Ukraine-Krieg und die Folgen in SH

Erste Lehrerin aus Ukraine in SH eingestellt

Erste Lehrerin aus Ukraine in SH eingestellt

Erste Lehrerin aus Ukraine in SH eingestellt

SHZ
Norderstedt / Kiel
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Die neue Lehrerin aus der Urkaine: Iryna Mikulska im Lehrerzimmer der Gemeinschaftsschule Harksheide. Foto: Marcus Dewanger Foto: 90037

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Vier Tage dauerte ihre dramatische Flucht aus Kiew: Jetzt ist Iryna Mikulska die erste neu eingestellte Lehrerin aus der Ukraine an einer Schule in Schleswig-Holstein – doch Putins Angriff auf ihr Land lässt sie nicht los

Der Krieg tobt schon eine Woche in und um Kiew, da sagt Iryna Mikulskas jüngerer Bruder diesen einen Satz: „Du musst gehen.“ Doch die 38-Jährige will nicht, will bei ihm und ihrer Mutter in der Wohnung im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt bleiben. Aber ihr Bruder bleibt hartnäckig. „Du musst“, sagt er – und weiß noch nicht, welche dramatische Flucht seine Schwester vor sich hat.


Vier Wochen später steht die junge Frau in der Gemeinschaftsschule Harksheide in Norderstedt – mit einem Arbeitsvertrag bis Ende Juli und einem Gehalt nach deutschem Tarif für ihren Job als Unterstützungslehrerin. In der Hand hält sie einen Strauß mit gelben und lila Blumen. Den hat ihr gerade Bildungsministerin Karin Prien in die Hand gedrückt. „Frau Mikulskas ist die erste Lehrkraft aus der Ukraine, die wir eingestellt haben“, sagt die CDU-Politikerin, die gleich betont, dass Schleswig-Holstein damit zu den führenden Ländern gehöre.

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Prien ist klar, dass Iryna Mikulska nicht die einzige neue Lehrkraft aus der Ukraine bleibt. Ein zweiter Arbeitsvertrag sei bereits unterschrieben, sagt Prien. „22 weitere Bewerbungen liegen vor. Wir gehen davon aus, dass wir pro 1000 neuen Schülern 60 zusätzliche Lehrkräfte brauchen.“ Das Land werde so viel Geld geben, wie dafür nötig sei. 1098 Kinder aus der Ukraine besuchen im Moment schleswig-holsteinische Schulen.

Geschichte einer Flucht

Eigentlich hatte Priens Ministerium nur einen schnellen Fototermin in der Gemeinschaftsschule geplant. Doch dann beginnt Iryna Mikulska ihre Geschichte zu erzählen. Immer wieder muss sie dabei schlucken, und als Zuhörer kann man bei ihrem Bericht nur ahnen, welche Szenen sie dabei mitansehen musste.

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Am Morgen des 24. Februar sei sie aufgewacht wie an jedem Tag und habe sich Kaffee gekocht. „Ich wollte zur Arbeit, da hat meine Mutter gesagt: Du kannst nicht in die Schule, es ist die Krieg.“ Sie habe das nicht glauben können, aber schon kurz darauf verbringt sie die Nächte im Keller oder in den Schächten der Kiewer U-Bahn und hört die Einschläge von Raketen und Bomben. Bis ihr Bruder, dem in der Heimat nach einem überstandenen Beinbruch der Militärdienst droht, sie fast zur Flucht nötigt. „Meine Mutter wollte lieber bei ihm bleiben – die hatte schon so viel Angst, dass ich irgendwo auf der Flucht verloren gehe“, sagt Iryna Mikulska. „Es war eine Tragödie.“


Die junge Lehrerin weiß nicht, auf welchem Weg sie aus dem umkämpften Land herauskommen soll. „In Kiew funktionierte nichts mehr, ich bin stundenlang zum Bahnhof gelaufen.“ Dabei hat sie nur einen Rucksack mit den nötigsten Sachen und die Kleider, die sie am Leib trägt. „Ich bin dann in irgendeinen Zug gestiegen, der Richtung Westen fuhr.“ Der sei voller Menschen gewesen, vor allem viele Frauen und sehr viele Kinder. „Und noch mehr Angst“, sagt Mikulska und muss ein wenig blinzeln.

