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Droht in den Ferien ein Ladestationen-Chaos an den Autobahnen?

Droht in den Ferien ein Ladestationen-Chaos an den Autobahnen?

Urlaub: Droht ein Ladestationen-Chaos an den Autobahnen?

Tobias Schmidt/shz.de
Kiel/Berlin
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Parkplatz mit E-Ladestation. Foto: Robert Michael/dpa/shz.de

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In diesem Sommer werden so viele Familien wie nie mit einem Elektroauto in den Urlaub fahren. Verpufft der Ferienspaß im Stau vor der Ladesäule, wenn alle gleichzeitig Strom tanken müssen? Oder kann elektrischer Massentourismus wirklich funktionieren?

Dass es bei Reisewellen vor Schnellladern zu Staus komme, sei perspektivisch “durchaus möglich”, schätzt der ADAC. “Bloß nicht einfach reinsetzen und losfahren!”, warnt ein Professor für Fahrzeugtechnik, gibt aber auch Teil-Entwarnung: Für den großen Ladesäulen-Stresstest sei die Zahl der E-Auto-Urlauber in dieser Saison noch zu gering.

Wir haben mit Experten über Ferienreisen und E-Mobilität gesprochen, aber auch in die fernere Zukunft geschaut. Dass es jemals klappen könnte, gleichzeitig in den Urlaub zu fahren, wenn fast alle elektrisch verreisen, daran mehren sich die Zweifel. Klar ist: Das Verbrenner-Aus ab 2035 wird zur Mega-Herausforderung für den Massentourismus.

Fragen und Antworten zu E-Mobilität und Urlaubsreisen:

Kommt es diesen Sommer zu Ladesäulen-Staus an den Autobahnen?

Derzeit sind auf den deutschen Straßen erst knapp zwei Millionen Elektroautos unterwegs. Das ist nur jedes 25. Auto. Ob das schon reicht, um Staus zu produzieren? “Prinzipiell kann das passieren, aber ich glaube es nicht. Denn noch sieht man auf der Autobahn - Teslas ausgenommen – nur sehr wenige batterieelektrische Fahrzeuge”, sagt Professor Michael Bargende.

Bargende ist ehemaliger Inhaber des Lehrstuhls Fahrzeugantriebe an der Uni Stuttgart. Seine Sommerprognose: “Von Flensburg in die Berge, von Osnabrück an den Bodensee: Das sollte diesen Sommer mit notwendiger Planung recht reibungslos klappen. Aber nicht einfach reinspringen und losfahren! Eine Ladesäule am Hotel vorbuchen ist sicher sehr sinnvoll.”

Auch der ADAC erwartet diesen Sommer noch keine Super-Staus am Schnelllader. “Mit zunehmender Zahl von E-Autos auf den Straßen ist es aber durchaus möglich, dass sich an einzelnen Standorten an Hauptreisetagen für den einen oder anderen Wartezeiten an den Ladesäulen ergeben könnten”, sagt ein Sprecher. Geraten wird aber auch schon heute zum Blick in die Lade-App oder auf das Fahrzeug-Navi, “um gegebenenfalls auf eine Lademöglichkeit abseits der Hauptroute auszuweichen”.

Wo kann es schwierig werden, wo stehen die meisten Ladesäulen?

“Ich bin gerade in Polen. Eine Reise durch das Land würde ich allenfalls mit einem Tesla wagen”, sagt Antriebs-Experte Bargende. In Norditalien baue der deutsche Energieversorger gerade ein Schnellladenetz auf, “weil es die Italiener selber nicht machen”. Damit die Deutschen mit dem Elektroauto an die Adria fahren könnten, müsse Deutschland also selbst die Infrastruktur dort bauen. 

Europas größter Ladepark - von EnBW errichtet - steht mit 53 Ladepunkten am Kamener Kreuz in der Rhein-Ruhr-Region. Der Grund sind die vielen Niederländer, die dort Strom tanken. “Zurzeit stehen über 60 Prozent der Ladesäuleninfrastruktur in der EU allein in Deutschland, Frankreich und Benelux”, erklärt Bargende.

Der ADAC hat keine verlässlichen Informationen zur Frage, ob es in den Nachbarländern während der Reisezeit zu Wartezeiten an Ladesäulen kommen kann. Allerdings sei in “einigen” Nachbarländern das Ladenetz sogar “wesentlich dichter als in Deutschland”. So gebe es in den Niederlanden “rund viermal so viele Ladepunkte pro 1000 Fahrzeugen”. 

Um Ladenetze im Ausland wirklich nutzen zu können, rät der ADAC, sich vorher bei seinem Ladekarten-Anbieter über die Roamingpartner im jeweiligen Reiseland zu informieren.

Warum sind auf den Autobahnen erst so wenige E-Autos zu sehen?

Der ADAC findet es positiv, dass immer mehr Menschen, die ein E-Auto fahren, dies auch für längere Strecken nutzen. “Reichweitenangst, wie sie in den vergangenen Jahren oftmals diskutiert wurde, ist demnach für viele kein Hinderungsgrund mehr, sich für ein elektrisches Fahrzeug zu entscheiden”, sagt der Sprecher.

