Blick aus Kiel auf Ukraine-Krieg

Gebürtiger Ukrainer Sergej Strakhov: „Der Westen hat die Augen geschlossen“

Gebürtiger Ukrainer Sergej Strakhov: „Der Westen hat die Augen geschlossen“

Strakhov: „Der Westen hat die Augen geschlossen“

SHZ
Kiel / Kiew
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Sergej Strakhov ist in der Ukraine aufgewachsen und lebt seit 1999 in Deutschland. Foto: Privat/shz.de

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Alle Ukrainer seien entsetzt, aber die Männer seien fest entschlossen, das Land gegen Putins Russland zu verteidigen. Sogar über 60-Jährige melden sich freiwillig zum Militär, so der Kieler.

Sergej Strakhov (65) lebt seit 1999 in Deutschland. Der gebürtige Ukrainer arbeitet als Technischer Übersetzer in Kiel. Strakhov spricht nicht nur Deutsch, Russisch und Ukrainisch, sondern auch Polnisch und Englisch. Strakhov hat Familie und Freunde in der Region Lwiw in der Westukraine, in Kiew und Odessa und in Charkow im Osten. Als er am Mittwochabend ein Gespräch für Donnerstag zusagt, kann er noch nicht wissen, dass in der Ukraine Krieg herrscht.

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Strakhovs Schwager wohnt in einer Kleinstadt 70 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt. Da es in der Stadt Militär gibt, sei sie auch schon bombardiert worden, berichtet der Kieler. „Er ist 61 Jahre alt und hat sich zur Musterung gemeldet.“ Der Schwager, ein früherer Unteroffizier, wolle einberufen werden, um die Ukraine zu verteidigen. „Der Militärflugplatz ist zerstört, aber sie sind alle entschlossen zu kämpfen.“


Alle Ukrainer seien entsetzt, aber zumindest die Männer seien fest entschlossen, das Land zu verteidigen. Die Ukrainer hätten bereits Kampfflugzeuge und Helikopter abgeschossen. „Ich bin der Meinung, dass das nicht nur ein russisch-ukrainischer Krieg ist. Das ist der erste Tag des dritten Weltkriegs.“

In Kiel in der Deutsch-Ukrainischen Gesellschaft engagiert

Strakhov engagierte sich in Kiel in der Deutsch-Ukrainischen Gesellschaft, einer kleinen, aber aktiven Gemeinschaft, die sich zum Beispiel für medizinische Hilfe schwer erkrankter ukrainischer Kinder einsetzt. Hat sich für ihn der Krieg angekündigt? Nach Putins Rede vor drei Tagen sei es keine Überraschung mehr gewesen. Denn für Putin sei die Ukraine kein Land und die Ukrainer kein Volk. „Putin möchte unser Land mit seiner eigenen Kultur, Geschichte und Sprache zerstören.“

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Manche Ukrainer glaubten, Deutschland könne mehr tun. „Nicht einmal ehemalige DDR-Haubitzen aus Litauen durften an die Ukraine verkauft werden.“ Seinerzeit seien die Ukrainer entsetzt gewesen. Jetzt, sagt Strakhov, gefalle ihm aber die starke Reaktion der Deutschen mit dem Stopp der Gaspipeline Nordstream 2 und dem totalen Embargo auf russische Exporte. „Anders geht es nicht. Putin hängt stark von westlichen Finanzmärkten ab, weil Russland außer Kohle, Erdöl und Gas so gut wie nichts produziert.“

Natürlich hätten sich die Ukrainer gewünscht, dass der Westen schon 2008 nach dem Angriff Georgien und 2014 bei der Annexion der Krim eingegriffen hätte. „Der Westen hat die Augen geschlossen.“ Und nun wolle Putin das Zarenreich wieder aufbauen samt Polen, den baltischen Staaten und Finnland.


Die ukrainische Armee und die Bevölkerung seien aber sehr motiviert. Ob das bei den russischen Soldaten, die einen ungerechten Krieg führen müssten, auch so sei, wisse er dagegen nicht. Sergej Strakhov: „Von meinen Freunden, die alle älter als 40 Jahre alt sind, hat keiner vor zu fliehen.“

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In Kiel wollen Strakhov und seine Freunde am Sonnabend auf die Straße gehen, um gegen Putins Krieg in der Ukraine zu kämpfen.

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