Krieg in der Ukraine

Französische Botschafterin: Europa braucht gemeinsame Rüstungsprojekte

Französische Botschafterin: Europa braucht gemeinsame Rüstungsprojekte

Botschafterin: Europa braucht gemeinsame Rüstungsprojekte

SHZ
Kiel
Zuletzt aktualisiert um:
In Kiel zu Besuch: Die franzöische Botschafterin Anne-Marie Descôtes. Foto: Marcus Dewanger/shz.de

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Die französische Botschafterin in Deutschland, Anne-Marie Descôtes, über Wladimir Putin, den Krieg in der Ukraine und europäische Rüstungsprojekte.

Frau Descôtes, was führt Sie nach Kiel?

Seit zwei, drei Monaten versuche ich wieder, meine regelmäßigen Besuche in den Länderparlamenten zu machen, um die Prioritäten der französischen EU-Ratspräsidentschaft zu erläutern. Eigentlich wollte ich sogar noch nördlicher reisen, bis nach Flensburg, aber leider kamen andere Termine dazwischen.

Welche Prioritäten werden denn während der französischen Ratspräsidentschaft gesetzt?

Wichtig ist für uns die strategische Souveränität Europas, nicht nur in der Verteidigung und Sicherheit. Wir wollen eine größere und stärkere Handlungsfähigkeit insgesamt für die EU. Aber jetzt hat sich der Akzent natürlich deutlich in Richtung Verteidigung und Sicherheit verschoben.

Wegen Putins Krieg in der Ukraine.

Genau. Und es ist bemerkenswert, wie geeint und entschlossen sich die EU seit Monaten in dieser Angelegenheit zeigt.

Endlich mal wieder.

Ja, absolut und unter dem Druck der Umstände. Aber auch beseelt von einem Gefühl der Verantwortung, wie Präsident Macron es ausgedrückt hat. Wir müssen jeden Tag weiter an unserer Verteidigung arbeiten, in dieser Frage sind sich wirklich alle EU-Mitglieder einig.

Wie sieht Ihr Beitrag als Botschafterin aus?

Ich höre zu, was man in den Landtagen denkt und in den Regierungen der Bundesländer. Wie denkt man über die wichtige Rede von Bundeskanzler Scholz, in der er von einer Zeitenwende gesprochen hat? Und wir haben natürlich mit großer Aufmerksamkeit darauf geschaut, wie sich der Vizekanzler Habeck zu diesen strategischen Entscheidungen verhält. Ich versuche zu ergründen, ob das Land hinter dieser Entscheidung des Kanzlers steht. Und wie geht es jetzt weitergehen kann in Europa.


Und wie geht es weiter?

Das kann leider niemand beantworten, weil niemand weiß, wann dieser Krieg aufhört und wie groß die Veränderungen sind, die er mit sich bringt. Aber sicher ist, dass die EU eine neue Verteidigungskapazität bekommen wird.

Eine eigene oder jedes Land für sich?

Nein, schon eine gemeinsame. Das heißt nicht, dass wir uns von der Nato abkoppeln wollen, es geht vielmehr um eine gewisse Autonomie.

Finden das alle Nato-Partner gut?

Nun, die Amerikaner versuchen immerhin seit Jahren, uns davon zu überzeugen, dass wir mehr für unsere Verteidigung tun müssen. Und wenn Europa eine gemeinsame Verteidigungsstrategie haben will, darf nicht jeder seine eigenen Systeme entwickeln. Dann müssten wir die Rüstungsunternehmen nicht mehr als Wettbewerber untereinander betrachten, sondern diese unter einem gemeinsamen Ziel zusammenbringen, nämlich schneller, billiger und effizienter zu produzieren. Das machen Frankreich und Deutschland schon mit dem großen Rüstungsprojekt FCAS, das viel mehr ist als ein Flugzeug.

Trotzdem kauft Deutschland erst einmal amerikanische Flugzeuge, was nicht jeder in Frankreich für eine richtig gute Idee hält.

Die Entscheidung für die F-35 hat uns nicht überrascht, darüber wird schon seit einigen Jahren gesprochen.

Die Entscheidung die F-35 jetzt zu kaufen, hängt allerdings unzweifelhaft mit dem Krieg in der Ukraine zusammen.

Ja. Aber Olaf Scholz hat auch klargestellt, dass dieser Kauf nichts an den geplanten Projekten mit Frankreich ändert. Es ist sehr wichtig, dass er darauf eingegangen ist.

Aber ist es eine gute Strategie, wenn man anlassbezogen militärisches Gerät kauft, zumal Deutschland ja von den Nato-Partnern schon lange aufgefordert worden ist, wie versprochen zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts in die Verteidigung zu investieren?

Der Krieg in der Ukraine hat diese Entscheidung vielleicht etwas beschleunigt, aber sie stand auch schon vorher an. Und wir wollten nie eine ideologische Diskussion über diese zwei Prozent führen, sondern lieber über gemeinsame strategische Interessen sprechen, die ja auch die Interessen der europäischen Partner sind. Ich meine etwa Deutschlands Präsenz an unserer Seite in der Sahelzone, weil es auch dort um die Sicherheit Europas geht.

Das klingt jetzt sehr diplomatisch.

Wir müssen in dieser Krisensituation eben sehr pragmatisch sein und nicht nur sagen: Jetzt bedarf es einer militärischen Kraftanstrengung in Europa.

In Deutschland hat das aber gerade genau auf diese Weise funktioniert.

Ja, aber in Deutschland hängt es vom Bundestag ab, bei uns ist es der Präsident, der entscheidet. Wir haben es mit 27 Mitgliedsstaaten zu tun und wir müssen mit diesen verschiedenen Systemen leben, zumal viele Länder auch schon bilaterale Kooperationen eingegangen sind. Wichtig ist jetzt, dass wir in der Analyse der Herausforderungen zu den gleichen Ansichten kommen. Da hat es durch Russland bei einigen Partnern gewisse Anpassungen gegeben. Und deshalb wird die Zusammenarbeit noch intensvier sein, auch in der Frage der Ausrüstung und bei der Waffenentwicklung. So wie beim deutsch-französischen-spanischen Flugzeugprojekt und dem deutsch-französischen Panzerprojekt MGCS.

Hält dieses Vorhaben auch dann noch, wenn es einen Frieden in der Ukraine gibt und Europa ganz allmählich wieder auseinanderrückt?

Diesbezüglich habe ich keine Sorge, weil ich denke, dass die Krise, die der Krieg ausgelöst hat, noch langanhaltende Konsequenzen nach sich ziehen wird. Wenn wir diesen Druck tatsächlich für eine europäische Zusammenarbeit brauchen, kann ich nur sagen: Er ist da – und er wird in nächster Zeit nicht abnehmen. Selbst wenn heute der Krieg aufhören würde, dann stünden wir immer noch vor einer Welt, die eine andere geworden ist. Und die Beziehung mit Russland wäre auch dann noch lange eine ganz andere.

Mehr lesen