Klimawandel

Christiansen contra Christiansen: Zwei Brüder streiten über Naturschutz

Christiansen contra Christiansen: Zwei Brüder streiten über Naturschutz

Die Brüder Carl-Heinz und Reinhard streiten über Naturschutz

Frank Jung und Kay Müller/shz.de
Schleswig-Holstein
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Wie sind Klima und Natur zu retten? Die Brüder Carl-Heinz (l.) und Reinhard Christiansen setzen unterschiedliche Schwerpunkte. Foto: Marcus Dewanger/shz.de

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Was geht vor? Arten- oder Klimaschutz? Diese Frage kann sogar ganze Familien spalten, wie die Brüder Carl-Heinz und Reinhard Christiansen. Der eine ist Repräsentant der Erneuerbare-Energien-Branche, der andere des Naturschutzes. Ein Streitgespräch.

Streiten Sie eigentlich viel?

Carl-Heinz: Nö.

Reinhard: Nicht mehr als andere Brüder.

Carl-Heinz: Und nur selten über die Windkraft.

Aber Ihr Bruder will doch die Windkraft massiv ausbauen, um die Klimaziele zu erreichen.

Reinhard: Das wollen wir Windmüller nur da, wo wir geeignete Flächen haben – und davon haben wir immer noch deutlich mehr als die zwei Prozent Landesfläche, die bislang dafür zur Verfügung stehen. Aber auf Flächen, die einen höheren Wert für eine andere Nutzung haben, müssen keine Windräder stehen.

Carl-Heinz: Artenschutz ist aber ein Wort, das bei der Windlobby nicht vorkommt. Das ist etwas, was man am liebsten außen vor lassen will. Da heißt es über uns Naturschützer immer, dass wir den Windkraftausbau und damit die Energiewende behindern. Aber das scheitert ja nicht an uns, nur weil wir verlangen, dass größere Gebiete frei von Windkraft bleiben sollen. Die haben wir mühsam erkämpft, etwa auf Eiderstedt.

Reinhard: Dann müssen die Artenschützer eben genauer sagen, welche Bereiche frei bleiben sollen. Ich habe nichts dagegen, wenn auf Eiderstedt manche Gebiete nicht bebaut werden. Dann müsst ihr aber auch sagen, auf welchen Gebieten Windkraftausbau möglich ist. Und so muss es fürs ganze Land geschehen.

Ist der Fokus der Öffentlichkeit wegen der Energiekrise zu sehr auf den Ausbau der Erneuerbaren Energien gerichtet und lässt Naturschutz hinten runter fallen?

Carl-Heinz: Eindeutig. Hinzu kommt, dass es da viel Geld zu verdienen gibt. Da herrscht Goldgräberstimmung. Wir hatten mit den Regionalplänen eine gute Grundlage, die festgelegt hat, wo Ausbau möglich ist und wo nicht. Doch weil jetzt das Oberverwaltungsgericht die Windkraftplanung mit den Vorrangflächen im Norden des Landes gekippt hat, haben wir ein Problem.

Reinhard: Das kannst du laut sagen.

Carl-Heinz: Nur mal so nebenbei: Dieses Urteil gab es wegen einer Klage eines Windparkbetreibers, der auf einer Fläche bauen wollte, die nicht im Plan stand. Die meisten Klagen, die noch anhängig sind, kommen von Planern und nur eine einzige von einem lokalen Naturschutzverband, der sich gegen den Bau eines Windparks wehrt.

Was ist das Problem?

Carl-Heinz: Nach dem Beschluss des Koalitionsausschusses in Berlin könnte jetzt jede Gemeinde eigene Windparks ausweisen – und zwar von der dänischen Grenze bis an die Elbe. Da droht Wildwuchs.

Reinhard: Das Problem ist doch viel mehr, dass Genehmigungsverfahren schon jetzt viel zu kompliziert sind und zu lang dauern. Man kriegt ja gar keine Gutachter mehr, die eine Umweltverträglichkeitsprüfung erstellen. Die wollen wir aber genauso wie ihr, schon weil wir Rechtssicherheit brauchen.

Carl-Heinz: Das sagst Du. Es gibt aber auch ganz andere Planer, denen das völlig egal ist. Die legen Gutachten vor, in denen Großvögel nicht gesehen werden, die aber da sind. Solche Fälle werden die Energiewende nicht beschleunigen, sondern verlangsamen, weil es dann vor Gericht geht. Die Genehmigungsbehörden können solche falschen Gutachten aber auch nur schwer erkennen.

Reinhard: Es stimmt, dass es viele Leute gibt, die im großen Stil Windkraftanlagen planen. Die haben Firmen gegründet und Leute eingestellt, die jeden Monat bezahlt werden müssen. Das ist etwas anderes, als das, was ich mit meinem örtlichen Windpark in Ellhöft mache. Ortsfremde Planungsbüros bauen halt überall, wo es geht – und vergessen manchmal, die Bürger mitzunehmen. Ein Beispiel: Wir haben einen Windpark durchgeplant und finanziert, aber trotzdem 230 Bürger beteiligt, weil wir die Akzeptanz erhöhen wollten. Wenn alle profitieren, gibt es keinen Neid. Nur macht das viel Arbeit und die scheuen manche Berufskollegen. Ich kritisiere das auch in meinem Verband, denn diese Entwicklung ist nicht gut.

