Vortrag am Mittwoch in Schleswig

Drehort Schleswig-Holstein – im Land der Heimatfilme

Drehort Schleswig-Holstein – im Land der Heimatfilme

Drehort Schleswig-Holstein – im Land der Heimatfilme

SHZ
Flensburg/Schleswig
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Nosferatur, Immenhof und die Blaue Grenze: Eine Zusammenstellung von verschiedenen Filmplakaten aus der Film-Geschichte des Landes. Foto: Montage: shz.de

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Professor Dr. Gerhard Paul aus Flensburg erklärt, was die im Norden gedrehten Filme über die Geschichte des Landes erzählen. Es beginnt mit Nosferatu.

Es ist wie eine Zeitreise. Wenn Gerhard Paul an seinem Laptop in seinem Haus in Flensburg sitzt, kann er in wenige Sekunden die Filmgeschichte Schleswig-Holsteins zum Leben erwecken. Historische Filmplakate wie die über den in den 20er-Jahren zum Teil in Lübeck gedrehten ersten deutschen Horrorfilm „Nosferatu“ hat er darauf genauso gespeichert wie eine Ankündigung der 2005 erschienenen Tragikkomödie „Die blaue Grenze“, die im deutsch-dänischen Grenzland spielt.

„Was diese Filme zeigen und wie sie gemacht sind, das zeigt auch eine Menge über die Geschichte Schleswig-Holsteins“, sagt der Historiker, der bis zu seiner Emeritierung Jahrzehnte an der Uni Flensburg lehrte und forschte. Mittwoch hält er einen Vortrag zu dem Thema im Landesarchiv in Schleswig (siehe Kasten).

Paul ist vielleicht der deutsche Wissenschaftler, der sich am stärksten mit der Bildlichkeit in Wechselwirkung mit der Zeitgeschichte auseinander gesetzt hat. „Filme sind auch immer ein Abbild ihrer Zeit“, sagt der 70-Jährige, als er auf das Plakat eines der Immenhof-Filme deutet.

Die Trilogie zeigt die Lebenswelt der 50er-Jahre. „Die Leute wollten nichts mehr wissen von Diktatur und Krieg, sondern lieber in eine heile Welt fliehen“, erklärt Paul. Das Schema aller Heimatfilme sei immer gleich. „Es gibt zu Anfang ziemliche Probleme, die sich dann aber relativ leicht lösen lassen. Immer sind schöne Menschen dabei, die in den blauen Himmel blicken“, erklärt Paul. So sei die Holsteinische Schweiz, in der die Reiter-Filme entstanden, zu einem der Sehnsuchtsorte der frühen Bundesrepublik geworden.

Das wird auch die Insel Sylt – allerdings wegen eines ganz anderen Films. „Die Insel ohne Moral“ feiert 1950 Premiere. „In dem Film ist nicht viel nackte Haut zu sehen, höchstens mal ein paar Waden“, sagt Paul. Im Lexikon des Internationalen Films heißt es: „Leichtgeschürzte und banale Ferienkomödie, mit der der Regisseur vergeblich versuchte, das Lebensgefühl der jungen Generation der 50er-Jahre zu porträtieren.“ Aber es ist eben ein Film, der Sylt auch als einen Ort darstellt, in dem etwas erlaubt scheint, was woanders noch anrüchig ist.

Erst recht trifft das für die Insel in den 70er-Jahren zu. Die sexuelle Revolution hat längst begonnen, die Post-68er-Generation beginnt, auch bürgerliche Wohnstuben zu erobern. In „Sonne, Sylt und kesse Krabben“ darf die junge Ingrid Steeger auch mehr als nur ihre Waden zeigen. „Vielleicht ist die These gewagt, aber für mich ist das auch ein für diese Zeit moderner Heimatfilm“, sagt Paul. Denn wieder werden Bilder eines Ortes gezeigt, den die Zuschauer kennen, den sie besuchen können – und in dem sie etwas suchen, das ganz anders ist als ihr eigenes Leben.

