„Verschickungskinder“ auf Inseln

Gewalt in Ex-Kinderkurheim auf Sylt: DAK entschuldigt sich

Gewalt in Ex-Kinderkurheim auf Sylt: DAK entschuldigt sich

Gewalt in Ex-Kinderkurheim auf Sylt: DAK entschuldigt sich

Nils Leifeld
Sylt
Zuletzt aktualisiert um:
Das ehemalige Haus Quickborn in Westerland. Foto: syltpicture/shz.de

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Die Krankenkasse DAK-Gesundheit hat die Geschichte von „Kinderkuren“ in der Nachkriegszeit aufgearbeitet und dabei kürzlich um Entschuldigung für Missstände in den eigenen Heimen gebeten. Die DAK betrieb einst drei eigene Kinderkurheime:...

Die Krankenkasse DAK-Gesundheit hat die Geschichte von „Kinderkuren“ in der Nachkriegszeit aufgearbeitet und dabei kürzlich für Missstände in den eigenen Heimen um Entschuldigung gebeten. Die Kasse unterhielt jahrelang drei eigene Kinderkurheime. Eines davon auf Sylt: das Haus Quickborn in der Norderstraße in Westerland. Die anderen beiden Heime waren das Haus Schuppenhörnle im Schwarzwald und das Haus Hamburg in Bad Sassendorf (NRW).

„Verschickungskinder“ der Nachkriegszeit

Wie die Krankenkasse Ende April in Berlin mitteilte, hätten viele „Verschickungskinder“ von den 1950er Jahren an bei mehrwöchigen Aufenthalten in Heimen und Kliniken unter Einsamkeit, Heimweh und strengen Erziehungsmethoden gelitten. Des Öfteren sei auch von körperlicher Gewalt und Demütigungen sowie vereinzelt von sexuellen Übergriffen berichtet worden. Die DAK stellte dazu eine Studie vor.

Das Haus Quickborn geriet zuletzt im Jahr 2010 in die Schlagzeilen, als ein damals Elfjähriger, der dorthin zur Kur geschickt worden war, mehr als zwei Wochen lang sexuellen Übergriffen und Schlägen von anderen Jungen im Alter zwischen neun und 12 Jahren aus seiner Gruppe ausgesetzt war. Nach dem Aus als Kinderkurheim wurde das Haus Quickborn zur Fachklinik. Anschließend stand es ein paar Jahre leer. Im Jahr 2015 wollte Ex-Bürgermeisterin Petra Reiber das Gebäude beschlagnahmen. Letztlich scheiterten diese Pläne jedoch an zu hohen Kosten und kommunalpolitischen Widerständen. 

DAK enschuldigt sich für Missstände

Zur vorgestellten Studie über die Missstände in den ehemaligen Kinderkurheimen sagte DAK-Vorstandschef Andreas Storm: „Die dokumentierten Missstände in Kinderkurheimen sind mit unseren Werten in keiner Weise vereinbar.“ Es sei ihm ein tiefes Bedürfnis, alle von Herzen um Entschuldigung zu bitten, die in den Kuren Leid erfahren hätten. Bundesweit gab es den Angaben zufolge zehn Millionen „Verschickungskinder“, darunter bis zu 450 000 bei der DAK versicherte.

Im Auftrag der DAK erstellte der Bielefelder Historiker Hans-Walter Schmuhl eine Studie, in der die Geschichte der Verschickungskinder erstmals umfassend aufgearbeitet wird, wie es hieß. Schmuhl sagte, ein Ineinandergreifen struktureller Faktoren, pädagogischer Vorstellungen und des Kinderkurkonzeptes habe einen „Nährboden für die Entstehung einer Subkultur der Gewalt“ geschaffen. Erfahrungen seien mit denen vergleichbar, die aus anderen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe oder der Psychiatrie aus dieser Zeit bekannt seien. „Es handelte sich eindeutig nicht um Einzelfälle.“ Manche hätten auch von keinen negativen Erinnerungen an die Kur berichtet.

Strafen und Gewalt in Kinderheimen

Grundlage der Studie seien ausführliche Interviews gewesen. Daraus ergebe sich „ein breites Spektrum von Gewaltformen“, erläuterte Schmuhl. Nachweisbar seien etwa eine rigorose Abschottung von der Außenwelt, ständige Kontrolle, rigide Tagesstrukturen, das Wegnehmen persönlicher Gegenstände sowie verbale Herabsetzungen und Drohungen. Zudem habe es demütigende Strafen und Gewalt von Ohrfeigen über das Einsperren in einem Schrank bis hin zu sexuellen Übergriffen gegeben.

Mehr lesen