Gesundheit

Chefarzt der Kinderklinik schlägt Alarm: Viele Scharlach-Patienten und wenig Medikamente

Viele Scharlach-Patienten und wenig Medikamente

Viele Scharlach-Patienten und wenig Medikamente

Lisa Bohlander/shz.de
Flensburg
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In Flensburger Apotheken sind viele Antibiotika-Säfte für Kinder derzeit nur schwer zu bekommen. Foto: Lisa Bohlander/shz.de

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In Flensburg leiden derzeit auffällig viele Kinder unter Rachen- und Mundentzündungen – darunter sind viele Scharlach-Fälle. Dr. Michael Dördelmann erklärt, wieso dies so ist und warnt vor Medikamentenknappheit.

Es sind Zahlen, die aufhorchen lassen: Anfang April gab es in Schleswig-Holstein 216 gezählte Scharlach-Ausbrüche. Betroffen sind meist Kinder. Kommt nun ein Nachholeffekt nach den Corona-Jahren? Wir haben uns in Flensburg umgehört, wie die Infektionslage momentan in der Stadt ist.

„Wir haben momentan deutlich mehr Mandel- und Rachenentzündungen durch Streptokokken der Gruppe A als sonst. Das sind auch die Erreger, die Scharlach verursachen können”, sagt Dr. Michael Dördelmann, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der Diako in Flensburg. „Das geht seit vier bis sechs Wochen so, das ist schon beeindruckend.”

Ambulante Therapie in Flensburg statt Krankenhausaufenthalt

Bemerkbar mache sich dies in der Ambulanz: „Diese Erkrankung kann – wenn sie überhaupt eine Antibiotika-Therapie benötigt – zumeist ambulant behandelt werden. Die allerwenigsten Kinder müssen dafür stationär in die Kinderklinik.” Patienten kommen also zur Untersuchung, bekommen Medikamente verschrieben und können wieder nach Hause.

Einen Nachholeffekt nach Ende der Corona-Beschränkungen sieht Dördelmann allerdings nicht. „Bei Scharlach handelt es sich um eine Infektion mit einer besonderen Gruppe der A-Streptokokken, die dann eine Hals- und Mandelentzündung mit Haut- und Schleimhautausschlägen hervorrufen.” Ganz selten gebe es andere schwerere Erkrankungen durch diese Erreger. „Gegen Streptokokken entwickeln Menschen nur eine Teilimmunität, deswegen kann man da nicht wirklich von einem Nachholeffekt von der Corona-Pandemie sprechen.”

Denn Infektionen mit Bakterien, die lebenslange Immunität bringen, gibt es nur vergleichsweise wenige. Die meisten Menschen stecken sich also immer wieder mit ähnlichen bakteriellen Erregern an. „Dies schützt nur bedingt vor einer Wiederinfektion.“ Anders ist es bei Viren: Gegen sie sind Menschen nach einer Infektion häufig deutlich länger immun.

Bevölkerung holt Kontakte mit Viren nach – deswegen haben Kinder mehr bakterielle Infektionen

Da während der Corona-Pandemie durch die Hygienemaßnahmen Kontakte zu Viren in der gesamten Bevölkerung insgesamt deutlich reduziert waren, entstand eine „Immunitätslücke“. Diese wird seit einigen Monaten „wieder mit Erregerkontakten gefüllt“ und die Bevölkerung „holt alles nun in geballter Form nach”.

Dabei könne es etwa durch dann häufiger angegriffene Schleimhäute im Mund-Rachenraum leichter zu Co-Infektionen kommen – etwa mit Streptokokken. „Deswegen haben Kinder insgesamt auch deutlich mehr bakterielle Infekte im Rachen- und Mundraum als sonst.“ Das Immunsystem selbst sei aber nicht „schwächer“, sondern nur „unerfahrener“.

Kinderarztpraxen in Flensburg sind teils überlastet – mehr Anlauf in der Diako

Auffälligkeiten beim Alter gebe es bei Kindern kaum: „Die Kinder sind zwischen zwei Jahren und dem frühen Grundschulalter, aber auch bis zehn oder elf Jahre alt.” Ein weiterer Unruhe-Faktor bei den vielen Krankheitsfällen sei die angespannte Lage bei den niedergelassenen Kinderärzten. „Die Kinderarztpraxen sind zeitweise massiv überlastet”, sagt Dördelmann. Dies führt dann auch dazu, dass Eltern mit ihren Kindern vermehrt die Kinderklinik aufsuchen.

Anders ist es auf der Station der Kinderklinik: Dort gibt es dem Leitenden Oberarzt Dr. Gunnar Rau zufolge „deutlich mehr Infektionserkrankungen bei auch zum Teil etwas älteren Kindern im Vergleich zu den Vorjahren”. So beschreibt es auch die ADS-Kita in der Schulgasse.

Es gebe immer wieder kranke Kinder, „aber spezielle Krankheiten stechen da im Moment nicht hervor”. Dies könne sich allerdings schnell – also von Woche zu Woche – ändern.

Erhöhte Nachfrage und Lieferengpässe bei Antibiotika in Flensburger Apotheken

Dazu kommt, dass Medikamente gegen Scharlach und andere Infektionskrankheiten wie Mittelohrentzündungen knapp sind. Die Nikolai-Apotheke etwa hat eine erhöhte Nachfrage nach Antibiotikasäften. „Bei Bestellungen bekommen wir öfter mit, dass an Antibiotika nichts mehr da ist”, sagt Apotheker Lars Baeck. „Das ist schon mehr als die vergangenen Jahre.” Auch Fiebermittel wie Säfte und Zäpfchen im freien Verkauf seien viel nachgefragt – wenn auch nicht so stark wie Anfang des Jahres. 

Rezepte mit Ersatzwirkstoffen für Patienten der Kinderklinik

„Wir stellen schon für Patienten zwei Rezepte aus, falls das erste Mittel nicht vorrätig ist”, bestätigt Dördelmann. „Gegen Scharlach hilft einfaches Penizillin, das war ganz schnell weg vom Markt.” Die Ersatzwirkstoffe helfen zwar auch – die Erreger seien gegenüber den Wirkstoffen sehr sensibel –, hätten aber etwa mehr Nebenwirkungen. Zur Not müssten Medikamente in Tablettenform für Kinder im Mörser zerstoßen werden. „Ich denke, das mit den Medikamenten wird noch schlimmer, das ist eine Katastrophe”, sagt Dördelmann. Es sei kein Ende der Lieferengpässe abzusehen – „das heißt, wir müssen die Medikamente im Ausland bestellen”.

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