NS-Opfer aus Flensburg

Die Geschichten hinter den Stolpersteinen – aufgeschrieben von Bernd Philipsen

Die Geschichten hinter den Stolpersteinen

Die Geschichten hinter den Stolpersteinen

SHZ
Flensburg
Zuletzt aktualisiert um:
Autor Bernd Philipsen vor dem Haus Norderstraße 27/29. Hier lebte die Familie Löwenthal. Foto: Marcus Dewanger

Diesen Artikel vorlesen lassen.

28 kleine Messingtafeln erinnern an Flensburger, die dem NS-Regime zum Opfer fielen. Jetzt sind ihre Lebensgeschichten nachzulesen.

Sie glänzen im Sonnenschein und glitzern im Regen. Sie sind unauffällig und doch nicht zu übersehen: Die 28 Stolpersteine, kleine Gedenktafeln aus Messing, die verteilt im Flensburger Stadtgebiet ins Gehwegpflaster eingelassen sind.

Sie erinnern an 28 Flensburger Opfer des NS-Regimes und sind damit Teil eines europaweiten Projektes, das der Bildhauer Gunter Demnig 1992 ins Leben rief.

Inzwischen gibt es mehr als 75.000 Stolpersteine allein in Deutschland und weitere in zahlreichen anderen europäischen Ländern.

Weiterlesen: Stolpersteine in Schleswig-Holstein – die Geschichte dahinter

Auf den Steinen lesen die Passanten die Namen und die Lebensdaten der Menschen, die von den Nazis ermordet wurden und einst genau dort lebten, wo jetzt die Stolpersteine liegen.

Wer waren diese Menschen? Das verraten die Steine nicht. Wer in der Norderstraße am Haus mit der Nummer 27/29 vorbeikommt, liest zwar am Boden die Namen von Emil und Johanna Löwenthal und dass sie in Auschwitz und in Theresienstadt ermordet wurden, nicht aber, dass sie hier ein Möbelhaus betrieben oder dass sie die Großeltern des bekannten ZDF-Journalisten Gerhard Löwenthal (1922-2002) waren.


Wer das und mehr wissen möchte, kann es jetzt dennoch nachlesen. Der Journalist Bernd Philipsen hat ihre Geschichten aufgeschrieben. Philipsen, ein früherer Redakteur des Flensburger Tageblatts, ist ein ausgewiesener Kenner des jüdischen Lebens im nördlichen Schleswig-Holstein.


So kam Elena Sokolovsky, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Flensburg, auf ihn zu, als die Gemeinde die Möglichkeit erhielt, vom Verein „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ Geld für ein Buchprojekt zu erhalten.

Weiterlesen: Leo Fertig, Lilly Wolff, Emil Löwenthal – Erinnerung an zerstörte Leben

Sokolovsky und Philipsen waren sich einig, dass das Buch nicht nur den jüdischen NS-Opfern gewidmet sein sollte, sondern auch allen anderen Menschen, die unter dem NS-Terror ihr Leben lassen mussten und an die heute mit Stolpersteinen erinnert wird. „Denn das Verbrechen der Nationalsozialisten war ein Verbrechen an der gesamten Menschheit“, schreibt Elena Sokolovsky im Vorwort zu dem Buch, das nun erschienen ist.

Auch interessant: Jüdische Gemeinde: „Flensburg ist eine ungewöhnliche Stadt, hier gibt es kaum Antisemitismus“

So erinnert das Buch zum Beispiel auch an Emil Jessen (1906-1944), dessen Stolperstein im Junkerhohlweg in der Neustadt liegt und der im Krieg als überzeugter Kommunist ins berüchtigte „Strafbataillon 999“ eingezogen wurde.

Kommunisten, Psychiatrie-Patienten, Homosexuelle

Oder an Johanne Marie Ebsen (1881-1944), die in der Rathausstraße lebte, wo ihr Mann Direktor des Postamtes war. Sie kam wegen einer „Eifersuchtsneurose“ in die geschlossene Psychiatrie nach Schleswig, von wo sich mit mehr als 700 anderen Psychiatrie-Patienten nach Meseritz-Obrawalde deportiert und dort ermordet wurde. Ihr Mann hatte sich da schon längst von ihr scheiden lassen und seine 25 Jahre jüngere Sekretärin geheiratet.

Oder Gustav Schreiber (1904-1945) aus dem Holm, den die Baufirma, bei der er beschäftigt war, ins von deutschen Truppen besetzte Norwegen geschickt hatte. Er wurde verhaftet, weil er dort einen jungen Mann bei sich wohnen ließ. „Von Natur aus homosexuell veranlagt“, stellte das Militärgericht fest. Gustav Freitag starb im Strafgefangenenlager Börgermoor im Emsland.

Am Ende des Buches befindet sich ein Stadtplan, in dem die Standorte aller Stolpersteine rot markiert sind.

  • Bernd Philipsen: „Stolpersteine in Flensburg. Ein Wegbegleiter zu Mahnmalen für NS-Opfer“. Das Buch ist nicht im Buchhandel erhältlich, sondern ausschließlich über die Jüdische Gemeinde Flensburg zu beziehen (Friesische Straße 81, Hinterhof, E-Mail jgflensburg@gmail.com, Telefon 0461/8405116)
Mehr lesen