Genau das sieht Paul auch in den Familienserien der 80er-Jahre. Wenige Jahre zuvor hat die US-Serie „Holocaust“ den Menschen in aller Klarheit verdeutlicht, wie sehr ganz Deutschland in die NS-Verbrechen verstrickt war. Paul nennt das einen „Realismusschock“. Danach habe es wie in den 50er-Jahren eine Sehnsucht nach einer heilen Welt gegeben, die die deutsche Vergangenheit ausblendet, sagt der . „Nach den gesellschaftlich turbulenten 60er- und 70er-Jahren trafen Familienserien den Zeitgeist.“

Schleswig-Holstein ist dafür ein gern gewählter Drehort. Das „Erbe der Guldenburgs“ und noch erfolgreicher „Der Landarzt“ sind an erkennbaren Orten gedrehte Serien, die den Geist der Ära Helmut Kohl atmen und dem Zuschauer wie schon in den Immenhof-Filmen 30 Jahre zuvor unpolitische Unterhaltung bieten. „In diesem Fall wiederholt sich Geschichte.“

In den folgenden Jahren wird Schleswig-Holstein als Spielort noch beliebter. In die Buchhandlungen kommen mehr und mehr Regionalkrimis, die von Itzehoe bis zu den Inseln alles zum Tatort machen, was Schleswig-Holstein zu bieten hat. Das spiegelt sich auch in Filmen – etwa in diversen Vorabendserien. „In einer komplizierter werden Welt wollen offenbar viele Menschen diese Art von Verortung“, sagt Paul. Und der Tourismus habe davon im Norden immer profitiert.

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Schleswig-Holstein ist ein attraktiver Drehort

Paul sieht aber noch einen ganz anderen Grund für den Erfolg des Nordens als Drehkulisse sieht. „Schleswig-Holstein ist einfach ein schöner Ort, an dem es sich gut leben lässt – das wissen auch die Filmcrews.“ Das spiele oft eine größere Rolle als die öffentliche Filmförderung.

Paul könnte es sich jetzt einfach machen und Schleswig-Holstein einfach als Land der Heimatfilme, der spießigen Bürgerlichkeit und Landschaftsidylle kennzeichnen – aber das tut er nicht. Denn der Norden ist eben auch ein Land der Literaturverfilmungen. Dafür steht nicht nur „Nosferatu“, sondern auch die „Buddenbrooks“ oder „Bauern, Bonzen, Bomben“, das nach dem Roman von Hans Fallada in den 70ern etwa in Rendsburg oder Schleswig gedreht wird. „Und in den 90er und 2000er Jahren gibt es mit Filmen, die sich um historische Figuren wie Uwe Barschel oder Beate Uhse drehen, wieder eine ganz andere Thematisierung von historischen Inhalten“, meint Paul. Dafür sieht der Wissenschaftler in Zukunft noch viel mehr Potenzial. „Das Land hat genug Geschichten zu erzählen.“

In letzter Zeit beobachtet der Historiker einen neuen Trend, den er etwa an dem in dieser Woche startenden Flensburg-Krimi deutlich macht. „Dort spielen ein farbiger Kommissar und eine Polizistin, die nur dänisch spricht, die Hauptrollen – das ist Klischee 2.0“, sagt Paul und ergänzt: „Hier wird eine so offene, diverse, multikulturelle Welt gezeigt, die es noch gar nicht gibt.“

Gesellschaft prägt die Filme – und anders herum

Denn auch das ist ein Ergebnis von Pauls Forschungen: „Der Film bildet die Gesellschaft ab, aber ein Film kann auch einen gesellschaftlichen Trend setzen.“ Etwa wie die Serie „Holocaust“, deren Titel zu einem historischen Begriff wurde – oder das „Traumschiff“, das einen Kreuzfahrtboom auslöste.

Für Paul hat allerdings der prägende gesellschaftliche Faktor der Spiel- und Fernsehfilme extrem abgenommen. „Dafür ist das Angebot zu groß geworden.“ Allenfalls gelte das noch für den Tatort, den der Historiker seit Jahren mit seiner Frau gemeinsam guckt. Allerdings kann er auch den nicht nur als normaler Zuschauer verfolgen, sondern immer mit den Augen des analysierenden Wissenschaftlers. Paul: „So richtig abschalten kann ich eigentlich nur bei James-Bond-Filmen.“

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