Rendsburg-Eckernförde

Corona-Experte Prof. Ott: Ab Januar muss zum vierten Mal geimpft werden

Corona-Experte Prof. Ott: Ab Januar muss zum vierten Mal geimpft werden

Ott: Ab Januar muss zum vierten Mal geimpft werden

SHZ
Rendsburg
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Professor Dr. Stephan Ott ist Infektiologe und Leiter des Kreisgesundheitsamtes: Die Omikron-Variante könnte aus seiner Sicht zu einer Durchseuchung der Bevölkerung führen. Foto: Dirk Jennert/shz.de

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Um Corona in Schach zu halten, ist nach Überzeugung des Infektiologen Professor Stephan Ott vorerst ein kürzerer Impf-Rhythmus nötig. An eine Herdenimmunität glaubt er nicht mehr.

Herr Professor Ott, haben Sie Angst davor, schwer an Corona zu erkranken?

Stephan Ott: Nein. Ich bin geimpft und geboostert. Damit ist mein Schutz vor einer schweren Erkrankung hoch. Menschen in meinem Alter – ich bin 52 - haben grundsätzlich ein geringeres Corona-Risiko, sofern sie nicht an Vorerkrankungen leiden.

Diese Corona-Pandemie wird oft verglichen mit der Spanischen Grippe, die zwischen 1918 bis 1920 wütete, oder der Pest im 14. Jahrhundert. Sind diese Vergleiche gerechtfertigt?

Vom Verlauf der Infektionen ist die jetzige Pandemie tatsächlich mit der Spanischen Grippe vergleichbar. Die Dimensionen im Hinblick auf Erkrankungen und Todesfälle dürften ähnlich gewesen sein. Auch das Virus der Spanischen Grippe übertrug sich so wie das Coronavirus, nämlich über Aerosole. Bei der Pest hingegen war der Auslöser kein Virus, sondern ein Bakterium. Das wurde nicht nur als Aerosol übertragen, sondern auch durch Insektenbisse. Die Pestwellen haben deutlich mehr Verwüstungen angerichtet als die Corona-Pandemie. Die Sterblichkeit war viel höher.

Haben wir bei der Bekämpfung der Pandemie irgendetwas völlig falsch gemacht?

Nein, das würde ich nicht sagen. Es hätte aber vieles besser laufen können. Der größte Fehler ist sicherlich, dass wir es zehn Jahre versäumt haben, uns auf Pandemien vorzubereiten. Stattdessen haben wir den öffentlichen Gesundheitsdienst kaputtgespart. Eines der Hauptprobleme ist das fehlende Datenmaterial. Es gibt zwar Meldepflichten für verschiedene Erkrankungen, aber es fehlen Vergleichszahlen. Nehmen wir als Beispiel die normale Grippe: Wir haben eine Meldepflicht für die Labore, wenn sie das Grippevirus in Proben nachweisen. Aber wir wissen nicht, wie viele Menschen an der Grippe sterben. Die Todesfälle sind nicht meldepflichtig. Das machen etwa die skandinavischen Länder anders. Da gibt es solche Register, auch für Krebserkrankungen. Es ist wichtig zu wissen, wo bestimmte Krankheiten verstärkt auftreten und welche Folgen das hat. Beim Impfen wissen wir auf regionaler Ebene nicht, wie viele Menschen wie viele Dosen erhalten haben. Deutschland ist in dieser Hinsicht schlecht aufgestellt.

Wenn Sie exakte Daten darüber gehabt hätten, wie sich die Grippe bei uns ausbreitet, hätten Sie daraus Schlüsse für die Bekämpfung der Corona-Pandemie ziehen können?

Ja, durchaus. Je mehr kleinteilige regionale Daten man hat, umso schneller lässt sich reagieren. Das machen wir jetzt schon bei Noroviren oder Hirnhautentzündung. Da agieren wir zunächst lokal und schicken Menschen in Quarantäne. Grundsätzlich hätte man etwaige Grippe-Daten als Blaupause für Corona nehmen können und schnell Parallelen erkannt. Das wiederum hätte die Entscheidung darüber beschleunigt, ob Masken und Kontaktbeschränkungen helfen, möglicherweise regional begrenzt.