Vier Tage Flucht durch halb Europa

Vier Tage wird sie am Ende unterwegs sein, mit Bussen und Bahnen über Rumänien, Ungarn, Österreich bis nach Deutschland. „Geschlafen habe ich im Zug“, sagt sie. So gut das eben gegangen sei. Am 6. März kommt sie in Hamburg an, bei ihrer ukrainischen Freundin, die mit einem Deutschen verheiratet ist. Bei den beiden und deren zweijähriger Tochter wohnt Mikulska jetzt. „Es ist eng, aber es geht“, sagt sie – und hofft doch auf ein eigenes Zimmer und ein bisschen mehr Zeit für sich – auch um zur Ruhe zu kommen.

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Denn das Erlebte hat sie erkennbar noch nicht verarbeitet. Auf der Flucht sei sie immer verpflegt worden, erzählt sie. Die Hilfsbereitschaft sei hoch. Mikulska zupft an ihrem Pullover und sagt: „Das habe ich alles geschenkt bekommen.“ In Deutschland habe sie vom Staat eine Telefonkarte fürs Handy erhalten, damit sie mit ihren Verwandten in der Heimat Kontakt halten kann. Über den Job in der Schule ist sie dankbar. „Ich bin dankbar dafür, dass diese Lehrkräfte zu uns an die Schule kommen“, sagt hingegen Karin Prien. „Sie bringen ihre Erfahrungen von Flucht aus einem Kriegsgebiet mit und können die Brücke sein zwischen den geflüchteten Kindern und Jugendlichen und der neuen noch fremden Schulumgebung.“


Das will Iryna Mikulska versuchen, die schnell Kontakt in der Schule in Schleswig-Holstein gefunden hat. 16 ukrainische Schüler besuchen dort mittlerweile den Unterricht. „Ich bin die Übersetzerin“, sagt Mikulska. Denn sie könne außer „Entschuldigung“ und „Impfung“ noch keine deutschen Wörter, aber weil sie in der Ukraine Englisch-Lehrerin war, kann sie den Neuankömmlingen erklären, was in der Gemeinschaftsschule besprochen wird.

Worüber die Kinder nicht sprechen

„Sie fühlen sich wohl hier“, sagt Mikulska – aber wenn man sie fragt, was die Kinder erlebt haben, zuckt sie mit den Achseln und erklärt, dass sie nicht darüber sprechen. „Wenn die Kinder mir etwas erzählen wollen, können sie das, aber sie brauchen wohl noch Zeit“, sagt Mikulska. „Ich will aber nicht nur Lehrerin, ich will auch eine Freundin sein.“ Nur eine Psychologin ist sie eben nicht. Dass die Kinder im Alter zwischen 9 und 15 Jahren die wohl zusätzlich bräuchten, zeige sich, wenn im Unterricht Begriffe aus dem Krieg fallen – dann müsse das eine oder andere Kind weinen. „Ich weiß, wie sie sich fühlen“, sagt Mikulska. „Ich kenne das auch.“


Täglich telefoniert sie mit ihrem Bruder und ihrer Mutter, die immer noch in Kiew sind. Die Angst schwingt bei jedem Telefonat mit. „Ich hoffe, dass unser Haus, unsere Wohnung heil bleiben, dass meine Familie gesund bleibt“, sagt Mikulska. Denn sie will ihre Familie nach Norderstedt holen. „Aber das ist unmöglich.“ Oder so schnell wie möglich in ihre Heimat zurück. Doch dafür müsse der Krieg aufhören, sagt sie und blickt auf den Blumenstrauß, den sie immer noch in den Händen hält. „Ich hoffe einfach nur auf Frieden.“

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