Judenfeindlichkeit

„Diskursfähigkeit der Lehrer war schon mal besser“

„Diskursfähigkeit der Lehrer war schon mal besser“

„Diskursfähigkeit der Lehrer war schon mal besser“

SHZ
Kiel
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Foto: Daniel Bockwoldt

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Bildungsministerin Karin Prien hat den Eindruck, dass Schüler auf antisemitischen Äußerungen nicht immer genug Widerspruch erhalten. Das will sie ändern.

Lehrkräfte müssen Judenfeindlichkeit beherzter entgegentreten. Das sieht Bildungsministerin Karin Prien als einen wesentlichen Baustein, um Antisemitismus einzudämmen. Der Appell fiel auf einer Podiumsdiskussion mit der Frankfurter Soziologin Julia Bernstein zum Thema „Antisemitismusbekämpfung in der deutschen Gesellschaft und Bildungspolitik“ im Zentrum der Jüdischen Gemeinde in Kiel. Der Programmpunkt war eingebettet in die Auftaktfeierlichkeiten der Jüdischen Gemeinschaft Schleswig-Holstein zum Jubiläum 1700 Jahre Judentum in Deutschland.


„Keine Sonntagsreden, sondern Tacheles“ hatte sich Moderator Igor Wolodarski, Landesvorsitzender der Jüdischen Gemeinschaft, gewünscht. Und so gab sich Prien, neben ihrer Minister-Eigenschaft auch Vorsitzende des Jüdischen Forums in der Bundes-CDU, denn auch durchaus provokant: „Die Diskursfähigkeit des gemeinen deutschen Lehrers war schon mal besser“ äußerte sie auf die Frage, ob Schulen zu viel Angst hätten, das Thema Antisemitismus aufzugreifen. Prien sieht viele Lehrkräfte dabei „überfordert“. Ihre Beobachtung ist: Die Unterrichter „haben ein bisschen verlernt zu unterscheiden zwischen ,wo muss ich eine Meinung zulassen' und ,wo muss ich die Auseinandersetzung mit den Schülerinnen und Schülern suchen?“.

Lehrerausbildung soll Pädagogen „stark machen“

Die Politikerin will das aber nicht einfach als Vorwurf verstanden wissen. Immerhin sei sie ja auch Dienstherrin dieses rund 30 000 Angehörige starken Berufsstands im Land. „Da müssen wir die Lehrerinnen und Lehrer stärker machen und sie so ausbilden, dass sie Auseinandersetzungen Stand halten“, hat sich die Ministerin vorgenommen. Für die Lehrerfortbildung starte dazu in Kürze gemeinsam mit der Bertelsmann-Stiftung ein Pilotprojekt. Nötig sei es aber auch, im Lehramtsstudium etwas für entsprechende Inhalte zu tun. „Da müssen wir ran.“

Widerspruch zwischen zwei Welten

Vorangegangen waren Klagen Bernsteins über „eine Tendenz zu einer Schlussstrichmentalität bei totaler Unwissenheit darüber, was in Deutschland einst an Judenverfolgung passiert ist“. Die Professorin von der Frankfurt University of Applied Sciences hat dazu ein Buch veröffentlicht und zuvor geforscht. Sie wies auf einen Widerspruch hin: 90 Prozent von für Studien befragten Deutschen äußerten die Ansicht, Judenfeindschaft gehöre ausschließlich zur Vergangenheit. Andererseits sagten 90 Prozent von in Deutschland lebenden Juden, sie würden auch heute Antisemitismus erfahren.

Nicht nur an bestimmten Schularten, womöglich noch allein in schwierigen Stadtteilen, will Bernstein bei Jugendlichen antijüdische Tendenzen aufgespürt haben. „Auch an renommierten Gymnasien“ sei das der Fall. Gern würde sie vertiefende Studien machen. Die Professorin erlebt jedoch, „dass sich Schulleiter da verweigern“. Sie fürchteten, die Ergebnisse könnten „ein schlechtes Licht“ auf ihre Schule werfen.

Prien wies darauf hin, dass Schulen antisemitische Vorfälle so wie Gewalt überhaupt noch nicht lange zentral melden müssen. Dadurch werde mehr sichtbar, auch wenn es nicht unbedingt so viel mehr Vorfälle gebe.

Zugang über Biografien, auch der Täter

Einig waren sich Bernstein und Prien dabei, im Unterricht das Gedenken an den Holocaust nicht derart „zu ritualisieren“, dass die Schüler sich damit überladen fühlen. Damit würde man das Gegenteil von dem erreichen, worauf es ankomme. Seinen festen Stellenwert aber brauche das Thema. Schule müsse die historische Verantwortung der Deutschen für den Holocaust vermitteln, betonte Prien. Sie rät dazu, den Zugang dazu noch mehr über Biografien zu eröffnen, nicht allein über Opfer- auch über Täterbiografien.


Egal ob die heutige Schüler- oder Erwachsenengeneration – Bernstein fordert, dass sich jeder auch einer potenziellen Verantwortung der eigenen Vorfahren für den Holocaust stellen müsse: „Das Mindeste, was die deutsche Gesellschaft den Juden schuldet, ist die Erkenntnis, dass es möglicherweise auch in der eigenen Familie Mitläufertum und Täterschaft gegeben hat.“ Jeden regelrecht mit den Großeltern vor Augen „zur Selbstreflexion zu zwingen“ würde wiederum Prien „zu weit gehen“.

Lehrpläne zur Überarbeitung

Die Lehrpläne überarbeiten indes will die Bildungsministerin auf jeden Fall. „Da fehlt ganz viel“ ist ihr nach der Regierungsübernahme 2017 aufgefallen. Nachzuschärfen seien unter anderem Aspekte zur jüdischen Religion und Kultur, zur Schoah und über den jüdischen Teil der europäischen Identität.

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