Schleswig-Holstein

Gehören Insekten auf den Teller?

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Gehören Insekten auf den Teller?

Heike Wells/shz.de
Schleswig-Holstein
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Frittierte Grillen werden auf dem Udong-Markt in Kambodscha angeboten. Foto: dpa

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Sind essbare Insekten das Nahrungsmittel der Zukunft für den Menschen oder ist die Idee, die Krabbeltiere als Proteinquelle und Fleischersatz zu nutzen, ein Irrweg? Ein Pro und Contra. 

Welche Tiere als Lebensmittel gelten (dürfen), dazu gibt es in verschiedenen Weltregionen und Kulturen unterschiedliche Auffassungen. Seit einiger Zeit sind, was die Eignung als Nahrungsmittel für den Menschen angeht, Insekten in den Fokus geraten. Sind Würmer, Heuschrecken und Co. die Proteinquellen der Zukunft, können sie gar das weltweite Ernährungsproblem lösen?

Grillen oder Mehrwürmer essen – da mag es manchen Europäer erst einmal schütteln. Doch in etlichen Teilen der Welt, unter anderem in China, Australien, etlichen Ländern Afrikas und Südamerikas gelten Insekten als Delikatesse oder sind gar Bestandteil der Alltagskost. „Weltweit dienen die Krabbeltiere laut Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) bereits zwei Milliarden Menschen als Nahrungsquelle“, weiß man bei der Verbraucherzentrale.

Die Argumente der Befürworter

Und tatsächlich können Befürworter etliche Argumente für den Einsatz ins Feld führen. Danach sind Insekten eine nachhaltige Proteinquelle, deren Produktion vor allem im Vergleich zu Fleischerzeugnissen wenig Ressourcen verbraucht. Sie seien außerdem gute Futterverwerter mit einer ebenfalls guten ökologischen Bilanz.

Angesichts der wachsenden Weltbevölkerung und der Probleme mit der Massentierhaltung könnten Insekten eine dauerhafte Alternative zur umweltbelastenden Fleischproduktion oder gar die Lösung des weltweiten Ernährungsproblems sein. „Mit Proteinen aus Insekten ließe sich die Weltbevölkerung klimaschonend sattbekommen“, meldete kürzlich das Nachrichtenmagazin Spiegel. Wegen ihres hohen Gehalts an Eiweiß, Mineral- und Ballaststoffen sowie Vitaminen seien die Tierchen zudem gesund – und lecker. „In New York, Welthauptstadt der kulinarischen Avantgarde, sind Insekten bereits das neue Trend-Essen“, heißt es im Vorwort des im Kosmos-Verlag erschienenen „Insekten-Kochbuchs“.

Kritiker warnen dagegen vor diesem Trend, aus unterschiedlichen Gründen. Da ist zunächst der Tierschutz. Denn auch Würmer und andere Krabbeltiere seien leidensfähige Lebewesen. „Entgegen vieler Mythen reagieren Insekten wie Fruchtfliegen auf Schmerzen, ausgelöst durch extreme Hitze, Kälte oder körperliche Qualen auf dieselbe Weise wie wir Menschen“, so die Tierrechtsorganisation Peta.

Tierschutz und das Problem Massenzucht

Der Deutsche Tierschutzbund rät in einem Positionspapier ebenfalls von der insektenbasierten Ernährung ab: „Auch wenn die menschliche Empathie Insekten gegenüber geringer sein mag als bei Wirbeltieren: Es gibt keinen Grund, am Schmerzempfinden der Insekten zu zweifeln“, wird die Tierschutzbund-Fachreferentin Nina Brakebusch zitiert. In der industriellen Haltung ließen sich jedoch Verletzungen, Quetschungen und Amputationen angesichts der schieren Zahl der Individuen nicht vermeiden, eine artgerechte Haltung von Mehlwürmern, Grillen und Co. als Nutztiere daher „unmöglich“.

