammeln von Spenden, sondern um den Verkauf von Wasser, mit dessen Erlös weitere Vorhaben in aller Welt unterstützt werden sollten. Der Verein und die inzwischen gegründete Viva-con-Agua-Stiftung sind bis heute mehrheitlich an der GmbH beteiligt. Die nationalen Vereine agieren selbstständig, die Stiftung hält die Fäden zusammen.

Nicht nur Trinkwasser ist ein Problem

Der freie Zugang zu Trinkwasser ist ein globales Thema, auch wenn das vielen Menschen noch gar nicht so bewusst zu sein scheint. Wasser erweckt überall auf der Welt Begehrlichkeiten – vor allem die internationaler Konzerne. Dabei geht nicht nur um regionale und nationale Trinkwasservorräte, sondern auch um den Handel damit und das sogenannte virtuelle Wasser.

Darunter wird die gesamte Wassermenge verstanden, die bei der Herstellung eines Produktes in allen dafür erforderlichen Schritten anfällt, aber nur zu einem geringen Teil im Produkt selbst gespeichert wird. Nach dieser Definition werden zum Beispiel zur Herstellung von einem Kilogramm Rindfleisch rund 15.000 Liter Wasser benötigt. Auch darüber will Adrion reden, wenn er am Dienstag, 5. Juli, 19 Uhr, auf Einladung des Filmclubs in das Husumer Kino-Center kommt.

Adrions neues Projekt in Hamburg: Villa Viva

Was mit Viva con Agua begann, hat längst Kreise gezogen und zur Gründung weiterer Sozialunternehmen geführt. Das bislang ambitionierteste Projekt entsteht derzeit in Hamburg. In der zentral gelegenen Villa Viva können Besucher in die Welt von Viva con Agua eintauchen. Außerdem wird das 12,5-stöckige Gebäude unter anderem ein Gasthaus mit 300 Betten beherbergen. „So etwas geht nur mit Investoren, die ihr Geld lieber sozial- als profitorientiert anlegen wollen, denn Viva con Agua investiert natürlich keinen einzigen Cent aus Spenden in das Projekt“, versichert Adrion.

Wie anders sich demgegenüber doch der Profi-Fußball geriert.

Fußball sei durchaus geeignet, grundlegende Werte zu vermitteln, ist sich der einstige Profi sicher, doch dazu müssten sich schon einige Laufwege ändern. Benjamin Adrion gibt da möglicherweise bereits die Richtung vor. Der Fußball hat diesen Prozess noch vor sich.

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