Schwere Vorwürfe in Kiel

Bernd Buchholz geht mit Spitze des Justizministeriums ins Kreuzverhör

Buchholz geht mit Spitze des Justizministeriums ins Kreuzverhör

Spitze des Justizministeriums in Kreuzverhör

Eckard Gehm/shz.de
Kiel
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Justizministerin Kerstin von der Decken lacht fröhlich, ihren Staatssekretär ist die Anspannung deutlich anzusehen. Foto: ECKARD GEHM/shz.de

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Plagiatsvorwürfe gegen ihren Staatssekretär und aus der Untersuchungshaft entlassene Angeklagte.
Bei ihrem ersten großen Auftritt war die neue Justizministerin mit brisanten Themen konfrontiert.

Es war ein Antrittsbesuch, der zum Kreuzverhör wurde: Im Innen- und Rechtsausschuss des Landtags hat Schleswig-Holsteins neue Justizministerin Kerstin von der Decken (CDU) sich und ihren neuen Staatssekretär vorgestellt.

Warum musste Schleswig-Holstein elf Angeklagte aus der U-Haft entlassen?

Otto Carstens sieht sich, kaum ernannt, mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert. Und auch die Ministerin musste zu brisanten Vorwürfen Stellung nehmen. Es geht dabei um die Frage, warum das Land vergangenes Jahr elf angeklagte Drogendealer und Gewalttäter aus der Untersuchungshaft entlassen musste.

Justiz-Staatssekretär Otto Carsten soll bei seiner Doktorarbeit abgekupfert haben

Justiz-Staatssekretär Otto Carstens war die Anspannung anzusehen. Er soll bei seiner Doktorarbeit abgekupfert und auch seinen Lebenslauf frisiert haben.

„Die Fragen können wir Ihnen nicht ersparen“, sagte Bernd Buchholz (FDP). Cartens erklärte zu den Vorwürfen: „Es ist ein laufendes Verfahren. Ich habe meinen Doktorvater und den Dekan der Uni Innsbruck angerufen, sie informiert. Die Dissertation wird jetzt überprüft.“

Die Arbeit beim Europäischen Parlament war nur ein Praktikum

Buchholz zückte den Lebenslauf von Carstens aus einem Stapel Papiere, fragte: „2007 und 2008 fester Mitarbeiter des Europäischen Parlaments?“ Carstens räumte ein: „Ich war als Praktikant für sechs Wochen dort.“ Buchholz legte nach, konfrontierte Carstens mit Äußerungen auf seiner Homepage (mittlerweile offline). Dort hatte der CDU-Politiker gefordert, es brauche eine Justiz, die den Strafrahmen ausreize. Und: Es müsse dafür gesorgt werden, dass der Strafvollzug keinen „Urlaub“ mehr darstelle.

Buchholz: „Es ist nicht Aufgabe der Politik, Richter zu belehren. Und ob er glaube, in den Gefängnissen herrsche eine Liegestuhlatmosphäre?“

Justizministerin: „Ich glaube nicht, dass ich etwas dazu sagen muss“

Carstens antwortete: „Im Wahlkampf greift man zu Formulierungen, die überspitzt sind, damit die Alternativen nicht gewählt werden.“

Und wie verhält sich die Justizministerin dazu? Sie stärkte ihrem Staatssekretär nicht gerade den Rücken, erklärte: „Als politischer Neuling will ich mir keine Einschätzung erlauben. Ich glaube nicht, dass ich etwas dazu sagen muss.“

In Schleswig-Holstein gibt es auf dem Papier genügend Richter

Auch von der Decken musste sich unangenehme Fragen gefallen lassen. Elf Drogendealer und Gewalttäter hat Schleswig-Holstein vergangenes Jahr aus der Untersuchungshaft entlassen müssen, weil ihre Verfahren zu lange dauerten. Einer der freigelassenen Angeklagten türmte, zwei sollen sich gegenseitig attackiert haben.

Erstaunliche Erkenntnis: Zumindest auf dem Papier gibt es laut von der Decken ausreichend Richter. In den Strafkammern betrage der Personaldeckungsgrad 111 Prozent, in den Schwurgerichtskammern sogar 177 Prozent. Mangel herrsche bei den Staatsanwaltschaften mit einem Deckungsgrad von gerade einmal 80 Prozent.

Die Staatsanwaltschaften konnten ihre Fristen einhalten

Den Staatsanwaltschaften aber war es gelungen, ihre Fristen einzuhalten. Wohingegen das Oberlandesgericht, dass die Haftbefehle aufheben musste, bei den Strafkammern von „einer nicht bloß vorübergehenden Überlastung“ sprach.

Von der Decken will Neujustierung der Personalbedarfberechung

Erklärung der Ministerin: Die Bemessungsgrundlagen für den Personalbedarf im Strafbereich wurden 2014 zuletzt erhoben, sind nicht mehr zeitgemäß. Die Verfahren würden immer komplexer, immer mehr Daten müssten ausgewertet werden. Ihr Vorschlag: Eine bundesweite Neuerhebung, um eine angemessene Personalausstattung sicherzustellen.

Buchholz sagte: „Sie haben ausführlich berichtet, aber nicht überzeugend.“ Bei der nächsten Sitzung sollen nun Gerichtspräsidenten erklären, woran die Verzögerungen liegen.

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