Genau diese Haltungsbedingungen sind ein weiterer Aspekt der Kritik. „Jede Art der Massenzucht endet darin, dass Medikamente und Gifte gegen Keime und Krabbler eingesetzt werden müssen“, gibt etwa der Insektenexperte Mark Benecke im Interview mit der Online-Plattform „Utopia“ zu bedenken. „Die Folge: Die Umwelt drumherum stirbt ab.“

Benecke gehört zu den größten Skeptikern, was die Idee der Insektenzucht für den menschlichen Verzehr angeht. Diese lenke ab vom eigentlichen Problem – „der zehntausendfach wissenschaftlich beschriebenen Natur-Netz-Zerstörung“. Angesichts des anhaltenden Verlustes von Arten und Biodiversität sowie der Klimakrise ist es nach seiner Überzeugung unverzichtbar, dass Menschen ihre Ernährung konsequent auf pflanzliche Quellen umstellen.

Europa: Gefriergetrocknete Insekten online ordern

Aber wie ist überhaupt der Stand der Dinge in Sachen essbare Insekten? Schauen wir auf Europa: Ob und welche Insekten überhaupt zu Nahrungsmitteln für den Menschen gehandelt und eingesetzt werden dürfen, ist hier und damit auch in Deutschland durch Gesetze geregelt.

Grundsätzlich könnten Lebensmittel zwar ohne vorherige Zulassung in den Verkehr gebracht werden, heißt es dazu beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Eine Ausnahme bilden jedoch sogenannte neuartige Lebensmittel (Novel Foods), zu denen auch essbare Insekten zählen. Sie müssten einer gesundheitlichen Bewertung unterzogen werden, bevor sie in Verkehr gebracht werden dürfen.

Genauer geregelt ist dies in der Novel-Food-Verordnung der EU. Danach muss „vor der Vermarktung jeweils eine Zulassung bei der Europäischen Kommission beantragt werden. Alternativ kann ggf. auch eine Meldung als traditionelles Lebensmittel aus einem Drittland erfolgen“, so das BVL auf seiner Website. Aktuell zugelassen sind den Angaben zufolge das Heimchen (Acheta domesticus, eine Grillenart), die Wanderheuschrecke (Locusta migratoria), der Mehlwurm (Tenebrio molitor, Larve des Mehlkäfers) sowie der Buffalowurm, (Alphitobius diaperinus, Larve eines Getreideschimmelkäfers).

Die entsprechenden Produkte werden meist gefriergetrocknet über das Internet vertrieben, sollen in Ländern wie Frankreich, Belgien und den Niederlanden auch in Supermärkten erhältlich sein. In Deutschland dagegen ist das Angebot im stationären Handel laut Verbraucherzentrale „bislang sehr gering“.

Wirtschaftsfaktor essbare Insekten

Längst gelten essbare Insekten auch als Wirtschaftsfaktor. So gibt es auch in Deutschland einige Vorreiter, die entsprechende Produkte auf den Markt gebracht haben – bisher allerdings mit übersichtlicher Resonanz in Verbraucherkreisen.

Schon 2018 etwa hat das Unternehmen „Bugfoundation“ auf der Landwirtschaftsmesse Grüne Woche in Berlin einen Insektenburger mit gemahlenen Buffalowürmern vorgestellt. Informationen des Portals „Insektenwirtschaft“ zufolge gibt es bundesweit diverse weitere Start-Ups, die ganze oder in Produkten wie Nudeln oder Snacks verarbeitete Insekten anbieten.

In der westlichen Welt würden essbare Insekten in naher Zukunft allerdings wohl kaum zum Mainstream werden, heißt es in einem Überblick zum Thema auf dem globalen Statistik-Portal „statista“. In anderen Teilen der Welt sei ein entsprechender Markt jedoch „eindeutig vorhanden und das Expansionspotenzial ist enorm“. Das globale Markvolumen für 2023 wird dort, unter Berufung auf die Heinrich-Böll-Stiftung, auf knapp 1,2 Milliarden US-Dollar veranschlagt.

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