Lebenslauf

Bestatter war seekrank: So kam Rita Dethlefs zu ihrem Job

Bestatter war seekrank: So kam Rita Dethlefs zu ihrem Job

Bestatter war seekrank: So kam Rita Dethlefs zu ihrem Job

Gerrit Eggers/Shz
Nordstrand
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Nicht nur Beruf, sondern Berufung: Seit 23 Jahren hält Rita Dethlefs Trauerreden bei Seebestattungen Foto: Gerrit Eggers/SHZ

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Rita Dethlefs hat viele Angehörige auf den Seebestattungen der Adler-Schiffe in Nordfriesland begleitet. Nun geht sie in den Ruhestand.

Ein Samstagvormittag am Fähranleger Strucklahnungshörn auf Nordstrand: Kapitän Sven von Holdt begrüßt 80 Gäste auf einem Schiff der Adler-Reederei, auf dessen unterem Deck sich große Rosen-Sträuße befinden. Einer der Fahrgäste ist der 79-jährige Christian Glaewe aus Rodenäs, der beim Betreten des Schiffes begeistert „Moin Rita, min Deern!“ ausruft, und anschließend Rita Dethlefs zur Begrüßung in den Arm nimmt.

Fahrten der Erinnerung

Für Glaewe, der regelmäßig an den Ausfahrten mit Rita Dethlefs teilnimmt und an diesem Tag von seiner ganzen Familie mitsamt Sohn, Enkelin und Urenkelin begleitet wird, sind diese Fahrten der Erinnerung immer wieder ein besonderer Moment. Als seine Frau Aase im Jahr 2015 starb, wählte er als Beisetzungsform die Seebestattung, bei der Rita Dethlefs die Trauerrede hielt. Und auch für alle anderen der 80 Fahrgäste ist diese Fahrt mit starken Emotionen belegt: Sie denken an einen geliebten Menschen zurück, der seine ewige Ruhe in den Weiten des Meeres fand. Auf dieser Ausfahrt kehren sie an die Stelle im Meer zurück, an der damals begleitet von den tröstenden Worten Rita Dethlefs´ die Seeurne ins Meer gelassen worden ist.

Nun wird Rita Dethlefs offiziell in den Ruhestand verabschiedet. Das heißt jedoch nicht, dass sie ihre Berufung, die Trauerarbeit, ganz beenden wird. Sie wird trotz des Ruhestands auch in Zukunft noch Menschen auf ihrem letzten Weg begleiten.

Sie war Sven Paulsens Kindermädchen

Ein Blick zurück: Es waren schicksalshafte Zufälle, die dazu führten, dass Dethlefs seit dem Jahr 2000 als Trauerrednerin für die Adler Schifffahrtsgesellschaft arbeitete und im Laufe dieser 23 Jahre so viel Trost spenden konnte. Im Alter von 19 Jahren verlor sie am Tage der Geburt der ersten Tochter ihre 43-jährige Mutter, wodurch sie schon früh mit dem Thema Tod konfrontiert worden ist. „Ich bin sehr gläubig und lese viel“, sagt sie. Im Rahmen ihres Engagements für die evangelische Kirchengemeinde Nordstrand-Odenbüll teilte die gelernte Einzelhandelskauffrau ihr Wissen und ihre Gedanken immer wieder in Form von Ansprachen mit den Gemeindemitgliedern. Sie war immer eng verbunden mit der Familie Paulsen, die die Reederei „Adler Schiffe“ betreibt, und war das Kindermädchen von Sven Paulsen, dem heutigen Geschäftsführer.

Bestatter seekrank - Rita Dethlefs springt ein

Nachdem sie damals gefragt worden ist, ob sie auf den Schiffen als Saisonkraft einspringen könne, arbeitete sie in der Küche und als Bedienung. Und dann im Jahr 2000 geschah es. „An dem Tag war ein ganz doller Sturm“, erzählt Rita Dethlefs. „Der Bestatter war seekrank und keiner sagte etwas“. Da ergriff sie die Mappe mit den Namen der Angehörigen, in der zudem ein Gedicht von Theodor Storm abgedruckt war, das der Bestatter für seine Trauerrede vorbereitet hatte. Die hielt nun Rita Dethlefs spontan. „Das Gedicht werde ich nie vergessen: Am Haff nun fliegt die Möwe und Dämmerung bricht herein“, erinnert sie sich.

Trauerreden auf Platt kommen gut an

Ihre Ansprache kam so gut an, dass sie seitdem regelmäßig die Seebestattungen auf den Adler-Schiffen begleitet. „Man wächst mit seinen Aufgaben“, sagt Rita Dethlefs, die sich immer tiefer mit Trauerarbeit befasste und hierzu auch Fortbildungen und Seminare besuchte. Viele der Ansprachen und Gebete, die sie vorträgt, sind auf Plattdeutsch. Das sei vielen Angehörigen wichtig und komme sogar bei den Menschen aus ganz anderen Regionen gut an. Eine Berlinerin habe einmal gesagt: „Ich habe zwar nichts verstanden, aber das war so schön.“

Am Anfang der 2000er Jahre waren es noch wenige Seebestattungen, weil damals die rechtlichen Voraussetzungen dafür strenger waren, aber mit der Zeit wurden es immer mehr, sodass Rita Dethlefs im vergangenen Jahr 125 Trauerfeiern durchführen konnte. Im Jahr 2005 ging von Rita Dethlefs die Initiative aus, einen Gedenkstein nahe der Schiffanlegestelle zu errichten, auf dem die Namen der seebestatteten Menschen angebracht sind. „Ursprünglich sollte es nur ein Gedenkstein sein, aber es sind mittlerweile drei daraus geworden“, sagt sie.

Regelmäßig finden Ausfahrten statt, an denen die Angehörigen mit dem Schiff dorthin zurückfahren, wo ihr Angehöriger beigesetzt worden ist – so auch bei der Abschiedsfahrt an diesem Tag. „Am Anfang und am Ende der Fahrt sind alle ausgelassen, aber dann, wenn die Rosen ins Meer geworfen werden, herrscht eine andere Stimmung“, sagt Pastor Georg Reynders von der Altkatholischen Pfarrgemeinde St. Theresia auf Nordstrand, der im Wechsel mit dem evangelischen Pastor Thorsten Wiese die Fahrten begleitet. Diese ist nun auch die letzte Fahrt von Rita Dethlefs. Ein Zitat wurde an diesem Tag häufiger genannt: „Niemals geht man so ganz“. Und dieser Sinnspruch hatte an diesem Tag gleich mehrere Bedeutungen: Ein verstorbener Mensch geht niemals ganz, weil er in seinen Erinnerungen weiterlebt. Und Rita Dethlefs wird wohl niemals so ganz in den Ruhestand gehen und auch noch viele Jahre lang den Menschen Trost und Beistand geben: „Das ist nicht nur ein Beruf. Es ist eine Berufung“, sagt sie.

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