Hilfe! Höhe!

Daniel Fabian breitet Monteure und Feuerwehrleute auf den Notfall vor

Daniel Fabian breitet Monteure und Feuerwehrleute auf den Notfall vor

Fabian breitet Monteure und Feuerwehrleute auf Notfall vor

Oliver Tobolewski-Zarina
Kiel
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Vor zehn Jahren kam Daniel Fabian zum Klettern. Inzwischen ist er Industriekletterer im höchsten Level, berät Unternehmen und erstellt Sicherheitskonzepte. Foto: Oliver Tobolewski-Zarina/shz.de

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Daniel Fabian ist Industriekletterer, Trainer und Feuerwehrmann. Er kennt die Gefahren in der Höhe - und bereitet andere darauf vor.

Ein letzter Schritt. Jetzt nur noch Abstoßen. Aber vorher: ein Blick – zwölf Meter tief nach unten, auf das Seil, das etwas mehr als Handgroße Gerät, dass das Körpergewicht eines Erwachsenen halten soll, und auf Daniel Fabian, der bereits im Seil hängt. Er spricht Mut zu. Die Technik ist sicher, der Kopf muss das aber verinnerlichen, die Bedenken überwinden. „Sich raus zu schwingen, sich auf das System zu verlassen, dem Material zu vertrauen, ist oftmals das größte Problem. Der letzte Schritt kostet Überwindung“, sagt er – und gibt mir Zeit.

Erster Versuch – Zögern. Die Gerüststange bietet Sicherheit. Zweiter Versuch – fast. Rückzieher. Dritter Versuch – ich stoße mich ab, schwinge ins Seil. Und nun hängen wir beide in zwölf Metern Höhe – und Fabian erklärt: „Als zusätzliche Sicherheit haben wir ein zweites Seil und das Auffanggerät. Wenn etwas passiert, rastet es wie ein Gurt im Auto ein, die Metallnocken fressen sich in das Seil.“

Daniel Fabian betreibt in Jevenstedt ein Trainingszentrum

Wir entriegeln das Abseilgerät. Ziehen am Hebel, der sich zunächst äußerst leichtgängig bewegen lässt - bis zum Rutschpunkt. Erst ab diesem Punkt lässt das Gerät das Seil durchlaufen. Man braucht Gefühl. Das fehlt gerade. Ruckartig geht es etwa eineinhalb Meter runter. Abseil- und Auffanggerät rasten ein, blockieren, halten mich in der Höhe. „Gerät zurücksetzen, entsperren, Rutschpunkt suchen“, ruft er mir zu. Zweiter Versuch. Dieses Mal ist das Gefühl da. Erst geht es sehr langsam nach unten, dann wieder ruckartig. Die Geräte rasten erneut ein.

Vor zehn Jahren kam Daniel Fabian zum Klettern. „Mit Bergen hatte ich aber nichts zu tun“, sagt Fabian – und lacht. Er arbeitete damals in Hamburg in einem Betrieb, der mit Leitern sowie Gerüsten handelte und sich mit Absturzsicherung beschäftigte – dies interessierte ihn. Inzwischen ist er Industriekletterer im höchsten Level, berät Unternehmen und erstellt Sicherheitskonzepte. In Jevenstedt bei Rendsburg betreibt er ein kleines Trainingszentrum, übt mit Feuerwehrleuten und Monteuren.

Um den Stress nicht zu erhöhen, setzt Daniel Fabian auf Knotenfreiheit

Die Kameraden von der Feuerwehr bereitet er auf Extremsituationen vor. „Es geht um die Notfallevakuierung“, sagt Fabian, der selbst Wehrführer ist. Sie sei aber immer das letzte Mittel der Wahl, wenn Leiter oder Drehleiter als Rettungsweg nicht eingesetzt werden können. Er trainiert mit den Einsatzkräften, was passieren könnte, wenn sie sich abseilen. Und was sie machen können, wenn etwas nicht funktioniert. „Es geht darum: Welche Kräfte wirken? Welche Möglichkeiten habe ich? Wo kann ich das Seil im Gebäude festmachen? Und das ist in Einfamilienhäusern meistens relativ schwierig.“ Ein Sessel oder ein Stuhl reichen nicht aus, um das Gewicht zu halten. Ein Heizungskörper sei eher geeignet – abstürzen dürften die Retter dann jedoch nicht. Diese Energie könne auch kein Heizkörper aufnehmen.

