Messerattacke

Brokstedt trauert ­− es bleibt die Frage nach dem Warum

Brokstedt trauert ­− es bleibt die Frage nach dem Warum

Brokstedt trauert ­− es bleibt die Frage nach dem Warum

"Inga Gercke, Kristina Mehlert und Joachim Möller/shz.de
Brokstedt
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Nach der Messerattacke: Menschen legten am Donnerstag zahlreiche Kerzen und Blumen am Bahnhof in Brokstedt ab. Foto: Marcus Brandt/dpa/shz.de

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Der Tag nach der Messerattacke ist in SH geprägt von Trauer, Entsetzen und Fassungslosigkeit. Shz.de war am Donnerstag mit mehreren Reportern in Brokstedt vor Ort.

Am Donnertagmorgen nach der Messerattacke deuten am Bahnhof in Brokstedt nur noch wenige Einzelheiten auf das schreckliche Geschehen hin. Kein Absperrband, keine Polizei. Nur eine Trauerkerze steht in einem Wartehäuschen am Bahnsteig.

Pendler mit gemischten Gefühlen in Brokstedt

Die Pendler steigen mit gemischten Gefühlen in die Züge. Eine Frau, die ihren Namen nicht nennen will, hatte wohl Glück im Unglück. Wenn sie nicht schon früher Feierabend gemacht hätte, dann hätte sie in dem betroffenen Zug gesessen. „Das hätte mein Zug sein können“, sagt sie. Glück im Unglück hatte auch Björn Wiegand aus Brokstedt. „Das ist schon krass – eigentlich fahre ich immer mit dieser Bahn. An dem Tag habe ich aber zufällig das Auto genommen, weil ich nach der Arbeit noch einen Termin hatte“, schildert der 45-Jährige. Das alles fühle sich nicht gut an, sagt er weiter und erzählt, dass er am Mittwoch überraschend viele Anrufe von Leuten hatte. Sie alle wollten wissen, ob es ihm gut gehe.

Messattacke ist in Brokstedt Dorfgespräch

Trauer, Fassungslosigkeit, aber auch Wut sind unter den teilweise unter Schock stehenden Einwohnern deutlich spürbar. Nach dem Messerangriff ist die Gemeinde deutschlandweit bekannt. Auch in der 2000-Seelen-Gemeinde selbst ist die Attacke Dorfgespräch. „Sonst war so etwas immer so weit weg – und jetzt ist plötzlich alles so nah.“ So wie der 70 Jahre alte Rainer Biss aus Brokstedt sehen es viele andere auch. Bei Silke Gruth (57), die nur einige Meter neben dem Bahnhof wohnt, ist die Stimmung ziemlich bedrückt. „Alle sind noch schockiert über das Ereignis. Keine Worte“, sagt sie dazu. Sie glaubt aber auch, dass der Vorfall die Gemeinde nun enger zusammenhält.

Den großen Zusammenhalt und die Hilfsbereitschaft hebt bei aller Tragik auch Brokstedts Bürgermeister Clemens Preine (Foto) hervor. Er nennt beispielhaft die Kameraden der Feuerwehr, die beim Einsatz die Polizei unterstützt hätten, die Verkäuferinnen der Bäckerei Henningsen, die Einsatzkräfte kostenlos mit Kaffee und Brötchen bewirtet hätten, und vor allem die „Bürgerstuben“. Trotz Betriebsferien hätte die 80-jährige Mutter des Pächters extra geöffnet. Dort hätten die Fahrgäste, die von der Polizei befragt worden seien, eine warme Unterkunft gefunden und es hätte Kaffee gegeben.

Maike Dreyer war in den „Bürgerstuben“ in Brokstedt

In den „Bürgerstuben“ saß zum Zeitpunkt der Messerattacke Maike Dreyer. „Überall plötzlich Blaulicht – ich dachte zuerst, dass es wohl einen Unfall gegeben haben muss“, schildert die 57-jährige Brokstedterin ihre ersten Eindrücke. „Ich hätte niemals für möglich gehalten, dass so etwas mal in einem so kleinen Ort passieren könnte.“

Nur den Kopf schütteln kann Klaus Naumann (77) aus der Nachbargemeinde Armstedt. „Dass sowas hier mal passiert, ist doch nicht mehr normal.“ Eggert Schümann (82) aus Armstedt zieht vor denjenigen, die den Täter noch vor Ort überwältigen und festhalten konnten, den Hut.

Tränen in den Augen

Gabriele Penz-Bierschenke stehen die Tränen in den Augen, wenn sie von ihrem Erlebnis berichtet. Sie arbeitet im ortsansässigen Blumenladen. Am Mittwoch standen plötzlich zwei junge Frauen in der Tür. „Eine von ihnen war im Gesicht, am Hals und an den Händen blutverschmiert“, schildert die Floristin. Die junge Frau sei von dem Täter in der Bahn angegriffen worden und habe nach dem Stopp die Flucht in den Blumenladen im Edeka-Markt ergriffen. Dort sei sie bis zum Eintreffen der Einsatzkräfte notdürftig von ihr medizinisch versorgt worden, sagt Penz-Bierschenke.

Es wird wohl noch dauern, bis die Gemeinde und deren Einwohner wieder zur Ruhe kommen, schätzt eine Einwohnerin, deren Gedanken seit Mittwoch bei den Opfern und Angehörigen seien. Ob die Zeit jedoch wirklich alle Wunden heilen könne? „Das bleibt abzuwarten.“

Am Freitag: Andacht zum Gedenken an die Opfer

Große Betroffenheit herrscht auch in der Kirchengemeinde sowie bei Propst Stefan Block vom Kirchenkreis Altholstein, zu dessen Gebiet die Kirchengemeinde Brokstedt gehört. Kurzfristig hat die Kirchengemeinde für den Freitag ab 17 Uhr eine Andacht zum Gedenken an die Opfer organisiert. In der Kirche könnten die Besucher ihrer Seele Luft verschaffen und eine Kerze anzünden. Blocks Gedanken seien voller Mitgefühl bei den Opfern, den Menschen im Zug, den Einsatzkräften. Es blieben aber ratlose Fragen: „Warum kann so etwas passieren – immer wieder? Was ist das für eine Welt? Keiner kann das wirklich beantworten.“

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