Aktivismus

Darum kommen „Klimakleber“ für Farbanschläge auf Sylt nicht in U-Haft

Darum kommen „Klimakleber“ für Farbanschläge auf Sylt nicht in U-Haft

Darum kommen „Klimakleber“ für Farbanschläge nicht in U-Haft

Nils Leifeld/shz.de
Westerland
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Ein Klimakleber der „Letzten Generation“ klebt vor einem Privatjet auf dem Flughafen Sylt. Foto: Volker Frenzel/ Syltpicture/shz.de

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Nach den Farbattacken der „Letzten Generation“ auf Sylt wurden die Aktivisten – nach kurzzeitiger Festnahme – wieder laufengelassen. Warum kamen sie nicht in U-Haft? Das sagen Juristen.

Tatort Sylt vergangene Woche: Aktivisten der „Letzten Generation“ besprühen am Dienstag einen Privatjet auf dem Flughafen mit Farbe und sorgen am Donnerstag – ebenfalls mit oranger Sprühfarbe – für Chaos in der Hotelbar des Miramar. Nach der Flughafen-Attacke wurden die Personalien der fünf Aktivisten aufgenommen, anschließend wurden sie wieder laufengelassen. Am Donnerstag wurden vier der sechs Aktivisten festgenommen, später aber ebenfalls wieder freigelassen. Warum sitzt keiner der Aktivisten in U-Haft?

Die Gründe für Untersuchungshaft

Nach den Farbanschlägen sagte die zuständige Oberstaatsanwältin beim Landgericht Flensburg, Inke Dellius, die Tatbestände würden einen Untersuchungshaftbefehl nicht rechtfertigen. Warum nicht?

„Die Haftgründe für Untersuchungshaftbefehle sind unter anderem Fluchtgefahr und Verdunkelungsgefahr“, erklärt Professor Dennis Bock, der an der Universität Kiel Deutsches und Internationales Strafrecht, sowie Strafprozessrecht und Wirtschaftsrecht lehrt. Verdunkelungsgefahr sei die Vernichtung von Beweismitteln und Fluchtgefahr sei selbsterklärend. Beides sei im Fall der „Letzten Generation“ nicht gegeben.

Ein weiterer Grund für eine Untersuchungshaft, so Bock, sei die Wiederholungsgefahr. Diese, das hatte Inke Dellius bereits letzte Woche gesagt, sehe sie nach den Vorfällen auf Sylt nicht. Diese werde eher bei „mittleren bis schweren Kriminalverbrechen“ angewandt. Was heißt das?

„Die Wiederholungsgefahr gilt nur für mittlere bis schwere Kriminalverbrechen, wie beispielsweise bei Sexualstraftaten, Drogendelikten, Brandstiftung oder Raub. Sie gilt nicht für Sachbeschädigung, Nötigung oder Hausfriedensbruch“, erklärt Professor Bock. Heißt: Der Gesetzgeber sehe bei den gängigen Straftaten der „Letzten Generation“ keine Wiederholungsgefahr und somit auch keinen Grund für eine U-Haft. Wenn man das ändern wolle, so Bock, müsse man das Gesetz ändern. „Das wäre Sache der Politik.“

Der Sinn einer Untersuchungshaft

Was soll eine Untersuchungshaft überhaupt bezwecken? Dazu erklärt Milan Kuhli, Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Hamburg. „Die Untersuchungshaft dient der Ermöglichung eines Strafverfahrens: Es soll zum Beispiel verhindert werden, dass ein Beschuldigter flieht und sich hierdurch dem Strafverfahren entzieht. Da es sich bei der U-Haft um eine massive Freiheitsentziehung handelt, ist die Durchführung einer Untersuchungshaft zu Recht an hohe Voraussetzungen geknüpft (siehe oben).“

Laut Professor Dennis Bock sei eine Untersuchungshaft dafür gedacht, „ein laufendes Strafverfahren zu sichern, nicht aber künftige Taten zu verhindern“. Das sei Aufgabe des Polizeirechts. „Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr ist daher schon insgesamt ein polizeilicher Fremdkörper im Strafverfahren und sollte keinesfalls noch ausgeweitet werden“, argumentiert Bock.

Dieses Strafmaß erwartet die Sylter Klimakleber

Wenn sie schon nicht in Haft genommen werden können: Welches Strafmaß erwartet die Aktivisten von Sylt überhaupt? „Im vorliegenden Fall kommen vor allem Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung (gegebenenfalls auch Nötigung) als mögliche Straftaten in Betracht“, erklärt Aziz Epik, Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Hamburg. „Ein Hausfriedensbruch wird höchstens mit einem Jahr Freiheitsstrafe bestraft, eine Sachbeschädigung mit höchstens zwei Jahren.“ Bei einer Nötigung betrage der Strafrahmen bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe.

Laut Professor Epik sei es realistisch, dass für die Aktivisten auf Sylt eine Geld- oder Bewährungsstrafe in Betracht komme. Insofern wäre die Untersuchungshaft schon aus Gründen der Verhältnismäßigkeit kritisch zu sehen, so der Professor abschließend.

Die „Letzte Generation“ eine kriminelle Vereinigung?

Die Bildung einer kriminellen Vereinigung ist in Deutschland strafbar. Zuletzt wurden die Rufe laut, die „Letzte Generation“ als solche einzustufen. Doch was würde es nützen, wenn man die „Letzte Generation“ als kriminelle Vereinigung einstufen würde?

Ein Hauptgrund sei, „dass dadurch bereits die Beteiligung als Mitglied der Vereinigung strafbar ist und keine weitere konkrete Tatmitwirkung nachgewiesen werden muss. Sogar Unterstützer einer solchen Vereinigung sind bereits strafbar, ebenso, wer für sie wirbt“, erklärt Professor Dennis Bock. Doch gibt es auch dabei ein großes Aber: „Auch wenn man die ,Letzte Generation‘ als kriminelle Vereinigung im Sinne des Strafgesetzbuchs einstuft, ermöglicht das immer noch nicht eine Untersuchungshaft aufgrund Wiederholungsgefahr“.

Wie geht es nach den Farbattacken auf Sylt nun weiter?

Nach den Farbattacken auf Sylt ermittelt jetzt die Kriminalpolizei auf Sylt. Ob ein beschleunigtes Verfahren gegen die Aktivisten durchgesetzt wird, hänge vom Verlauf der Ermittlungen ab, sagte Inke Dellius. „Das können wir erst sagen, wenn die Ermittlungen der Kriminalpolizei abgeschlossen sind.“

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