Die Realität sieht anders aus, entgegnet der Auto-Professor: “Nimmt man den bisherigen Absatz an rein batterieelektrischen Fahrzeugen in Deutschland wird klar: Die Leute kaufen Stromer zum Pendeln, für urbane Fahrten, und auch nur, wenn sie zu Hause oder im Betrieb laden können.” Der Stromer sei sehr häufig der Zweit- oder Drittwagen. “Das heißt: Für die Urlaubsfahrt ist nach wie vor noch ein Verbrenner vorhanden.”

Nach Überzeugung der Verbraucherzentrale Niedersachsen ist das nicht mehr notwendig. Zumindest entlang der deutschen Autobahnen seien ausreichend Ladesäulen vorhanden. Verbraucherschützer Bernd Rosenthal rechnet vor: “An Schnellladesäulen mit einer Ladeleistung ab 150 kW kann die Batterie - abhängig vom Fahrzeug - in etwa 15 Minuten zu 80 Prozent geladen werden.” Die Reichweitenangst sei “in den meisten Fällen unbegründet”.

Hält das System, wenn sehr viele Menschen elektrisch in den Urlaub fahren?

Das ist eine große Sorge, auch beim ADAC: Ein weiterer Hochlauf der E-Mobilitität könne nur erfolgreich sein, wenn „alle Rahmenbedingungen“ passen. Aber der “hinreichenden Hochlauf von Ladeinfrastruktur findet nach unserer Einschätzung aktuell nicht in dem Maße statt, wie benötigt”, so der Sprecher des Automobilclubs.

Zur Einordnung: Aus einer Zapfsäule sprudeln - EU-weit genormt - 35 Liter Sprit pro Minute. Für eine Reichweite von 900 Kilometern sind bei einem sparsamen Diesel also rund 1,5 Minuten reine Tankzeit notwendig. Ein E-Auto braucht für 900 Kilometer Reichweite in der Regel zwei Schnelllade-Stopps mit ca. 30 Minuten. Für die benötigte Energielieferung wären also - bei einer Vollauslastung der Tankstellen - für eine Zapfsäule 40 Ladepunkte notwendig. Bei einer Tankstelle mit 10 Zapfstellen wären das 400 Ladepunkte!

Der Ampel-Koalitionsvertrag sieht bis 2030 eine Millionen öffentlich zugänglicher Ladepunkte vor. Heute sind es etwa 80.000, und davon sind nur ein Teil Schnelllader. “Es fehlen also 920.000 Ladesäulen“, konstatiert Experte Bargende. “Mehr als eine Verzehnfachung in 7 Jahren? Das ist, vorsichtig ausgedrückt, eine große Herausforderung.”

Also mit Volldampf ins Chaos der E-Mobilität?

Nicht unbedingt. Denn wenig deutet darauf hin, dass in absehbarer Zeit die von der Ampel angepeilten 15 Millionen Elektroautos auch tatsächlich auf die Straßen kommen. “Schon um 10 Millionen im Jahr 2030 zu erreichen, müssten ab sofort etwa 1,3 Millionen Stromer pro Jahr neu zugelassen werden”, erklärt Professor Bargende. “Bei 2,6 bis 3 Millionen Gesamtneuzulassungen pro Jahr in Deutschland wäre dies ab sofort ein Anteil von fast 50 Prozent. Aktuell sind wir bei ca. 15 Prozent. Also wird sich das Problem wahrscheinlich nicht ergeben.”

Und wenn ab 2035 keine Verbrenner-Motoren mehr zugelassen werden?

Schon in 12 Jahren soll Schluss sein mit neuen Diesel- und Benzin-Autos. Nach und nach wird als ein Großteil von den derzeit knapp 50 Millionen Autos in Deutschland elektrisch unterwegs sein. “Wenn tatsächlich 15-20 Millionen E-Autos fahren, wird es chaotisch, wenn nicht auch mindestens eine Million Ladesäulen aufgestellt und ans Stromnetz angeschlossen sind”, so die Prophezeiung des Professors. Und ob stabile Stromnetze, Material, Finanzierung oder Flächen jemals reichen, ist völlig ungeklärt.

Wie sehen klimaneutrale Urlaubsreisen dann in Zukunft aus?

Dass die Bahn zu Stoßzeiten viel mehr Passagiere transportieren kann, scheint absehbar ausgeschlossen. Ebenso, dass Familien statt mit dem eigenen Pkw massenhaft mit Bussen an ihre Urlaubsziele kommen. Und Flugreisen werden für viele unerschwinglich, prognostizieren Zukunftsforscher.

Wenns auch die E-Mobilität nicht leisten kann, was dann? „Aus historischer Perspektive gibt es Urlaubsfahrten noch gar nicht so lange, keine 100 Jahre”, sagt Mobilitätsexperte Bargende. “Das war früher nicht üblich, und vielleicht kehren wir dahin wieder zurück.”

Ein grenzüberschreitender elektromotorischer Massentourismus erscheint ihm jedenfalls schwer vorstellbar. “Das trotzdem zu suggerieren, wird die Politik wahrscheinlich noch einholen.”

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