Landespolitik

Darum hört der Flüchtlingsbeauftragte Stefan Schmidt in SH nach zwölf Jahren auf

Darum hört der Flüchtlingsbeauftragte Stefan Schmidt in SH nach zwölf Jahren auf

Flüchtlingsbeauftragte Stefan Schmidt in SH hört auf

Karin Lubowski/SHZ
Kiel
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Foto: Karin Lubowski/SHZ

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Stefan Schmidt, scheidender Flüchtlingsbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein, wird am 13. September in St. Marien in Lübeck verabschiedet.

Seit zwölf Jahren ist Stefan Schmidt der Beauftragte für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen des Landes Schleswig-Holstein bei der Präsidentin des Schleswig-Holsteinischen Landtages. Dies der offizielle Titel. Gängig ist die Bezeichnung Flüchtlingsbeauftragter. Er selbst bevorzugt die Bezeichnung Zuwanderungsbeauftragter.

Käpt’n nennen ihn die meisten ohnehin, denn dies ist sein Beruf. Im Herbst geht der Käpt’n bei der Landesregierung von Bord. Zwölf Jahre in diesem Ehrenamt sind genug, sagt er selbst. Am 13. September soll der in Stettin geborene, jetzt noch 81-Jährige, in seiner Wahlheimatstadt Lübeck gewürdigt werden: mit einem Festakt in der Marienkirche und 500 Gästen.

Benefizveranstaltung zugunsten der Seenotrettung

„Schmidt ahoi!“ grüßt locker die Einladung. Förmlich wird es garantiert nicht an diesem Mittwoch in St. Marien, denn das Fest ist kein offizielles, sondern Produkt einer privaten Initiative. Emotional dagegen schon. Der Käpt’n steht im Mittelpunkt, natürlich, schließlich kommt man ihm zu Ehren zusammen. Aber weil es um ihn geht, geht es eben auch um das, was ihn seit zwei Jahrzehnten umtreibt: die Not anderer. Und deshalb ist die private Feier eine Benefizveranstaltung zugunsten der Seenotrettung im Mittelmeer.

Im Mittelmeer ist es, wo für Stefan Schmidt 2004 der persönliche Paradigmenwechsel stattfindet. Er ist 62 Jahre alt, hat 46 Jahre lang vom Tanker bis zum Massengutfrachter alles auf den Meeren der Welt gefahren, ist zwischenzeitlich auch Reedereiinspektor, Leiter einer Seemannsschule im Südpazifik, Honorarkonsul von Tuvalu. Jetzt will Schmidt noch einmal etwas bewegen. Er lernt Elias Bierdel, den damals Vorsitzenden des „Komitee Cap Anamur“, kennen, engagiert sich für die Hilfsorganisation, findet ein Schiff, das unter seiner Leitung in Lübeck zu einem Hilfs- und Hospitalschiff umgebaut wird und als „Cap Anamur“ zur seiner ersten Reise mit Hilfsgütern für Westafrika und Irak aufbricht. Schmidt ist der Kapitän.

Eine Fahrt als weltweites Medienereignis

Im Mittelmeer wird die Fahrt unversehens zum weltweiten Medienereignis. Die „Cap Anamur“ trifft auf ein marodes Boot mit 37 afrikanischen Flüchtlingen. Die Menschen sind in Lebensgefahr, Schmidt ordnet ihre Rettung an, will sie in den Hafen des sizilianischen Porto Empedocle bringen und gleich wieder auslaufen. Die Einfahrtgenehmigung ist bereits erteilt. Doch dann wird sie ohne Begründung zurückgezogen. Drei Wochen dauert die Irrfahrt des Hilfsschiffes, das zeitweise von italienischem Militär umkreist wird. Die Lage unter den Flüchtlingen wird kritisch. Nun darf die „Cap Anamur“ doch in Porto Empedocle einlaufen.

Doch Schmidt, sein Erster Offizier Vladimir Daschkewitsch und Bierdel kommen fünf Tage in Untersuchungshaft, ein Prozess wird angestrengt, „Schlepperei“ lautet der Vorwurf. Der deutsche Innenminister Otto Schily und sein italienischer Kollege Bepe Pisanu erklärten, es gelte, einen „gefährlichen Präzedenzfall“ zu verhindern, in Deutschland mit dem Vorwurf, die spektakuläre Rettung der 37 Bootsflüchtlingen sei für die Medien inszeniert worden, ein wahrer Shitstorm. Dies ist der Sommer, der das Leben eines nach eigener Einschätzung wenig an Politik interessierten Stefan Schmidt umkrempelt.

2009 wird er in Italien freigesprochen

Menschen auf der Flucht, Fluchtursachen lassen ihn nicht mehr los. Unermüdlich hält er Vorträge, geht in Schulen, in maritime Einrichtungen, und wo man ihm sonst zuhören will. „Das Mittelmeer ist voller Leichen“, sagt er. Ganz ruhig, ganz unpathetisch. 2007 ist er Mitbegründer des Vereins „Borderline Europe – Menschenrechte ohne Grenzen e.V.“. 2009 werden er und seine beiden Mitangeklagten in Italien endlich freigesprochen.

Stefan Schmidt wird mit dem Menschenrechtspreis der Stiftung Pro Asyl (2006) und mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille der Internationalen Liga für Menschenrechte (2009) ausgezeichnet. Er fühlt sich geehrt, und doch sagt er es auch als Mahnung immer wieder: „Ich habe nur meine Pflicht getan, von Anfang bis Ende. Hätte ich die Männer nicht gerettet, wäre das unterlassene Hilfeleistung gewesen.“

2011 wird Schmidt zum Zuwanderungsbeauftragten des Landes gewählt und 2017 im Ehrenamt bestätigt. Vor einem Jahr zeichnete Ministerpräsident Daniel Günter den hartnäckigen Anwalt für Menschen in Not mit dem Verdienstkreuz am Bande aus. „Zwölf Jahre sind genug“, sagt der nun, erzählt von Vorhaben auf Flusskreuzfahrten zu gehen, mit einem seiner drei Söhne nach Schottland zu reisen, mehr Zeit mit den Enkeln zu verbringen, Besucher in Travemünde über die Viermastbark „Passat“ zu führen, natürlich weiterhin Vorträge über Flüchtende und Fluchtursachen zu halten und sich überhaupt einzumischen, wo er es für richtig hält. Viel zu tun in Zukunft, trotzdem werden seine Augen salzwassernass beim Gedanken, sich vom Ehrenamt zu verabschieden.

Schauspieler, Musiker und Politiker zum Abschied dabei

Wehmut wird auch am 13. September aufkommen. Nicht nur bei Schmidt, auch bei Freunden, Freundinnen, Weggefährten, Mitstreiterinnen, die der zugewandte Menschenfischer im Laufe der Jahre eingesammelt hat. Wie gesagt: Es ist eine private Feier, doch nicht nur Schauspieler und Musiker des Theater Lübeck, der Shantychor Möwenschiet, die Liedermacherin Sarah Lesch und Gourmetkoch Günter Weinberg sind gestaltend dabei, Landtagspräsidentin Kristina Herbst, Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack, Bischöfin Kerstin Fehrs, Marien-Pastor Robert Pfeifer und Stefan Schmidt selbst stehen auf der Rednerliste.

Letzter Ehrenamtler auf dem Posten

Dessen letzter Tag als Beauftragter für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen des Landes Schleswig-Holstein ist der 31. Oktober 2023. Stefan Schmidt ist der letzte, der diese Position ehrenamtlich bekleidet. Der oder die nächste Beauftragte wird fest angestellt.

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