Fabian setzt auf eine Ausbildung ohne Knoten. Die Einsatzkräfte lernen, sich mit Rundschlingen und Karabinern abzuseilen. Der Grund: Der Stress und der Druck seien ohnehin hoch. Wenn Retter nun auch noch in dem verrauchten und dunklen Gebäude Knoten machen müssten, koste dies Zeit und würde das Stresspensum zusätzlich erhöhen.

Die Ausbildung zum Höhenretter ist zeitintensiv

Wenn Menschen aus größeren Höhen oder Tiefen gerettet werden müssen, stießen die Freiwilligen Feuerwehren oftmals an ihre Grenzen, so Fabian. Dann müssen die Spezialisten der Höhenrettung ran. Sie seien für so etwas trainiert und medizinisch geschult – eine zeitintensive Ausbildung, die das Ehrenamt zu sehr strapazieren würde. „Es reicht eben nicht, einmal im Monat zu üben“, sagt Fabian. „Ich sehe es bei uns Industriekletterern. Wenn du dich nicht permanent auf dem aktuellen Stand hältst, was Normen und Techniken betrifft, bist du schnell raus.“

Klettergurt, Karabiner, Falldämpfer, Ösen, Abseilgerät, Steigklemme, Trittschlinge, Halteseil und Sitzbrett haben Gewicht. Bis zu 20 Kilogramm wiegt die Ausrüstung. „Die Hosentaschen sollten unbedingt leer sein“, beharrt Fabian, als wir den Klettergurt anlegen. Im Falle eines Sturzes wirkten hohe Kräfte, jeder Gegenstand, der noch in den Hosentaschen sei, könne zu schweren Verletzungen führen. „Feuerzeuge oder Handys bohren sich ins Bein.“

Wenn jemand im Gurt hängt, bleiben 20 Minuten für die Rettung

Wenn jemand in seinem Gurt hänge, zähle jede Minute. Der Grund: der Orthostatische Schock, das sogenannte Hängetrauma. Bei dem sei das Herz-Kreislaufsystem gestört, das Blut zirkuliere nicht mehr vernünftig durch den Körper, weil der Klettergurt die Venen abdrücke. Das ist sehr schnell lebensbedrohlich – weshalb es Rettungskonzepte für verschiedene Szenarien geben muss, wenn in der Höhe gearbeitet wird. „20 Minuten bleiben für die Rettung einer abgestürzten Person, die im Gurt hängt“, sagt Fabian – und diese seien schnell erreicht, wenn der Einsatz nicht im Nahbereich ist.

So müssten Monteure auf Windkraftanlagen zum Beispiel in der Lage sein, sich im Ernstfall auch selbst helfen zu können. „Die regionalen Wehren sind für solche Einsätze nicht ausgebildet“, sagt Fabian. Und die Anfahrtswege der Höhenrettung seien lang.

Höhenretter haben in Schleswig-Holstein lange Anfahrtswege

„Wenn man auf Schleswig-Holstein schaut, dann ist die Ostküste relativ gut abgedeckt mit Höhenrettern.“ In Kiel und Flensburg gibt es die Spezialisten bei der Berufsfeuerwehr. Das sieht an der Westküste anders aus. Dort, wo in Küstennähe die Windparks stehen, „gibt es keine Höhenrettung“, sagt Fabian. Diesen Teil des Landes deckt die Offshore-Rettung und das Havariekommando in Cuxhaven ab. Bis die Retter da sind, dauert es – und sie haben nur 20 Minuten.

Fabian findet dennoch, dass es wichtig ist, dass sich auch Freiwillige Feuerwehren mit den Szenarien beschäftigen, um ein Gefühl dafür bekommen, worauf es bei der Rettung ankommt. „Sie können die Höhenretter unterstützen“, sagt er. Wenn die örtlichen Feuerwehren die Anlagen in der Umgebung kennen, wissen, wie man dort hereinkommt, können sie den Aufzug herunterholen, die Kommunikation nach oben aufs Windrad organisieren und mögliche Gefahren abklären. „Das ist die halbe Miete“ – und verschafft den Höhenrettern wichtige Zeit.

Sechs Meter haben wir inzwischen nach unten geschafft. Wieder heißt es: Geräte entsperren, am Hebel bis zum Rutschpunkt ziehen – und gefühlvoll das Seil durchlassen. Flüssiges nach unten Gleiten ist etwas anderes. Mal geht es für mich langsam, mal etwas schneller, aber nicht wirklich gleichmäßig nach unten, bis ich wieder Boden unter den Füßen habe.

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