Wie würden Sie die aktuelle Lage im Kreis Rendsburg-Eckernförde beschreiben?

Es ist relativ entspannt. Die Zahlen sinken. Wenn es Omikron nicht gäbe, würde ich sagen: Wir sind über den Berg. Wir haben im Kreis einen guten Impfstatus, auch wenn uns exakte Zahlen fehlen. Ich bin skeptisch in Bezug auf die kommenden Monate. Wenn die Prognosen zur Verbreitungsgeschwindigkeit von Omikron auch nur einigermaßen zutreffen, werden wir uns im Kreishaus anders aufstellen müssen. Gäbe es plötzlich 300 Infizierte pro Tag, könnten wir die Kontaktverfolgung nicht mehr schaffen.

Damit wäre das Risiko groß, dass innerhalb weniger Wochen nahezu jeder mit dem Coronavirus in Kontakt käme?

Das ist richtig. Oder anders formuliert: Es liefe auf eine Durchseuchung hinaus. Ein furchtbares Wort. Wir hätten nur noch die Option, schwere Verläufe zu verhindern. Das lässt sich ausschließlich mit Impfungen erreichen. Dazu zählt die Booster-Impfung, die bisher aber nur 36 Prozent der Bevölkerung haben.

Gibt es angesichts der hochansteckenden Omikron-Variante überhaupt noch eine Chance, die vielzitierte Herdenimmunität zu erreichen?

Das Konzept Herdenimmunität kann unter den jetzigen Voraussetzungen nicht mehr funktionieren. Als wir es noch mit der Alpha-Variante zu tun hatten, wäre das eine Option gewesen, dass man die Infektionsketten durchbricht, wenn mindestens 80 Prozent der Bevölkerung geimpft sind. Aber bereits seit der Delta-Variante geht es im Grunde nur noch darum, schwere Verläufe einer Corona-Erkrankung zu verhindern. Das gilt für jeden, auch für die Kinder ab fünf Jahre.

Biontech passt seinen Impfstoff an die Omikron-Variante an und will damit innerhalb der kommenden drei Monate auf den Markt kommen. Ist das realistisch?

Das halte ich für realistisch. Ich bin in Kontakt mit Biontech-Mitarbeitern. Ich gehe davon aus, dass wir den neuen Impfstoff Ende Februar zur Verfügung haben.

Müssen sich dann die bereits geboosterten Menschen Gedanken über eine vierte Impfung machen?

Also, die vierte Impfung halte ich sowieso für notwendig, auch unabhängig von einem auf Omikron angepassten Vakzin. Die vulnerablen Gruppen sollten sich darauf einstellen, ab Januar zum vierten Mal geimpft werden zu müssen. Damit meine ich die ab 60-Jährigen sowie die Menschen mit Vorerkrankungen. Wenn dann der Omikron-Impfstoff lieferbar ist, wird es die nächste große Impfwelle geben. Wir müssen uns im Kampf gegen Corona wohl auf einen Drei-Monats-Impf-Rhythmus einstellen.

Gibt es nach dem heutigen Stand der Forschung ein Fünkchen Hoffnung, dass wir zu einem anderen Impf-Rhythmus kommen könnten? Bei Mumps etwa hält die im Kleinkindalter erhaltene Doppel-Impfung ein Leben lang vor.

Dass wir das bei Corona erreichen, halte ich für unwahrscheinlich. Das Coronavirus ist extrem wandlungsfähig. Omikron wird nicht die letzte Variante gewesen sein, auch wenn manche Wissenschaftler sagen, dass Omikron der letzte Versuch des Virus sei, sich am Leben zu erhalten. Was ich mir in Bezug auf die Immunisierung gut vorstellen kann, sind Impfstoffe, die vor verschiedenen Virusvarianten schützen. Das wäre vergleichbar mit dem Mechanismus bei der Grippe-Impfung.

Wäre es dann denkbar, dass die Corona-Impfung analog zum Grippe-Schutz nur einmal im Jahr erforderlich wäre?

Das ist auf jeden Fall das Ziel. Die Wissenschaft arbeitet an längeren Impfzyklen. Aber das nächste halbe Jahr wird die Situation noch sehr dynamisch sein.

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