Analyse

Corona-Infrastruktur: Chaos beim Impfen und Testen

Corona-Infrastruktur: Chaos beim Impfen und Testen

Corona-Infrastruktur: Chaos beim Impfen und Testen

SHZ
Kiel
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Das aktuelle Impfchaos wäre laut Experten vermeidbar gewesen. Foto: Christoph Schmidt/dpa/Symbolbild Foto: 90037

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Nach Ansicht von Margreth Kiosz, shz, hörten auch in Schleswig-Holstein Gesundheitspolitiker nicht auf das RKI sondern auf die Lobbyisten. Das aktuelle Chaos war vorprogrammiert. Eine Analyse.

Das Chaos kam mit Ansage. Bereits am 22. Juli mahnte das Robert Koch-Institut (RKI): „Booster-Impfungen insbesondere für Ältere und Risikogruppen sollten jetzt geplant und vorbereitet werden.“ Man rechne für November mit einer Inzidenz von 300 bis 400, wenn sich die Impfquote bei 75 Prozent eindümpele. Zugehört hat damals offenbar niemand. Die vierte Corona-Welle und der Run auf Drittimpfungen traf die Politiker angeblich völlig überraschend – wie uns jeden Abend in Talk-Shows weis gemacht wird.

Jetzt haben wir den Salat: Während sich in der 36.Kalenderwoche Anfang September gerade einmal 620.000 Patienten impfen ließen und schon über Bratwurst-Köder diskutiert wurde, um die Deutschen zum Impfen zu tragen, waren es Mitte November – also zehn Wochen später – ganze 1,8 Millionen. Die Leute bekommen Angst, die Impfbereitschaft steigt stark an.

Zu stark für den Ansturm

Zu stark, um den Ansturm zu bewältigen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung beklagt: „Etwa die Hälfte der Biontech-Bestellungen für diese Woche kann durch den Bund nicht bedient werden. Insgesamt fehlen rund zwei Millionen Dosen“. Auch bei Moderna könne es regional zu Kürzungen kommen.

„Wenn alle plötzlich durch den Elbtunnel wollen, dann gibt es Stau“, beschreibt Frank Jaschkowski, Chef der Apothekerkammer im Norden, die Lage. Das Nadelöhr sei in diesem Fall aber nicht der Impfstoff. „Hier gibt es nur temporäre Lieferschwierigkeiten“. Der Mainzer Impfstoffhersteller Biontech kündigte bereits an, in dieser Woche 5,8 Millionen Impfdosen an den Bund zu liefern. Eine eigentlich erst für kommende Woche vorgesehene Lieferung von 2,9 Millionen Dosen werde vorgezogen. Im Laufe des Dezembers will Biontech nochmals 2,9 Millionen Dosen in der übernächsten Woche liefern sowie 2,4 Millionen Dosen Kinder-Impfstoff vor Weihnachten.

Impfzentren wurden bewusst zerschlagen

Offenbar ist nicht die Produktionskapazität der Pharmaindustrie das Nadelöhr sondern die personelle und sachliche Impfinfrastruktur im Land. Die wurde bewusst per Verordnung zerschlagen. Auch in Schleswig-Holstein hörten Gesundheitspolitiker nicht auf das RKI sondern auf die Lobbyisten: Das Personal in den Impzentren wurde nach Hause geschickt, Impfkabinen wurden im besten Fall eingemottet , im schlechtesten entsorgt; und Logistikzentren wie in Neumünster/Boostedt, die im Laufe der Pandemie wichtiges Kow How bei der Verteilung der kompliziert zu lagernden Impfstoffe entwickelt hatten, aufgelöst. Die Arztpraxen sollten und wollten das Impfgeschäft alleine wuppen.

Schlingerkurs der Politik

Der Schlingerkurs der Politik bei Impfstofflogistik und Tests sorgt inzwischen weltweit für Kopfschütteln. Schlange stehen wie in DDR-zeiten ist jetzt bei uns angesagt. Wegen der 3G-Pflicht am Arbeitsplatz warten die Leute vor den wenigen, verbliebenen Testzentren, die erst kostenfrei, dann kostenpflichtig und jetzt wieder kostenfrei testen. Sie warten auf den Pikstermin beim Hausarzt oder stehen vor mobilen Impfstellen in Reih und Glied, beaufsichtigt von Security-Männern, falls jemand in Nässe und Kälte die Geduld verliert.

Jetzt soll Generalmajor Carsten Breuer als Chef des neuen Coronakrisenstabs Ordnung in das Chaos bringen . Er soll Impfstoffe an den richtigen Ort, an das richtige Personal, zur richtigen Zeit dirigieren. Dabei greift die Scholzregierung unverkennbar auf das italiensche Vorbild zurück. Dort hat es General Francesco Figliuolo als Chef der Impfkampagne zu Legendenstatus gebracht. Von Italien lernen heißt für den ehemaligen Orgaisationsweltmeister Deutschland inzwischen Siegen lernen. RKI-Chef Lothar Wieler beschreibt die Lernkurve der Politk so: „Es ist bemerkenswert, dass man offensichtlich immer wieder die Hand auf die heiße Herdplatte legen muss, um zu merken, dass man sich dann verbrennt“. Können wir uns das leisten?

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