Russland-Ukraine-Krieg

ECMI-Konfliktforscher Felix Schulte: Moldawien und Bosnien gefährdet

ECMI-Konfliktforscher Felix Schulte: Moldawien und Bosnien gefährdet

ECMI-Konfliktforscher: Moldawien und Bosnien gefährdet

SHZ
Flensburg
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Dr. Felix Schulte ist am Europäischen Zentrum für Minderheitenfragen (Ecmi) in Flensburg Experte für Konfliktforschung und Sicherheitspolitik. Foto: Marcus Dewanger/shz.de

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Der Flensburger Politologe Felix Schulte vom Minderheitenzentrum ECMI erwartet, dass der Russland-Ukraine-Krieg die Instabilität der gesamten Region vergrößern wird. Hier sieht er besondere Gefahren.

Seit Anfang Februar leitet der Politologe Dr. Felix Schulte (32) beim Minderheiten-Forschungs- und Informationszentrum ECMI (European Centre for Minority Issues) in Flensburg den Bereich Konflikt und Sicherheit.

Herr Dr. Schulte, wenn man Sie vor gut zwei Wochen gefragt hätte, wo der nächste Krieg ausbricht: Was hätten Sie geantwortet?

Dass der Ukraine-Krieg aufzieht, war keine pessimistische Sondermeinung. Es gab deutliche Anzeichen.

Russlands Truppenbewegungen haben wir auch gesehen...

Unter Experten wurde das längst diskutiert. Ich war aber überrascht, dass der Angriff sich nicht auf die Ostgebiete Donezk und Luhansk beschränkt.

Waren Politik und Öffentlichkeit zu naiv?

Ja. Man wollte das nicht sehen. Man dachte an einen Blöff von Putin. Aber wenn man sich die ganze Entwicklung und seine Reden ansieht und die Kosten, das ganze Militär zusammenzuziehen, musste man damit rechnen. Russland ist eine Autokratie mit einem aggressiven Diktator. Wenn wir an Georgien denken, Tschetschenien oder Syrien. Wir haben uns einlullen lassen. Wir dachten, die beidseitige wirtschaftliche Abhängigkeit würde Putin vom großen Angriff abhalten.

Hätte man das nach der Krim-Annexion vor sieben Jahren sehen können?

Nach der Krim-Annexion haben sich die Fronten verhärtet. Die Sanktionen haben nicht das Erhoffte gebracht. Spätestens mit dem Einmarsch in Syrien war das klar. Ich will aber nicht sagen, dass die Experten alles wussten. So ist es auch nicht. Es war auch nicht falsch, bis zuletzt alle diplomatischen Register zu ziehen. Wir haben aber militärische Abschreckung als Option vernachlässigt. Das hätte den Angriff vielleicht nicht verhindert, aber die Kosten erhöht.

Trifft der Vorwurf vor allem Deutschland?

Er trifft alle westlichen Länder, aber insbesondere Deutschland als zentrale Macht in Europa. Wir haben uns an manchen Stellen kleiner gemacht als wir sind, gerade was Waffenlieferungen angeht und das militärische Drohpotenzial. Das hätte man vor zehn bis 15 Jahren anders angehen müssen. Vor ein oder zwei Jahren war es zu spät.

Was müsste politisch jetzt passieren?

Nüchtern betrachtet sind uns jetzt die Hände gebunden, bis auf das, was wir jetzt schon machen: Waffenlieferungen und Sanktionen haben den Druck deutlich erhöht. Europa darf nicht den Fehler machen, sich bei der Verteilung von Flüchtlingen auseinanderdividieren zu lassen. Auch politische Signale sind wichtig wie die Frage des EU-Beitritts der Ukraine, obwohl das wenig direkten Einfluss haben wird, da es gerade um die Existenz des Staates geht.

Was erwarten Sie weiter?

Die Instabilität wird jetzt in den Nachbarländern deutlich zunehmen. Wir müssen Moldawien mit Transnistrien im Blick haben, wo das russische Militär schon stationiert ist. Dort müssen wir davon ausgehen, dass etwas passiert in naher Zukunft. Oder auch Bosnien-Herzegowina, wenn man weiß, welches Spiel Serbien spielt.

Ich hätte zunächst an Georgien gedacht oder an das Baltikum.

Das kommt auch noch. Aber Moldawien/Transnistrien geht wohl schneller, weil die Instabilität anders gelagert ist, und auch Bosnien-Herzegowina ist fragil. Im Baltikum gibt es unter dem Schutz von EU und Nato mehr Zugriffsmöglichkeiten, aber auch das müssen wir beobachten.

Sie haben in Schweden gelebt. Wie sehen Sie Schweden und Finnland als EU-Mitglieder, aber Nicht-Nato-Staaten?

Die spielen eine immer wichtigere Rolle, zumal wir auch Flüchtlingsströme aus Russland Richtung Finnland sehen, vor allem von jungen, gut ausgebildeten Russen. Es gibt schon eine enge Kooperation.

Ich kann mir auch vorstellen, dass beide Staaten bald in die Nato aufgenommen werden. Bei Luftraumverletzungen wie vergangene Woche über Gotland muss auch militärische Abschreckung eine Option sein.

Welche Auswirkungen des Kriegs auf die Flüchtlingsströme erwarten Sie?

Aktuell wird von vier Millionen gesprochen. Das ist realistisch. Die Zahlen werden von Tag zu Tag zunehmen, gerade durch die Angriffe auf Kiew. Wir werden große Flüchtlingsströme haben, und die Nachbarstaaten werden es allein nicht schaffen. Es wird hier nicht so eine Polarisierung geben wie damals im Syrien-Krieg, obwohl das Leid der Flüchtenden ja nicht anders ist als in Syrien oder Afghanistan. Uns erscheinen diese Flüchtlinge aber kulturell angeblich näher zu sein.

Das ECMI ist ein Minderheitenforschungszentrum. Welchen Einfluss könnte dieser Krieg auf Minderheiten in Europa haben?

Es geht sicher auch um Roma in der Ukraine. Aber dieser aktuelle Konflikt hat eine ethnonationale Dimension. Russland schreitet unter dem Vorwand ein, die russischsprachige Minderheit in der Ukraine zu schützen. Ich glaube nicht, dass das Auswirkungen auf andere Minderheitenkonflikte in Europa hat.

Der Ukraine-Krieg besteht aus mehreren Konflikten: Seit der Staatsgründung der Ukraine geht es um Minderheiten und Sprachenrechte für die Russen. Es gibt die ukrainische Euromaidan-Protestbewegung, aber auch einen Gegenprotest im Donbass, der den Maidan als antirussischen Protest auffasst.

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