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Filtersystem aus Menschenhaar: Kieler Start-up gewinnt Innovationspreis

Filtersystem aus Menschenhaar: Kieler Start-up gewinnt Innovationspreis

Filtersystem aus Menschenhaar: Kieler Start-up gewinnt Preis

Inga Gercke/shz.de
Kiel
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Janine Falke nutzt die Haare aus ihrem Friseursalon, um daraus Haarmatten herstellen zu lassen. Die sollen zukünftig als Filter in Gullys eingesetzt werden. Foto: Anne Juka

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Bei Friseurmeisterin Janine Falke kommen abgeschnittene Haare nicht in den Restmüll, sondern in den Gully – als Filter. Das Kieler Start-up FettFressHair will Gewässer ölfrei machen. Das ist die Idee.

Wie passen ein Friseurbesuch und Umweltschutz zusammen? „Das passt total gut”, sagt Janine Falke, Friseurmeisterin aus Kiel. Für ihr Start-Up FettFressHair wurde die 38-Jährige am Dienstag durch die Bundesregierung als Kultur- und Kreativpilotin Deutschland ausgezeichnet. Mit ihrem Projekt will Falke helfen, Gewässer von Öl zu befreien.

Einerseits lieben Haare Fett, sie saugen Öle regelrecht auf. „Ein Gramm Haare soll bis zu 0,84 Gramm Rohöl aufnehmen können“, sagt sie. Anders gesagt: ein dreiviertel des eigenen Volumens.

Andererseits kommen Öle auch immer öfter in Gewässern vor – durch Umweltkatastrophen oder Straßenverschmutzungen beispielsweise. Öle, Kraftstoffe oder der Gummiabrieb von Autoreifen gelangen so über Gullys ins Abwasser, „oder direkt ins Regenrückhaltebecken. Man sollte sich wundern, wie wenig Filter es gibt. Und wenn, dann sind sie meist synthetisch.“

Haarmatten als Filtersystem

Der Plan: aus abgeschnittenen Haaren Filtermatten herstellen. Die sollen zukünftig in Gullys oder anderen Stellen eingesetzt werden, um dort Öle und andere Schadstoffe aus dem Wasser zu filtern. Doch noch sind die Matten nicht serienreif, erst im Lockdown wurde die Idee spruchreif. 

„Wir mussten dann erst einmal jemanden finden, der uns diese Matten herstellt“, sagt sie. Falke fragte bei der Firma Groz-Beckert, die sich auf Maschinennadeln und Fügung textiler Flächen spezialisiert hat, an. Ob sie schon einmal Menschenhaar verarbeitet hätten? Hatten sie nicht, fanden die Idee aber gut. So entstanden die ersten Matten. Einige Prototypen seien schon in Kiel im Einsatz, so Falke.

Wirtschaftlich sei das Projekt noch nicht, „aber ich bin sehr optimistisch“. Der nächste Schritt ist die Materialprüfung. Kostenpunkt: 3600 Euro. „Noch machen wir das alle ehrenamtlich“, so die Initiatorin.

Mit „wir“ meint sie Freunde und Familie, alle packen mit an. Den Rohstoff für die Matten, die Haare, kommen aus 30 Friseursalons aus Kiel. Einer holt die Haare ab, jemand anders kümmert sich um administrative Aufgaben, Lagerungen, Versicherungen et cetera – „da steckt echt viel Arbeit drin.“ Sie sagt aber auch: „Dadurch, dass ich so begeistert von dem Projekt bin, kann ich nicht aufhören.“

Die anstehende Materialprüfung ist wichtig für das Start-up, „damit Haare in die Liste der offiziellen Öl-Aufnehmer aufgenommen werden“, erklärt sie. Außerdem solle die Prüfung genau festlegen, wie viel Gramm die Haare tatsächlich aufnehmen. Die Berechnung ist auch wichtig, um das genaue Aufnahmevolumen herauszufinden. Denn offizielle Zahlen stammen bisher nur von den eigentlichen Erfindern.

Vorreiter sind „Matter of Trust“ und die „Coiffeurs Justes“

Die Idee ist nämlich nicht neu und stammt ursprünglich von der Organisation „Matter of Trust“ aus Amerika, in Europa machen es die „Coiffeurs Justes“ aus Frankreich. Das Neue an FettFressHair ist: „Die anderen beziehen ihre Haare aus der ganzen Welt. Wir denken Nachhaltigkeit regional“, sagt sie. „Wir haben aber schon Anfragen aus ganz Deutschland“, sagt sie. „Aber die Frage ist ja: Wie macht Nachhaltigkeit wirklich Sinn? Da spielt Regionalität eine große Rolle“, so die 38-Jährige.

Grundsätzlich könne jedes Haar für die Produktion der Matten genutzt werden. Einzige Voraussetzung ist, dass die Haare gewaschen sein müssen. „Das soll ja nicht schon fettig zum Einsatz kommen“, sagt sie. Aktuell werde noch geprüft, inwiefern Haare eventuelle Seifenrückstände oder andere Stoffe absondern. Je nach Einsatzort sei das wichtig zu wissen, so Falke. „Da muss man gucken, ob die Matten beispielsweise im Garten- und Landschaftsbau oder in Stadt-Gullys eingesetzt werden.“ Auch als Dämmmaterial könnten die Matten irgendwann eingesetzt werden. „Wir haben noch viele Ideen“, sagt Janine Falke.

Kompressionsstrümpfe werden zu Öl-Schlängeln

Doch die Haarmatten sind nicht die einzige Idee von FettFressHair. Sogenannte Schlängel sind bereits im Einsatz. Das sind mit Haaren befüllte Kompressionsstrümpfe. „Die Strümpfe erhalten wir von lokalen Sanitätshäusern. Die haben nämlich ein Verfallsdatum und würden sonst entsorgt werden. Somit recyceln wir gleich zwei Abfallprodukte“, sagt sie. Schwängel können zum Beispiel in Häfen zum Einsatz kommen, „wo eigentlich immer kleine Verunreinigungen sind.“ Damit die Schwängel an der Oberfläche treiben, sind sie mit Korken bestückt – noch ein Abfallprodukt, welches wiederverwendet wird.

Nun fiebert das Team von FettFressHair auf das Ende des Monats hin. Dann nämlich werden die Sieger des Kultur- und Kreativpiloten-Projekts, einem Wettbewerb der Bundesregierung, verkündet. Das Start-up verspricht sich bei einem Sieg weiteren Kontakt in die Szene, um ihre Vision einer sauberen Zukunft weiter voranzutreiben. Eine Sache ist aber bereits sicher: „Die Kunden finden es großartig, was noch mit ihren Haaren passiert.“

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