Carl-Heinz: Jeder Investor macht nur das, was er muss. Deshalb brauchen wir klare Regeln. Weißt Du noch, Reinhard? Wir haben vor 13 Jahren zusammen gefordert, dass die Energiewende in Bürgerhand gehört. Doch Euer Verband hat durch Lobbyarbeit mehr und mehr Leitplanken eingerissen. Die Abstände zu Schutzgebieten sind immer geringer geworden. Wir als Naturschutzverbände versuchen zu retten, was zu retten ist, gegen eine Windbranche, die immer mehr und immer schneller bauen will.

Aber das muss sie doch auch, wenn die Klimaziele eingehalten werden sollen.

Carl-Heinz: Klimaschutz, Erneuerbare Energien und Naturschutz müssen auf Augenhöhe sein, nur dann gelingt es.

Wenn aber die Energiewende nicht gelingt, ist auch der Artenschutz sinnlos.

Carl-Heinz: Wir wissen auch, dass wir mehr Strom erzeugen müssen, aber das muss dezentraler passieren. Wenn die süddeutschen Länder mehr Erneuerbare Energien erzeugen würden, müssten wir an der Küste nicht mehr ohne Ende zubauen. Schleswig-Holstein muss nicht die ganze Republik mit Strom versorgen.

Wo fürchten Sie Beeinträchtigungen für den Artenschutz?

Carl-Heinz: Wir sind ein Vogelzugland und ein Land, in dem die Arten sterben. Deswegen hat die Landesregierung eine Biodiversitätsstrategie aufgelegt. Um die umzusetzen, brauchen wir Groß-Schutzgebiete, auf denen Arten erhalten werden oder sich wieder ansiedeln können. Nur wenn ich da überall einen Windpark zwischenstelle, kann ich das vergessen.

Reinhard: Aber Windkraft verhindert doch nicht den Artenschutz. Ich habe Flügel von Windmühlen genommen, da waren nach 20 Jahren kaum Insekten drauf. Und wo es keine Insekten gibt, sind auch keine Vögel. Es gibt Gebiete mit Windparks, in denen es so viele Seeadler wie nie zuvor gibt.

Dann ist ja alles in Butter.

Reinhard: Es gibt viele Flächen, wo der Ausbau problemlos möglich ist und wo wir schneller werden können. Ich muss doch nicht eine neue Umweltverträglichkeitsprüfung machen, wenn ich in einen bestehenden Windpark neue Mühlen stellen will und die Fläche an einen Bauernwald grenzt: Da kann ich doch bei den Abständen noch was rauskitzeln.

Carl-Heinz: Man kann bestimmt was rauskitzeln, aber man muss auch das Ganze sehen. Wenn es um einen kleinen Bauernwald geht, kann man den ausgleichen, in dem man woanders neue Bäume pflanzt. Das muss nur verbindlich umgesetzt werden.

Reinhard: Es wird immer Konflikte über Flächen geben, da werden sich ja nicht mal Familien untereinander einig. Du hast Recht: Wir brauchen ein Gesamtkonzept. Und wenn es Ausgleichsflächen für Windparks gibt, müssen die, die sie schaffen, mehr Geld von uns Windmüllern bekommen.

Also, was muss jetzt passieren? Ein jahrelanger, neuer Planungsprozess kann es nicht sein, oder?

Carl-Heinz: Nein, das wollen auch wir nicht.

Reinhard: Die Landesplanung ist ja erst entstanden, weil die Kommunen mit der Planung überfordert sind. Die muss klar und rechtssicher vom Land geregelt werden.

Am Ende sind Flächen begrenzt. Entscheidet der, der das meiste Geld dafür bietet, was mit ihnen passiert?

Reinhard: Viele Landwirte wissen, dass sie mit Klima- und Umweltschutz Geld verdienen können und müssen. Uns bieten sie ja auch Ausgleichsflächen an. Aber die nehmen wir in der Regel nicht an, weil das zu Streit in der Region führen kann, wenn wir neben einer intensiv bewirtschafteten Fläche eine Naturschutzfläche schaffen.

Carl-Heinz: Na toll, statt dessen sollen wir Naturschutzverbände sagen, wo die Schutzgebiete entstehen sollen und bekommen wieder verbal Prügel – und nicht ihr Windmüller.

Aber wenn alle Beteiligten in den Orten, an denen Windräder entstehen sollen, an einen Tisch kommen, ist eine Einigung möglich?

Carl-Heinz: Ja, in den meisten Fällen …

Reinhard: … werden wir uns einig.

Carl-Heinz: Am Ende wollen wir alle das Gleiche: Klimaschutz …

Reinhard: … und Artenschutz.

Carl-Heinz: Ich mache ja auch kein Geheimnis daraus, dass ich an Windparks beteiligt bin …

Reinhard: … und ich Mitglied im BUND.

Carl-Heinz: Vielleicht sollten wir einfach mal wieder mehr miteinander schnacken – das gilt ja auch für unsere Verbände.

Reinhard: Das würde bestimmt auch allen anderen guttun, die sich über diese Themen streiten.

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